Nach Abspaltung von Novartis will Sandoz Generika profitabler machen
Die kürzlich von Novartis abgespaltene Sandoz hat sich als Unternehmenseinheit zu einem der grössten Generikahersteller der Welt entwickelt. Und das in einer Zeit, in der es einen starken Druck gibt, Medikamente für Patientinnen und Patienten erschwinglicher zu machen.
Sandoz ist der jüngste Geschäftsbereich, der sich vom Schweizer Pharmariesen Novartis gelöst hat. Am 11. Oktober hat Sandoz den Handel an der Schweizer Börse SIX aufgenommen.
Damit wird der Hersteller von Generika, also von Nachahmerpräparaten chemisch synthetisierter Arzneimittel, zu einem der weltweit grössten unabhängigen Player in dieser Sparte.
«Der heutige Tag markiert den Beginn einer neuen Ära für Sandoz als unabhängiges Unternehmen, aber unser Ziel bleibt unverändert: Den Zugang zu Medikamenten für Patientinnen und Patienten zu verbessern», liess sich Sandoz-Präsident Gilbert Ghostine in einer Pressemitteilung zitieren.
Die im August letzten Jahres angekündigte Ausgliederung soll sich positiv auf die Bilanz von Novartis auswirken. Sie ermöglicht es dem Unternehmen, sich auf so genannte innovative Medikamente zu konzentrieren.
Dabei handelt es sich um patentierte Medikamente in Krankheitsbereichen wie der Onkologie und Technologien wie der Gentherapie, welche die Gesundheitsergebnisse drastisch verbessern können und dem Unternehmen hohe Gewinne bescheren könnten.
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Aber Sandoz wird unabhängig in einer Zeit, in welcher der Druck auf die Generikahersteller extrem hoch ist. Die Regierungen fordern zunehmend, die Arzneimittelpreise zu senken und Medikamente erschwinglicher zu machen, während die Hersteller gleichzeitig der wachsenden Konkurrenz standhalten müssen, besonders jener aus Asien.
Bis am 11. Oktober hatte Sandoz als Teil der massiven Novartis-Struktur ein finanzielles Polster. Der weltweite Umsatz der Sandoz-Division belief sich 2022 auf 9,2 Milliarden Dollar (8,4 Milliarden Franken), verglichen mit 41,3 Milliarden Dollar für die Novartis-Division für innovative Medikamente.
Sandoz begann 1886 unter dem Namen Kern & Sandoz in Basel als kleines Chemieunternehmen, das sich auf die Herstellung von Farbstoffen konzentrierte.
Das Unternehmen stieg in das Pharmageschäft ein und brachte 1951 das erste oral einzunehmende Penicillin auf den Markt.
1996 fusionierte das Unternehmen mit Ciba-Geigy zu Novartis. Der Markenname Sandoz wurde nur noch für rezeptfreie Medikamente verwendet.
2003 reaktivierte Novartis die Marke Sandoz jedoch als Geschäftseinheit für Generika. 2006 erreichte diese Geschäftseinheit mit der Einführung des ersten BiosimilarsExterner Link einen Meilenstein.
2022 kündigte Novartis eine Umstrukturierung an, um sich auf innovative Arzneimittel zu konzentrieren – patentgeschützte Medikamente, die einen neuen Wirkstoff oder Wirkmechanismus nutzen. Im Rahmen dieser Umstrukturierung beschloss das Unternehmen, Sandoz zu veräussern.
Als eigenständiges Unternehmen muss Sandoz zeigen, dass es profitabel sein kann, preiswerte Medikamente für die breite Bevölkerung anzubieten. Bis 2028 will das Unternehmen seine bereinigte Kerngewinnmarge von voraussichtlich 18 bis 19 Prozent in diesem Jahr auf 24 bis 26 Prozent steigern.
«Die Herausforderung für Sandoz besteht darin, dass die Welt der Genetik hart ist», sagt Mike Rea, Chef der britischen Pharmaberatungsfirma Idea Pharma. «Die Welt ist zweifellos bereit für Generika, aber es ist schwierig, in dieser Welt zu konkurrieren.»
Der Stärkere überlebt
Wenn Patente auslaufen, können Hersteller von Generika und von Biosimilars, das sind Nachahmerpräparate biologisch hergestellter Arzneimittel, auf den Markt drängen.
Diese können solche Medikamente kostengünstiger entwickeln, was zu mehr Wettbewerb, einem grösseren Angebot und zu niedrigeren Preisen führt.
In der Schweiz sind die Preise für Generika im Durchschnitt höher als im übrigen Europa. Aber auch hierzulande sanken diese für einige ältere Medikamente in den letzten zehn Jahren deutlich.
Ein Beispiel ist Ibuprofen, das in den 1960er-Jahren auf den Markt kam und immer noch eines der am häufigsten verwendeten Schmerzmittel ist.
Der Werkpreis (Preis, der an die Hersteller bezahlt wird) für eine generische 600-mg-Kapsel (basierend auf einer Packung mit 100 Kapseln) betrug im Jahr 2003 33 Rappen. Zwanzig Jahre und vier Preisrevisionen später kostet dieselbe Kapsel noch 9 Rappen.
Da die Preise für Generika in einigen Ländern wie auch in der Schweiz reguliert sind, können die Unternehmen die Preise nicht ohne weiteres an die Inflation und die gestiegenen Energiekosten anpassen.
