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Israel – Palästina: Was bleibt von der Zweistaatenlösung?

Als ob sie nichts mehr zu verlieren hätten: Die Angriffe palästinensischer Jugendlicher in Bethlehem gegen israelische Ordnungshüter vom 14. Oktober sind nur ein Beispiel für die Rückkehr der Gewalt. Keystone

Seit der Rückkehr der Gewalt zwischen Israeli und Palästinensern wird auch der Ruf nach einer Zweistaaten-Lösung wieder lauter. Aber diese Option, die sich aus dem Oslo-Abkommen und der von der Schweiz unterstützten Genfer Initiative ableitet, scheint aussichtsloser denn je zu sein.

Die tödlichen Messerattacken junger palästinensischer Täter gegen Juden und israelische Ordnungshüter reissen nicht ab. Der Gewalt vorausgegangen war eine Welle anti-arabischer Manifestationen, die im Sommer mit einem Brandanschlag auf ein Haus im Westjordanland in der Nähe von Nablus, bei welchem ein Kleinkind und dessen palästinensische Eltern umkamen, ihren traurigen Höhepunkt erreichte.

Nach langem Stillschweigen haben die USA am Mittwoch mitgeteilt, dass Staatssekretär John Kerry sehr entschlossen sei, «bald» in die Region zu reisen, um zu versuchen, die Gemüter zu beruhigen. Laut einem Sprecher der US-Diplomatie hat John Kerry sehr klar verlangt, dass die beiden Parteien konkrete Massnahmen ergreifen, um die Spannungen zu verringern, für Ruhe zu sorgen und bei der Suche nach einer Zweistaatenlösung Fortschritte zu erzielen.

Diese Perspektive macht den Nahost-Experten Riccardo Bocco ratlos. Er bezweifelt vor allem den Willen Washingtons, tatsächlich Druck auf die beiden Protagonisten des Konflikts auszuüben. «Präsident Obama ist am Ende seines Mandats. Und der Wahlkampf um die Nachfolge befindet sich bereits auf dem Höhepunkt. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass Washington starken Druck auf Premierminister Netanyahu und die israelische Siedlungspolitik ausübt. Dies umso mehr, als die letzte Friedensmission Kerrys im vergangenen Jahr gänzlich misslungen war. Ausserdem hat die internationale Staatengemeinschaft das Hauptaugenmerk derzeit auf Syrien und den IS gerichtet.»

Es gebe eine Ermüdung, einen Überdruss unter den Paten des Friedensprozesses, sagt der Professor für politische Soziologie am Genfer Hochschulinstitut für internationale Studien und Entwicklung (IHEID). «Davon profitieren besonders die Israeli, weil sie nichts an ihrer Politik ändern müssen.»

Eine neue Intifada?

Kann die Revolte der jungen Palästinenser die Ausgangslage ändern, wenn sie sich zu einer dritten Intifada entwickelt, wie sie von der palästinensischen Hamas bereits bezeichnet wird?

«Es ist eine Revolte der Hoffnungslosigkeit angesichts der täglichen Erniedrigungen und der Perspektivlosigkeit», sagt Riccardo Bocco. «Aber nichts deutet derzeit darauf, dass eine politische Organisation hinter den Aktionen stehen könnte. Ob dritte Intifada oder nicht, es gibt auf der einen Seite die Palästinenser, die einen Überlebenskampf führen, und auf der anderen die Israeli, die für eine Eroberung von Cisjordanien kämpfen.»

Die Führungskräfte auf beiden Seiten haben laut Bocco kaum einen Spielraum: «Benjamin Netanyahu wie Mahmud Abbas scheinen mittel- und langfristig keine Vision zu haben. Sie versuchen, sich zu jedem Preis in ihren Sesseln zu behaupten, indem sie die Situation von Tag zu Tag verwalten. Das ist deshalb beunruhigend, weil sie daran sind, zugunsten der Extremisten beider Lager die Kontrolle über die Lage zu verlieren.»

Mediation zwischen Hamas und Fatah

Auf Wunsch der Palästinenser hat sich die Schweizer Diplomatie in einer Mediation zwischen der islamistischen Hamas und der Fatah, der Partei von Präsident Mahmoud Abbas, engagiert. Die Initiative habe eine Panne erlitten, erklärt das Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) gegenüber swissinfo.ch.

«Der innerpalästinensische Versöhnungsprozess durchläuft derzeit eine schwierige Phase, insbesondere wegen politischer Blockierungen und Divergenzen zwischen der Fatah und der Hamas.

Die Schweiz unterstützt weiterhin die lokalen und internationalen Bemühungen zur innerpalästinensischen Versöhnung. Sie stellt sich insbesondere als Moderatorin für Fragen der Wiedervereinigung der Zivilbehörden in Gaza zur Verfügung.»

Seit 2006 gab es in Palästina keine Parlamentswahlen mehr. Präsident Abbas versucht derzeit, seine Nachfolge vorzubereiten.

(Quelle: swissinfo.ch)            

Nach langem Stillschweigen hat der Präsident der palästinensischen Behörde versucht, das Ruder in die Hand zu bekommen. Am Mittwochabend hat Mahmoud Abbas am palästinensischen Fernsehen «das Recht, uns zu verteidigen», erneut bekräftig und zum friedlichen Widerstand aufgerufen. Trotzdem wird die Sicherheits-Zusammenarbeit mit der israelischen Regierung fortgesetzt.

Es wird offensichtlich, dass die Friedensperspektiven weit entfernt sind. Wenn sie eines Tages dennoch näher rücken sollten, stellt sich die Frage, ob dann immer noch im Rahmen einer Zweistaatenlösung verhandelt würde.

Bern steht hinter Genfer Initiative

Das sei immer noch das Leitmotiv der Schweizer Diplomatie, schreibt das Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) auf die Frage von swissinfo.ch. «Der israelisch-palästinensische Konflikt bleibt für das EDA ein prioritäres Dossier. In diesem Zusammenhang betrachtet es die Zweistaatenlösung als einzige lebensfähige und realistische Lösung zur Bewältigung des Konflikts. Die Schweiz unterstützt alle Bestrebungen zur innerpalästinensischen Versöhnung sowie zur politischen und wirtschaftlichen Öffnung von Gaza. Ausserdem unterstützt die Schweiz weiterhin die Genfer InitiativeExterner Link, die bis heute für eine Zweistaatenlösung das einzige detaillierte Modell ist, das von israelischen und palästinensischen Vertretern ausgearbeitet wurde. 

Diese Ansicht teilt auch der ehemalige Schweizer Botschafter François Nordmann: «Die Zweistaatenlösung, die im Oslo-Abkommen verankert ist, ist der einzige diplomatische Rahmen. Auch wenn sich die Besiedlung des palästinensischen Bodens intensiviert.»

Das permanente Verschlingen palästinensischen Bodens macht die Schaffung eines existenzfähigen palästinensischen Staats zunehmend schwieriger. Bekommt deshalb die Alternative, nämlich ein bi-nationaler Staat, Auftrieb?

«Das haben wir bereits», erklärte Avraham Burg, ein Vertreter der israelischen Linken, bereits im letzten Frühling in der Westschweizer Tageszeitung Le Temps: «Tatsächlich existiert ein Staat. Aber diese Situation ist schlecht. Meines Erachtens ist es trotz der Siedlungen noch möglich, auf die Koexistenz zweier Staaten zurückzukommen.» Aber wenn er wählen könnte, schrieb Burg, würde er einen funktionierenden bi-nationalen Staat einer Zweistaaten-Option, die nicht funktioniert, vorziehen.

Deshalb schlägt er ein Umschwenken von einer nationalen Priorität auf eine Priorität der Bürgerrechte vor, welche die Interessenverteidigung aufgeben und sich der Rechte der Bürger, der jüdischen und arabischen, widmen müsse.

Flucht ins Exil

Aber die Rückkehr der Gewalt in den letzten Tagen macht die Option eines einzigen bi-nationalen Staats genauso illusorisch wie eine Zweistaaten-Option. Das ist die Meinung eines anderen Vertreters der israelischen Linken: «Der Konflikt, der heute in Jerusalem wütet, und die Tragödien, Attentate und Morde, welche das alltägliche Leben der Juden und Araber prägen, sind ein gutes Beispiel für das, was uns die Zukunft in einem bi-nationalen Staat bringen wird (…) Die einzige sinnvolle Frage, die man heute stellen kann, ist jene, ob die israelische Gesellschaft noch die Kapazität hat, sich neu zu erfinden und sich vom Einfluss der Religion und der Geschichte zu befreien, sowie eine Aufteilung des Landes in zwei freie und unabhängige Staaten zu akzeptieren», schreibt der Historiker Zeev Sternhell in seiner Kolumne, welche diese Woche in der französischen Tageszeitung Le Monde erschienen ist.

Inzwischen sei bereits eine grosse Anzahl Palästinenser ins Exil geflüchtet, so Sternhell «Ich habe dies in Cisjordanien und in Gaza festgestellt: Wer die Mittel dazu hat, tut es. Aber für die anderen wird das Leben zum täglichen Überlebenskampf. Sogar die kleine Bourgeoisie, die sich eine Zeitlang entwickelt hatte, wird heute von einer Schuldenlast erdrückt.»

(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

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