Nahost-Embargo schwächt Schweizer Rüstungsindustrie
Die Schweizer Rüstungsindustrie fürchtet um Grossaufträge im Wert von Hunderten von Millionen Franken. Grund ist der Beschluss der Regierung, wegen des Jemen-Konflikts Kriegsmaterialexporte nach Nahost zu stoppen.
Nach der saudi-arabischen Militäraktion gegen Huthi-Rebellen im Nachbarland Jemen hat der Bundesrat im März beschlossen, Kriegsmaterial-Exporte in den Nahen Osten zu blockieren. Das hat schwere Auswirkungen auf die Schweizer Rüstungsindustrie, denn seit April bewilligt der Bund wegen der unsicheren Lage grundsätzlich keine Kriegsmaterialexporte mehr in die in den Konflikt involvierten Länder.
Die staatliche Rüstungsfirma Ruag, die seit einiger Zeit mit Schwierigkeiten kämpft, hat nach eigenen Angaben seit März 2015 keine Exportbewilligungen mehr für den Nahen Osten erhalten. «Das bedeutet für uns einen Verlust von Dutzenden von Millionen Franken», schreibt die Ruag in einer E-Mail an swissinfo.ch. «Es besteht die Gefahr, dass wir langfristig Aufträge an andere Mitbewerber verlieren werden. Zudem wird unsere sicherheitsrelevante industrielle Basis in der Schweiz geschwächt. Wenn die Blockade noch lange bestehen bleibt, werden unsere Produktionsstätten in der Schweiz (zusammen 4300 Beschäftigte) erheblich betroffen sein.»
Protestbrief
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) weist darauf hin, dass auch für Länder wie Kuwait, Jordanien, Katar, die vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Ägypten strikte Export-Verbote gelten, denn diese Länder sind auch in den Jemen-Konflikt involviert.
2014 haben Bahrain und die Emirate in der Schweiz Kriegsmaterial für 14 Millionen Franken bestellt, Saudi-Arabien lediglich für knapp 4 Millionen, doch das Land war in der Vergangenheit ein grosser Kunde.
Im Juni haben gemäss der Neuen Zürcher Zeitung verschiedene Lobby-Gruppen und Politiker der Regierung einen Protestbrief geschickt. Sie werfen dem Bundesrat vor, der Exportstopp begünstige die ausländische, namentlich die deutsche Kriegsmaterial-Industrie. Laut der NZZ ist auch die in der Schweiz domizilierte Rüstungsfirma Rheinmetall Air Defence vom Exportstopp in den Nahen Osten betroffen.
Starke Lobby
Doch die Verluste der Rüstungsindustrie erscheinen in einem anderen Licht, wenn man an die Gräueltaten im Jemen-Konflikt denkt. «Es ist bekannt, dass saudi-arabische Bomber zivile Ziele angegriffen haben», sagt Alain Bovard von Amnesty International Schweiz gegenüber swissinfo.ch: «Die Waffenlobby ist in der Politik gut vertreten und hat genügend Macht, mittels gesetzlichen Änderungen, die finanziellen Interessen der Rüstungsindustrie durchzusetzen.»
Bovard erinnert an einen denkbar knappen Parlamentsentscheid im letzten Jahr. Damals hat der Nationalrat dank dem Stichentscheid seines Präsidenten entschieden, dass künftig auch heikle Länder wie Pakistan und Saudi-Arabien wieder Schweizer Waffen kaufen dürfen. Damit hat sich der Nationalrat gegen Bedenken entschieden, wonach Schweizer Waffen vermehrt für Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden könnten.
Gemäss diesem Entscheid ist der Export von Schweizer Rüstung lediglich in jene Länder verboten, in denen ein hohes Risiko besteht, dass das Kriegsmaterial für Menschenrechtsverletzungen eingesetzt wird. In allen anderen Fällen muss der Bundesrat von Fall zu Fall entscheiden.
Die Schweizer Waffenexporte machen lediglich 0,26% aller Exporte aus. Der grösste Markt ist Deutschland. Indonesien ist letztes Jahr zu einem der grössten Käufer aufgestiegen und kompensiert das Loch, das der Nahe Osten hinterlässt.
Gesuch Indiens abgelehnt
Trotz der anteilmässig relativ kleinen Bedeutung der Rüstungsindustrie wird sie als bedeutend und als wichtiger Zulieferer der Armee angesehen. Doch sie steht auch unter genauer Beobachtung durch die Öffentlichkeit im In- und Ausland. So hat Indien gegen Schweizer Rüstungsfirmen Untersuchungen im Zusammenhang mit mutmasslichen Bestechungsgeldern durchgeführt.
Vor einigen Monaten hat die Schweizerische Bundesanwaltschaft ein indisches Rechtshilfegesuch abgelehnt, das die Firmen Rheinmetall Air Defence und SAN Swiss Arms im Visier hatte. Beide sind in deutscher Hand.
Möglicherweise hat die Bundesanwaltschaft das Gesuch abgelehnt, nachdem sie von den indischen Behörden zusätzliche Informationen verlangt hatte. «Die von den indischen Behörden gelieferten Informationen entsprachen den rechtlichen Anforderungen nicht ganz, deshalb waren wir nicht in der Lage, dem Gesuch stattzugeben», hielt die Bundesanwaltschaft in einer Stellungnahme fest. Die beiden Firmen antworteten auf die Anfrage von swissinfo.ch nicht.
Gesetzgebung verschärft
Es ist nicht das erste Mal, dass die Schweizer Rüstungsindustrie im Zwielicht steht. 2012 wurde die Gesetzgebung verschärft, nachdem sich herausgestellt hatte, dass schweizerisches Kriegsmaterial von anderen Ländern in Drittstaaten exportiert wurde.
Bovard von Amnesty International räumt ein, dass die Schweiz in den vergangenen Jahren punkto Waffenhandel durchaus Fortschritte gemacht habe. «Es gab ein paar Situationen, in denen die Behörden ziemlich naiv waren, aber die Schweiz weist unter dem Strich eine ziemlich gute Bilanz aus», sagte er gegenüber swissinfo.ch.
(Übertragen aus dem Englischen: Andreas Keiser)
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