Muss die Schweizer Uhr die Smartwatch fürchten?
In den 1970er-Jahren hatten japanische Quarzuhren die Schweizer praktisch in den Ruin getrieben. Vierzig Jahre später fürchtet sich die Branche nicht vor den so genannten Smartwatches von Samsung, Sony oder Apple. Es gibt jedoch auch besorgte Stimmen.
Ermutigt durch den phänomenalen Erfolg ihrer Smartphones, bringen Technologie-Konzerne Uhren auf den Markt, die mit dem Internet verbunden sind. Beobachter rechnen damit, dass nach Samsung und Sony im nächsten Jahr auch Apple und Google mit solchen Produkten auf den Markt kommen werden.
Der Markt für die neuen Produkte wird auf jährlich zwischen 5 und 14 Milliarden Franken geschätzt. «Die Schweizer Uhrenindustrie ist nicht in Gefahr. Smartwatches werden die traditionellen Schweizer Uhren nicht ersetzen, sie sind komplementär. Die Verbraucher tragen mehrere Uhren, je nachdem, welcher Tätigkeit sie nachgehen», sagt Jean -Daniel Pasche, Präsident des Verbandes der Schweizerischen Uhrenindustrie, gegenüber swissinfo.ch.
Emotionen im Zentrum
Auch Nick Hayek, CEO des weltweit grössten Uhrenherstellers, der Swatch Group, zeigt sich gelassen: «Seit es die vielen elektronischen Wunderdinger wie Smartphones, iPads oder iPods gibt, haben wir noch mehr mechanische Uhren verkauft. Dies zeigt, dass der Konsument die Emotionalität an die erste Stelle, vor die Präzision stellt», sagte Hayek kürzlich der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Der französische Uhrenjournalist Gregory Pons ist skeptischer. «Es ist ein grundlegender strategischer Fehler, dass die Swatch Group aus ihrer starken Position Apple verschmäht. Die Schweizer Uhrenindustrie wird das auf die eine oder andere Weise bezahlen», sagt er gegenüber swissinfo.ch.
Die Nachrichtenagentur Bloomberg schreibt, Smartwatches stellten – ähnlich wie die japanischen Quarzuhren in den 1970er-Jahren – eine Gefahr für die Schweizer Uhren dar.
Damals hatten die Schweizer die Gefahr durch die die japanische Konkurrenz komplett unterschätzt, was zu einer der schwersten Krisen in der Geschichte der Uhrenindustrie geführt hat. Der Wiederaufschwung kam mit der Produktion der Swatch, einer billigen Plastikuhr. Danach gelang es der Industrie, den Markt der Luxusuhren nachhaltig auszuweiten.
Mehr
Was können Smartwatches?
Abschied von der Masse
Derzeit ist die Swatch Group der einzige Uhrenhersteller in der Schweiz, der technologisch und industriell in der Lage wäre, mit Apple und Samsung in Konkurrenz zu treten, sind sich Beobachter einig.
Doch für die Swatch-Verantwortlichen seien Smartwatches ein modisches und vergängliches Phänomen, sagt François Courvoisier, Professor an Fachhochschule des Jurabogens. «Wenn die Schweizer Uhrenfabrikanten eine solche Uhr hätten entwickeln wollen, dann hätten sie damit vor ein paar Jahren beginnen sollen. Jetzt wären sie schlecht beraten, mit einfachen Nachahmer-Produkten auf den Markt zu kommen», sagt er gegenüber swissinfo.ch.
Laut einer Umfrage der Wirtschaftsprüfungs-Gesellschaft Deloitte sehen zwei Drittel der Schweizer Uhrenfabrikanten keine Gefahr durch die Smartwatches. Courvoisier ist überzeugt, dass mechanische Schweizer Uhren auch in Zukunft Statusobjekte bleiben und wie Kunstwerke als sichere Anlageobjekte gelten werden. Er betont jedoch, «die industrielle Basis der Schweizer Uhrenindustrie ist zerbrechlich, weil sie immer weniger, immer teurere Uhren produziert. Die Schweiz verabschiedet sich zusehends von der Massenproduktion».
«Krieg ums Handgelenk»
Diese Phänomen beunruhigt Grégory Pons. Er prognostiziert einen Verkaufs-Rückgang für Schweizer Uhren innerhalb der nächsten zehn Jahre von derzeit 30 auf 15 Millionen Stück.
Die ersten so genannten intelligenten Uhren erschienen in den frühen 1980er-Jahren auf dem Markt. Sie waren vergleichsweise einfach und enthielten Funktionen wie einen Taschenrechner oder die Möglichkeit, Telefonnummern zu speichen.
In den 1990er-Jahren stellte Microsoft eine Uhr vor, deren Daten auf einen Computer übertragen werden konnte.
Im Jahr 1999 veröffentlichte Samsung die erste Uhr, die mit dem Internet verbunden war. Sie kostete 656 Franken und hatte im Bereich der Batterien noch sehr wenig Reserven. Erst zehn Jahre später begann sich der Markt für Smartwatches zu entwickeln.
Für Amanda Prorok, Mitarbeiterin am swissnex San Francisco, könnten Smartwatches zu einer neuen Mode-Ikone werden: «High-Tech ist nicht mehr nur auf ein paar Enthusiasten beschränkt. Grosse Technologie-Konzerne unternehmen gewaltige Anstrengungen, um diese Uhren von ihrem Stigma zu befreien», sagt sie gegenüber swissinfo.ch.
Die kleinen Bildschirme und die geringe Akkulaufzeit sind noch immer die grössten Hindernisse für die Verbreitung von Smartwatches. «Eine Smartwatch, deren Akku nach weniger als einem Tag aufgeladen werden muss, ist nur bedingt zu nutzen. Doch die Technologie macht grosse Fortschritte», sagt Prorok.
«Der Rückgang betrifft die Marken im unteren und mittleren Preissegment, also vor allem Marken, die zur Swatch Group gehören. Wieso sollen die Kunden noch eine Tissot oder eine Swatch kaufen, die nicht mehr kann, als die Zeit anzeigen, wenn sie für den gleichen Preis oder ein paar hundert Franken mehr eine lustige Uhr haben können, die sie mit der ganzen Welt verbindet?»
Der Journalist denkt, es käme zu «einem Krieg ums Handgelenk», denn: «Die Konsumenten werden nicht an einer Hand eine Smartwatch tragen und an der andern eine traditionelle Uhr.»
Wie Porsche oder Ferrari
Pons ist überzeugt, dass die Smartwatch genauso unentbehrlich werden wird, wie die Smartphones. «Das Handgelenk ist ein magischer Ort, an dem es einfach ist, etwas zu tragen. Doch hier passieren auch die lebenswichtigen Flüssigkeiten. Sie können hier auch den Blutdruck, den Cholesterinspiegel oder andere Dinge messen.»
Das bringt Jean-Daniel Pasche nicht aus der Ruhe: «Der Konsument kauft eine Schweizer Uhr nicht, um die die Zeit abzulesen, sondern er kauft ein handwerkliches Produkt, das Emotionen weckt.»
Einer der Väter der Swatch, Ernst Thomke, sagte in einem Interview mit der Zeitung Le Temps: «In der Schweiz konzentriert man sich auf Uhren, die für gewöhnlich Sterbliche unerreichbar sind. Es sind Uhren, die jeder will und die im Grund der Dinge keiner braucht. Solange es Leute gibt, die einen Porsche oder einen Mercedes fahren und eine Luxusuhr am Handgelenk brauchen, um sich besser zu fühlen, bleiben die Aussichten rosig.»
(Übersetzung aus dem Französischen: Andreas Keiser)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch