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Entscheid für mehr Sicherheit und weniger Privatsphäre

Jetzt kann der Staat grosse Ohren machen. Aber Eingriffe in die Privatsphäre erfolgen mit "grösster Zurückhaltung", verspricht der Nachrichtendienst. Keystone

Der Schweizer Geheimdienst erhält effizientere Instrumente gegen aktuelle Bedrohungen wie Terrorismus. Er darf insbesondere Telefongespräche abhören, Mikrofone und Kameras in Privaträumen einbauen, in Computer eindringen. Das Schweizer Stimmvolk hat mit 65,5% der Stimmen Ja gesagt zu einem neuen Nachrichtendienst-Gesetz.

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Die Attentate in Frankreich, Belgien und Deutschland hatten der Forderung Auftrieb gegeben: Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) müsse mit zusätzlichen Mitteln ausgestattet werden, um besser gegen Terrorismus, Spionage und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen vorgehen zu können. Abgesehen von Telefon- und Postüberwachung müsse es möglich sein, E-Mails und Internetverkehr zu kontrollieren, Staatstrojaner zum Abhören oder Mitlesen von verschlüsselter Kommunikation zu installieren, Ortungsgeräte, Mikrofone und Kameras zur Überwachung von verdächtigten Personen einzurichten. Zudem soll es dem NDB erlaubt sein, zwecks Informationsbeschaffung oder zur Abwehr von Cyberattacken in Computersysteme oder -netzwerke einzudringen – auch im Ausland. Mit dem neuen Gesetz ist Überwachung nun präventiv erlaubt, ohne Verdacht auf eine Straftat.

Das Schweizer Stimmvolk ist damit mehrheitlich einverstanden und bereit, für mehr Sicherheit ein Stück Privatsphäre aufzugeben. Mit einer Zweidrittels-Mehrheit sagt es deutlich Ja zum neuen Nachrichtendienst-Gesetz. Diese wurde – abgesehen von Basel-Stadt (55% Ja-Stimmen) – in sämtlichen Kantonen mit mehr als 60% der Stimmen deutlich angenommen.  

Zufriedener Verteidigungsminister

Sehr zufrieden mit dem Abstimmungsresultat ist Verteidigungsminister Guy Parmelin. Das neue Gesetz stelle dem Geheimdienst moderne Mittel zur Verfügung zum Schutz der Bevölkerung vor der aktuellen Bedrohung. Gleichzeitig seien aber auch zusätzliche Kontrollen eingebaut worden, um auf die Befürchtungen zahlreicher Bürgerinnen und Bürger zu antworten, sagte der Bundesrat an einer Medienkonferenz.

Das neue Gesetz dürfte im September 2017 in Kraft treten. Bis dahin werde die Regierung die Umsetzungsbestimmungen ausarbeiten, die technischen Anschaffungen evaluieren und die neue Überwachungsbehörde bestimmen, sagte der Verteidigungsminister.

Nötig ist auch die Beschaffung von Technologien für die neuen Möglichkeiten der Überwachung. Damit habe man bis zur Abstimmung gewartet, sagte Parmelin.

Er geht davon aus, dass die neuen Überwachungsmöglichkeiten in rund zehn Fällen pro Jahr eingesetzt werden. Das gelte für die gegenwärtige Sicherheitslage, sagte er. Wie die Lage in zwei oder drei Jahren sei, könne niemand wissen.

Der Nachrichtendienst erhält mit dem neuen Gesetz 20 zusätzliche Mitarbeitende. Die Stellen sollen schrittweise in den Jahren 2018 und 2019 geschaffen werden.

Diese Anpassung sei überfällig gewesen und erhöhe die Sicherheit in der Schweiz, sagt auch die freisinnige Aargauer Nationalrätin Corina Eichenberger gegenüber der Nachrichtenagentur sda. Mehr Kompetenzen bedeuteten aber auch mehr Kontrolle. «In den Geschäftsprüfungskommissionen müssen wir die Umsetzung des Nachrichtendienstgesetzes eng begleiten», sicherte die Präsidentin der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates zu.

Gegner fordern wirksame Kontrollen

«Die Angstkampagne der Befürworter des Gesetzes» habe Früchte getragen, schreibt das «Bündnis gegen den SchnüffelstaatExterner Link«, das gegen das neue Gesetz das Referendum ergriffen hatte, zum voraussichtlichen Ja des Stimmvolks. Nun stehe das Parlament in der Pflicht. Die im Abstimmungskampf von den Befürworter des Gesetzes in Aussicht gestellten Kontrollen müssten nun wirksam funktionieren, die Verhältnismässigkeit gewahrt und die Öffentlichkeit informiert werden, heisst es in der Stellungnahme. 

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Schweiz im Rückstand

Die Welt habe sich völlig verändert. Terror und Verbrechen hätten nicht nur zugenommen, sondern sich im Online-Zeitalter auch neu aufgestellt. Geheimdienste in vielen Ländern hätten sich bereits darauf eingestellt. Deshalb brauche auch der Schweizer Geheimdienst entsprechende Mittel. Auch Cyber-Attacken und Spionage könnten damit besser bekämpft werden, argumentierten die Befürworter im Abstimmungskampf. Dieser Ansicht war auch die Regierung und die Mehrheit der politischen Rechten im Parlament.

