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Jagd nach den schwarzen Kassen von Mediaset

Mediaset
Mediaset ist die führende private Fernsehgruppe Italiens. Keystone / Luca Bruno

Die US-Steuerbehörden sind auf der Suche nach 140 Millionen Dollar aus den ehemaligen schwarzen Kassen der italienischen Mediaset-Gruppe. Diese Gelder waren 2005 von der Schweiz blockiert und 2016 an den Hollywood-Produzenten Frank Agrama freigegeben worden. Er war in die berüchtigte Mediaset-Affäre verwickelt, die zur Verurteilung des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi führte.

Noch hat der Internal Revenue Service (IRS), die Bundessteuerbehörde der Vereinigten Staaten von Amerika, nicht alle US-Steuerzahlenden mit nicht-deklarierten Konten in der Schweiz geschnappt. Nachdem mehrere kleine Fische gefangen wurden, scheinen sich einige grössere in den Tiefen der Bankenwelt versteckt zu haben. Andere schafften es offenbar, sich in mildere Gewässer abzusetzen.

Neben dem Unternehmer Robert Brockman, der verdächtigt wird, zwei Milliarden Dollar auf den Genfer Banken Syz und Mirabaud & Cie versteckt zu haben, versucht der IRS ein weiteres Vermögen aufzuspüren, das vor mehr als zwanzig Jahren auf Schweizer Finanzinstituten eingelagert war. Es handelt sich um Vermögen des Hollywood-Produzenten Frank Agrama und seiner Ehefrau. Die Informationen zu diesem Fall stammen aus einem am 16. November 2020 publizierten Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts.

Trashfilme, die Kasse machten

Frank Agrama ist eine zentrale Figur im so genannten Fall Mediaset. Dabei handelt es sich um das einzige von rund einem Dutzend Strafverfahren gegen den ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, das in einem rechtskräftigen Urteil gegen den «Cavaliere» mündete.

Doch wer ist Farouk «Frank» Agrama? Der mittlerweile 85-jährige Produzent war von seinem Heimatland Ägypten nach Italien ausgewandert, liess sich 1977 in Los Angeles nieder und erhielt die US-Staatsbürgerschaft. Als Produzent von Trashfilmen wie «Queen Kong» und «Dawn of the Mummy» konnte er in Hollywood seinen Erfolg dank seiner Verbindungen zu Italien noch vergrössern.

Bereits 1988 begann Agrama mit dem Erwerb von Vermarktungsrechten für Filme und TV-Serien, darunter die beiden bereits erwähnten, um sie über Offshore-Gesellschaften zu überhöhten Preisen an die Mediaset-Gruppe zu verkaufen. Diese Geschäfte wurden über die «Strohfrau» Paddy Chan in Hongkong abgewickelt.

Diese Operationen ermöglichten es Berlusconis Gruppe Mediaset, ihre Gewinne in Italien zu reduzieren und gleichzeitig schwarze Kassen zu füllen. Agrama soll über seine Firmen Wiltshire Trading Ltd., Melchers Ltd. und Renata Investment Ltd. sowie über Konten der Schweizer Grossbank UBS in Lugano als Verwalter dieser schwarzen Kassen fungiert haben.

Geduld wird belohnt

Der Fall flog 2005 auf, als die Mailänder Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren gegen Berlusconi, den damaligen italienischen Ministerpräsidenten, und zwölf weitere Personen eröffnete, darunter Agrama. Die Schweizer Bundesanwaltschaft (BA) beschlagnahmte in der Folge 140 Millionen Franken auf Konten des Produzenten in Lugano.

Berlusconi
Der Gründer von Mediaset, der ehemalige italienische Premierminister Silvio Berlusconi, wurde 2013 wegen Steuerbetrugs verurteilt. Ap

Agrama betrachtete diese Gelder stets als sein rechtmässiges Vermögen. Als im Jahr 2009 die USA einen heftigen Angriff auf das Schweizer Bankgeheimnis lancierten, gab er dem IRS spontan die Existenz seiner Schweizer Konten bekannt. Er unterschlug allerdings Angaben zur Herkunft der Gelder, sodass die US-Steuerbehörde damals keine Verbindung zur Mediaset-Affäre herstellen konnte.