Der Preisdruck hat einige Unternehmen dazu veranlasst, ihre Produkte ganz einzustellen und die Produktion zunehmend in kostengünstigere Regionen zu verlagern. Sowohl in den USA als auch in Europa werden die meisten Generika nur noch von einem oder zwei Unternehmen angebotenExterner Link.
Die von der Industrie getragene Allianz Medicines for Europe hat festgestelltExterner Link, dass in den letzten zehn Jahren durchschnittlich 26% der Generika vom europäischen Markt verschwunden sind.
Im Mai kündigte einer der weltweit grössten Generikahersteller, das israelische Unternehmen Teva Pharmaceuticals, an, man wolle die Produktion älterer Generika drosselnExterner Link.
Der Chef von Teva erklärte, dass das Unternehmen «schwächelnde oder sogar verlustbringende» Bereiche seines Portfolios aufgeben und durch Angebote mit höheren Gewinnspannen ersetzen werde.
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Diese Änderungen haben in vielen Märkten zu gravierenden Engpässen in der Medikamentenversorgung geführt.
Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung meldete Anfang März, dass rund 140 unentbehrliche Medikamente mit Lieferverzögerungen zu kämpfen haben, auf unbestimmte Zeit nicht verfügbar sind oder ganz vom Markt genommen wurden, gegenüber 48 im Jahr 2017.
Am 12. September gab die US-Regierung bekanntExterner Link, dass 15 Krebsmedikamente aufgrund von Produktions- und Lieferkettenproblemen nicht mehr zur Verfügung stehen. Drei dieser Medikamente – Cisplatin, Carboplatin und Methotrexat – sind weit verbreitete Generika und gehören seit Jahrzehnten zu den Grundpfeilern der Krebsbehandlung.
«Der Preiswettkampf gegen unten ist nicht immer gut», sagt Wilbert Bannenberg, Spezialist für den Zugang zu Medikamenten und Gründer der Pharmaceutical Accountability Foundation in den Niederlanden.
«Wir haben nicht nur Probleme mit dem Zugang zu neuen Medikamenten, weil sie zu teuer sind, sondern wir verlieren auch Produkte, weil es für die Unternehmen nicht mehr attraktiv ist, sie herzustellen.»
Fokus auf die Margen
Neben der Ausgliederung unrentabler Medikamente investieren die Unternehmen zunehmend in Spezialgebiete und Medikamente mit höheren Margen.
Sandoz konzentriert sich auf Biosimilars, die derzeit ein Fünftel des Umsatzes ausmachen, da viele biologische Arzneimittel ihren Patentschutz verlieren.
Sie sind teurer als Generika, unter anderem, weil ihre Entwicklung komplizierter und teurer ist. Das Unternehmen will in den nächsten 18 Monaten mindestens fünf Biosimilars auf den Markt bringen und hat rund 25 weitere in der Pipeline.
Ein weiterer Generikahersteller, das US-amerikanische Unternehmen Viatris, kündigte am 2. Oktober anExterner Link, dass es sich von seinen Geschäftsbereichen für rezeptfreie Medikamente, Frauengesundheitsprodukte und pharmazeutische Wirkstoffe trennen wolle, da diese Gewinneinbussen verzeichneten. Stattdessen wolle es sich auf sein Augenheilmittelgeschäft konzentrieren.
Einige Brancheninsider befürchten, dass zu viele Entscheide vom Profit abhängig gemacht werden und dies fatale Folgen für die Patientinnen und Patienten haben könnte.
«Generika- und Biosimilarunternehmen sind nach wie vor für 80 bis 90 Prozent der weltweit verwendeten Medikamente verantwortlich», sagt Marijn Verhoef, Leiter der Abteilung Operations and Research bei der Access to Medicine Foundation, die ein Rahmenwerk zur Bewertung von GenerikaunternehmenExterner Link entwickelt hat.
«Es ist wichtig, den Unternehmen, aber auch den Beschaffungsorganisationen immer wieder klarzumachen, dass wir Eckpfeiler der Medizin verlieren – nicht nur Antibiotika und Antimykotika, sondern auch Krebsbehandlungen –, wenn wir zulassen, dass sich diese Unternehmen nur auf die profitabelsten Produkte konzentrieren.»
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Ein Balanceakt
Sandoz-Geschäftsführer Richard Saynor hat Befürchtungen zurückgewiesen, das Unternehmen könnte unter Druck geraten, beim Zugang zu Medikamenten Kompromisse einzugehen.
Für Investorinnen und Investoren sei es kein Widerspruch, den Menschen einen besseren Zugang zu Medikamenten zu ermöglichen, sagte Saynor dem Tages-Anzeiger. «Je mehr Patientinnen und Patienten wir erreichen, desto mehr Geld verdienen wir am Ende.»
Die Meinungen darüber, wie die Marktdurchdringung erhöht werden kann, gehen jedoch noch auseinander. In der Schweiz haben Generika und Biosimilars nur einen Marktanteil von rund 25%, verglichen mit rund 70% in Europa und 90% in den USA.
Die Schweizer Regierung hat kürzlich Pläne angekündigt, um den Einsatz von Generika und Biosimilars zu fördern. Dazu gehören auch Preissenkungen, um die Attraktivität patentfreier Arzneimittel zu erhöhen.
Die Generikaindustrie in Europa will weg von der Preisorientierung und hin zu neuen PreismodellenExterner Link, die der Zahl der Wettbewerber und den steigenden Kosten Rechnung tragen.
Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub
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Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub
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