Weil die bisher geltende Gesetzesgrundlage, wonach der Nachrichtendienst nur an öffentlichen Orten Informationen sammeln durfte, nicht mehr den modernen Bedrohungen und Risiken entspreche, hat das Parlament ein neues Gesetz verabschiedet.

Die Freisinnige Partei (FDP.Die Liberalen), die Christlichdemokratische Partei (CVP), die Schweizerische Volkspartei (SVP), die Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP), Teile der Grünliberalen Partei (GLP), die Evangelische Volkspartei (EVP) setzten auf das neue NDG.

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Kampf gegen Terrorismus – zwischen Schutz und Eingriff

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Das Bundesgesetz über den NachrichtendienstExterner Link wurde letzten Herbst vom Parlament verabschiedet. Es soll die gesetzlichen Grundlagen schaffen, um besser gegen Terrorismus, Spionage und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen vorgehen zu können. Um dieses Ziel zu erreichen, würde der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) mit zusätzlichen Mitteln ausgestattet: Abgesehen von telefonischer Überwachung wäre es künftig möglich, E-Mails…

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Kommt jetzt die «Massenüberwachung»?

Die Gegner wurden unter anderen von der Piratenpartei, der Sozialdemokratischen Partei (SP), den Jungsozialisten (JUSO), der Grünen Partei (GPS) unterstützt. Sie bezeichneten die neuen Mittel des Nachrichtendiensts als Eingriff in die Grundrechte. Diese unterwanderten den Rechtsstaat und seien unverhältnismässig. Die Gegner des NDG erachten die bisherigen Kompetenzen der Bundesanwaltschaft und der kantonalen Polizeibehörden als ausreichend.

Mit dem Ja zum neuen Gesetz erlaube man dem Nachrichtendienst, dass er in die Privatsphäre der Bürger eindringe. Das Gesetz sei zu wenig transparent. Es enthalte Massnahmen, die deutlich zu weit gingen, die nicht nur eine gezielte Überwachung von verdächtigen Leuten, sondern eine verdachtsunabhängige Massenüberwachung ermöglichten.

Die Gegner «eines Schnüffelstaats» erinnerten im Abstimmungskampf an die sogenannte Fichenaffäre in der Endphase des Kalten Kriegs. Nachdem der Skandal in den 1990er-Jahren aufgeflogen war, wurde bekannt, dass zwischen 1900 und 1990 rund 900’000 Personen in der Schweiz vom Nachrichtendienst systematisch ausspioniert und fichiert worden waren. Auch mit Beispielen aus der jüngeren Vergangenheit argumentierten die Gegner des neuen Gesetzes. CIA und NSA hätten vorgemacht, wohin solche Überwachungskompetenzen führen könnten.

NDB beschwichtigt

Der Nachrichtendienst hat solche Befürchtungen aus dem Wind geschlagen. Eingriffe in die Privatsphäre erfolgten mit grösster Zurückhaltung, verspricht er. Personendaten, die keinen Bezug zur Bedrohungslage hätten, dürften nicht verwendet, sondern müssten vernichtet werden. Bei der Kabelaufklärung dürften nur jene Informationen bearbeitet werden, die den vorgängig definierten Suchbegriffen entsprächen. Angaben über natürliche oder juristische Personen aus der Schweiz seien als Suchbegriffe nicht zulässig. Damit werde die Massenüberwachung auch im Bereich der Kabelaufklärung verhindert.

Die Instrumente, die dem Nachrichtendienst nun zur Verfügung stehen, dürfen nur eingesetzt werden, wenn dies das Bundesverwaltungsgericht und drei Mitglieder der Regierung (Vertedigungsminister, Justizministerin und Minister für auswärtige Angelegenheiten) erlauben. Bei so genannten Kabelaufklärungen kann ein externes unabhängiges Kontrollorgan zugezogen werden. All das geschieht unter der Beobachtung einer Geschäftsprüfungskommission, die aus Parlamentsmitgliedern aller Regierungsparteien zusammengestellt ist.

Umgang mit Terror-Sympathisanten

Mit einem Ja zum neuen Nachrichtendienstgesetz ist die Diskussion über den Umgang mit Terrorgefahr, Verdächtigen und Sympathisanten nicht zu Ende. Im Vordergrund stehen Forderungen nach härteren Strafen und neuen Massnahmen.

Ungelöst ist die Frage, wie mit Personen zu verfahren ist, die ihre Gefängnisstrafe abgesessen haben, nach wie vor als gefährlich eingeschätzt werden und nicht ausgewiesen werden können. Zur Diskussion stehen zunächst längere Gefängnisstrafen für die Unterstützung terroristischer Organisationen.

Bereits beschlossen hat der Bundesrat, dass er gegen Dschihad-Reisende vorgehen will: Personen, die sich Terrororganisationen im Ausland anschliessen wollen, sollen an der Ausreise gehindert werden können.

Der Bundesrat will dem Bundesamt für Polizei (fedpol) ferner ermöglichen, Personen mittels verdeckter Registrierung auszuschreiben. Damit können die Reisebewegungen einer Person beobachtet werden, ohne dass diese davon Kenntnis hat.

Im Kampf gegen Terrorismus befassen sich die Behörden auch mit der Frage, wie verhindert werden kann, dass sich jemand radikalisiert. Der Bundesrat will prüfen, mit welchen Massnahmen Tendenzen zur Radikalisierung in muslimischen Vereinen verhindert werden könnten.

(Quelle: sda)

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