Der Filmproduzent konnte nicht auf seine UBS-Konten zugreifen. Doch gleichwohl war er offenbar in der Lage, die Steuerstrafe im Zusammenhang mit seiner Selbstanzeige bei dem IRS durch andere versteckte Offshore-Gelder zu bezahlen. Und seine Geduld sollte sich auszahlen.

Im Jahr 2013 wurde Berlusconi vom italienischen Kassationsgericht wegen Steuerbetrugs verurteilt. Aber die Verfahren gegen die Mitbeschuldigten liefen weiter. Im Oktober 2016 wurde der Sohn von Silvio Berlusconi, Piersilvio Berlusconi, Vizepräsident von Mediaset, genauso wie Mediaset-Präsident Fedele Confalonieri freigesprochen. Wenige Tage nach diesem Urteil hob die Bundesanwaltschaft die Beschlagnahmung der 140 Millionen Franken von Agrama auf und gab die Gelder frei.

Die Jagd geht weiter

Die amerikanischen Behörden reagierten erst zwei Monate später. Am 14. Dezember 2016 sandte der IRS ein Rechtshilfegesuch an die Schweiz zu den Konten von Frank Agrama und seiner Unternehmen. Die Existenz dieses Ersuchens zur Gewährung von Rechtshilfe an die Vereinigten Staaten wurde durch einen Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts (BVGer) publik, der seinerseits durch einen am 16. November 2020 veröffentlichten Entscheid des Bundesgerichts bestätigt wurde.

In diesem Rechtshilfe-Ersuchen warf der IRS dem Filmproduzenten Agrama vor, die Existenz des italienischen Verfahrens gegen ihn in seiner Steuererklärung/Selbstanzeige von 2009 verschwiegen zu haben. Er habe sich schlauerweise darauf beschränkt, einzig den Saldo der UBS-Konten zu deklarieren, ohne aber die Herkunft des Geldes anzugeben. Doch es kam noch schlimmer: Nach Angaben des Bundesverwaltungsgerichts überwies Agrama die Gelder nach ihrer Freigabe durch die BA auf seine eigenen Offshore-Konten.

Den Urteilen der beiden Schweizer Gerichte ist zu entnehmen, dass die US-Behörden darum gebeten haben, bestimmte Elemente ihres Ersuchens vertraulich zu behandeln, um die Untersuchung nicht zu kompromittieren. 22 Jahre nach der Eröffnung der Konten bei der UBS in Lugano kann die Mediaset-Gruppe die Jagd nach ihren schwarzen Kassen wieder aufnehmen.

Die US-Steuerbehörden schätzen, dass Agrama durch die aufgepumpten Rechnungen für den Verkauf der Fernsehrechte an die italienische Gruppe Mediaset in vier Jahren, von 1998 bis 2002, nicht weniger als 185 Millionen Dollar einkassieren konnte.

Die Bundesanwaltschaft wollte sich auf Anfrage nicht äussern. Agrama und seine Frau werden von Raffaelle Bernasconi verteidigt; die Unternehmungen Harmony Gold Ltd., Wiltshire Trading Ltd., Melchers Ltd. und Renata Investment Ltd. werden durch Anwalt Paolo Bernasconi vertreten. Keiner von ihnen wollte auf Fragen antworten.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Nützliche Dokumente:

Bundesgericht: Urteil vom 4. November 2020 (Franz.)Externer Link
Bundesverwaltungsgericht: Urteil vom 8. Oktober 2020 (Franz.)Externer Link
USA v. Frank Agrama – Erklärung von James Pack (25. Oktober 2019, Engl.)Externer Link

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(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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