Die Forderung, Nazi-Symbole zu verbieten, wird lauter
Wer in der Öffentlichkeit Nazi-Symbole wie den Hitlergruss zeigt, macht sich in der Schweiz nicht in jedem Fall strafbar. Jetzt mehren sich Forderungen, dies zu ändern. Ein Treiber ist der Auslandschweizer-Rat.
An einer Kundgebung von Corona-Massnahmengegnern im September 2021 hob ein Teilnehmer den Arm zum Hitlergruss, mitten in der Berner Altstadt. Daraufhin erhielt er einen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft, wegen unanständigen Benehmens. Der Mann wehrte sich und bekam recht. Für eine Verurteilung fehle die Rechtsgrundlage, befand das Regionalgericht.
Freigesprochen wurde auch ein Rechtsextremer, der 2010 auf der Rütliwiese im Kanton Uri den Hitlergruss gezeigt hatte. Das Bundesgericht als höchste Instanz entschied 2013, der Mann habe unter Gleichgesinnten seine Gesinnung kundgetan, was noch nicht strafbar sei. Hätte er mit der Geste hingegen bei Dritten für die nationalsozialistische Ideologie geworben, wäre das unter die Antirassismus-Strafnorm gefallen.
Eine gewisse Toleranz
Die Beispiele zeigen: Die Schweiz kennt eine gewisse Toleranz gegenüber öffentlich gezeigter Nazi-Symbolik. Hitlergruss, Hakenkreuz und dergleichen sind nur dann verboten, wenn sie zu Propagandazwecken verwendet werden. Politische Bestrebungen, diese Differenzierung aufzuheben, gibt es seit 2003.
Doch bisher befanden Bundesrat und Parlament mehrheitlich, die freie Meinungsäusserung gehe vor. Inzwischen könnte allerdings ein Bewusstseinswandel stattgefunden haben. Im Parlament wurden gleich drei Vorstösse zum Thema eingereicht, einer von bürgerlicher Seite, zwei von links.
Häufung in der Pandemie
Den Anfang machte im Winter die Aargauer Mitte-Nationalrätin Marianne Binder. Sie will Nazi-Gesten, -Fahnen und -Zeichen ganz verbieten, in der realen Öffentlichkeit wie auch auf Online-Plattformen. «Antisemitische Vorfälle haben zugenommen, in der Pandemie erreichten sie eine neue Dimension», begründet die Parlamentarierin ihren VorstossExterner Link.
Ihre Aussage wird vom Antisemitismusbericht des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG) und der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus bestätigt: 2021 kam es in der Schweiz zu einer Häufung gravierender Vorfälle. Online registrierten die Herausgeber 806 Fälle antisemitischer Parolen und Verschwörungstheorien, das ist eine Steigerung von über sechzig Prozent zum Vorjahr.
Davidstern und Hakenkreuz
Im realen öffentlichen Raum gab es 53 Übergriffe: antisemitische Beschimpfungen, Zuschriften und Schmierereien an Synagogen. An Demonstrationen trugen Impfgegner gelbe Davidsterne mit der Aufschrift «ungeimpft», in einer Zürcher Gemeinde sprayten sie «Impfen macht frei» an die Wand, samt Hakenkreuz.
Ihr werde entgegengehalten, dass solchen Vorfällen nicht zwingend ein antisemitisches Motiv zugrunde liege, erzählt Nationalrätin Binder. Doch selbst wenn so etwas «aus reiner Dummheit» geschehe, sei es eine «Geschichtsblindheit sondergleichen». Die Gräuel des Holocausts würden dadurch in untragbarer Weise verharmlost.
«Verletzend und unverständlich»
Die Mitte-Politikerin beschränkte sich in ihrem Vorstoss bewusst auf Symbole mit Bezug zum Nationalsozialismus und zum Holocaust, während in früheren Anläufen allgemein auf rassistische und gewaltverherrlichende Symbole gezielt worden war. Doch da wäre es schwierig, immer alle aufzulisten, findet auch Binder. Anders bei den offensichtlichen Nazi-Symbolen: «Diese fallen sicher nicht unter die Meinungsäusserungsfreiheit.»
Die Aargauer SP-Nationalrätin Gabriela Suter Externer Linkund der Zürcher SP-Nationalrat Angelo BarrileExterner Link doppelten mit parlamentarischen Initiativen ähnlicher Stossrichtung nach. Im Januar 2022 stellte sich der SIG hinter die Vorstösse, erstmals in solcher Deutlichkeit. Rechtsextremisten nutzten die Gesetzeslücke in der Schweiz bei Kundgebungen und Konzerten gezielt aus, hielt der Dachverband der jüdischen Gemeinden in einer Stellungnahme fest: «Besonders für betroffene Minderheiten ist dies verletzend und unverständlich.»
Der Auslandschweizerrat – er vertritt die Interessen der Fünften Schweiz gegenüber Behörden und Öffentlichkeit – sprach sich im März ebenfalls dafür aus, jegliche Verwendung von Nazi-Symbolen in der Öffentlichkeit unter Strafe zu stellen. Im Namen der Delegation aus Israel erinnerte Ralph Steigrad daran, dass die Schweiz seit bald zwanzig Jahren darüber diskutiere: «Jetzt sollte sie handeln und dem Beispiel anderer Länder folgen.» Beim Verbot gehe es nicht um die Darstellung der Symbole in Lehrmitteln, erklärte Steigrad. Dieses wäre zu Bildungszwecken immer noch möglich.
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Der Bundesrat allerdings wollte zunächst alles beim Alten belassen und lehnte den Vorstoss von Marianne Binder ab. Auch wenn die Zur-Schau-Stellung von Kennzeichen des Nationalsozialismus «schockierend» sein könne, sei sie als Meinungsäusserung hinzunehmen, schrieb die Landesregierung in ihrer Antwort. Prävention durch Aufklärung sei besser geeignet als Repression.
Gelehrte sind uneins Rechtsgelehrte und Extremismusfachleute, die sich öffentlich äusserten, sind beim Thema uneins. Rechtsextreme könnten sich durch eine Anzeige gar bestätigt fühlen, argumentieren die einen. Mit einem weitreichenden Verbot drohe ein Gesinnungsstrafrecht.
Die anderen weisen darauf hin, dass Nazi-Symbole eine Gefahr für das demokratische, friedliche Zusammenleben darstellten. Das könne der Rechtsstaat nicht tolerieren. Und siehe da: Nachdem die bundesrätliche Zurückhaltung im In- und Ausland auf Kritik gestossen war, signalisierte die Schweizer Justizministerin Karin Keller-Sutter in den Medien Entgegenkommen. Ihr Departement lasse die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten prüfen, sagte die freisinnige Bundesrätin nun.
«Der Bundesrat verschliesst die Augen nicht»
So äusserte sie sich auch in einem Antwortbrief an die ASO, die das Anliegen des Auslandschweizerrats beim Bundesrat deponiert hatte. Die Regierung verschliesse nicht die Augen vor der Zunahme antisemitischer Vorfälle, versichert die Justizministerin.
Motionärin Marianne Binder sagt, Antisemitismus-Prävention und das Symbol-Verbot schlössen sich nicht aus. Beides sei nötig. Eine Holocaust-Gedenkstätte zu errichten (siehe Kasten) und zugleich Nazi-Symbole weiterhin zu erlauben – das passe nicht zusammen. Binders Vorstoss ist im Rat noch nicht behandelt worden.
Dieser Artikel wurde zuerst von der Schweizer RevueExterner Link veröffentlicht.
Die Schweiz erhält ein offizielles Mahnmal, um an die Opfer des Nationalsozialismus zu erinnern. Beide Parlamentskammern stimmten entsprechenden Vorstössen in der Frühjahrssession einstimmig zu. Im Nationalrat hatte Alfred Heer (SVP/ZH) den Vorstoss eingereicht, im Ständerat Daniel Jositsch (SP/ZH). Es sei notwendig, diese schreckliche Zeit im kollektiven Gedächtnis zu behalten, sagte Jositsch. Das Denkmal geht auf eine Initiative von fünf Organisationen zurück, darunter die Auslandschweizer-Organisation. Es soll an Schweizerinnen und Schweizer erinnern, die vom Nazi-Regime verfolgt, entrechtet und ermordet wurden, als Juden oder politische Oppositionelle.
Mindestens 450 Menschen mit Schweizer Bürgerrecht landeten in Hitlers Konzentrationslagern.Zählt man in der Schweiz geborene oder wohnhafte Personen dazu, sind es weit über 1000 Opfer mit Bezug zur Schweiz. Die Gedenkstätte soll auch jene ehren, die sich den Nazis entgegenstellten oder Verfolgten Schutz und Hilfe boten. Und sie ist Menschen gewidmet, denen die Schweizer Behörden die Rettung verweigerten.
Mit dem Parlaments-Ja hat der Bundesrat den Auftrag erhalten, Vorschläge für eine Umsetzung auszuarbeiten. Wo das Denkmal hinkommt, ist noch unklar. Die Organisationen, die letztes Jahr ein Konzept beim Bund einreichten, schlagen die Stadt Bern vor. Neben einem Kunstwerk soll die Erinnerungsstätte auch einen Ort für Ausstellungen und Veranstaltungen enthalten. Und sie soll sich digital mit bestehenden Gedenkstätten auf privater Initiative vernetzen.
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