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Demokratie, spontan und sehr gut organisiert

Klar und dominant: Die Initiativ-Gegner landeten mit ihrer Plakat-Kampagne, die erst in den letzten Tagen vor der Abstimmung so richtig einsetzte, einen Überraschungs-Coup. Und sie drängten die Präsenz der erfolgsgewohnten SVP in den Hintergrund. Keystone

Eine Woche ist es her, seit die Durchsetzungs-Initiative der SVP zur Ausschaffung von kriminellen Ausländern klar bachab geschickt wurde. Betrachten wir doch noch einmal die gegnerische, gut finanzierte Kampagne, die durch Spontaneität und orchestrierte Überraschungsmomente ein klares Zeichen für die direkte Demokratie setzte.

«Sowas hat es noch nie gegeben!» Am Abend nach der Niederlage der Rechtskonservativen, deren Lieblingsthema mit 58,9% Neinstimmen deutlich abgelehnt wurde, waren sich alle Kommentatoren einig, dass die Schweiz eine solche Mobilisierung noch selten erlebt habe.

Bruno Kaufmann, Spezialist zum Thema direkte Demokratie und Chefredaktor der von swissinfo.ch gehosteten Website people2powerExterner Link, aber relativiert: «Eigentlich ist diese dynamische Form der Kampagne kein ganz neues Phänomen, sondern hat sich in der Vergangenheit wiederholt ereignet; erstmals im Vorfeld der Volksabstimmung über die Schweiz ohne Armee im Herbst 1989, die fast landesverräterischen Charakter hatte. Damals entstand plötzlich eine Vielzahl von sich selbst organisierenden Netzwerken zur Unterstützung des Begehrens. Diese Gruppen trugen schliesslich dazu bei, dass die Initiative mit 35,6% Ja-Stimmen ein Überraschungsresultat einfuhr».

Die Modernen und die Konservativen

Neu war dieses Mal die Rolle der sozialen Netzwerke, obwohl Aktivisten diese nicht erst seit 2016 nutzen. Im Monat vor der Abstimmung verwandelten sie sich jedoch in ein Kampfinstrument der Massenmobilisierung: Kommentare und Bekenntnisse von Bürgerinnen und Bürgern, die Verkehrung des Wahlkampfmotivs der SVP ins Gegenteil – die Schafe erlebten einen zweiten Frühling, sie wurden farbig, witzig und fröhlich, kein schwarzes Schaf wird mehr von weissen rausgeworfen (#happysheep)Externer Link.

Wurde zum bekanntesten Gesicht der erfolgreichen Nein-Kampagne: Flavia Kleiner, Studentin und Ko-Leiterin der Organisation Libero:

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Doch hinter diesen spontanen Aktionen waren auch alte Polithasen am Werk, wie Hans StöckliExterner Link, sozialdemokratischer Ständerat des Kantons Bern. Er war es auch, der im Dezember praktisch alle Ratskolleginnen und -kollegen hinter sich scharte und dazu brachte, Nein zur Durchsetzungs-Initiative zu sagen.

Oder auch Beat FlachExterner Link, Nationalrat der Grünliberalen, dem es gelang, 11 ehemalige Bundesräte aus dem Busch zu klopfen und zu überzeugen, öffentlich für ein Nein einzutreten. Er lancierte faktcheck.chExterner Link, einen deutschsprachigen Blog, der sich mit den ganz konkreten Konsequenzen der Initiative auseinandersetzte. Via Twitter erreichte die Website in Kürze 90’000 Followers. Parallel dazu waren bereits vier Komitees am Werk: jenes der Linken sowie jene der bürgerlichen Parteien, der NGOs und der Wirtschaftskreise.

«Kurz vor Weihnachten rief mich Beat Flach an und fragte, ob man nicht eine Kampagne mit einer kleinen Summe (im fünfstelligen Bereich), gespendet von der Schweizerischen Bankiersvereinigung, lancieren könnte», erzählt Walter StüdeliExterner Link, Geschäftsführer einer Berner Kommunikationsagentur und Politberater. Die Sache schien ihm damals möglich, umso mehr, als sich die Medien gegenüber den Argumenten der Gegner «sehr wohlwollend» zeigten.

Danach folgten die Aufrufe von 160 Schweizer Rechtsprofessoren und von mehr als 300 Parlamentariern und ex-Parlamentariern. Am 24. Januar tauchte im Internet und in den sozialen Medien ein «dringender AufrufExterner Link»  auf, die Initiative abzulehnen. Die ersten Unterzeichner waren 230 Politiker, Chefs von Unternehmungen, Gewerkschafter, Kirchenleute, Architekten, Schriftsteller, Künstler und Bürger, die sich namentlich unter der Regie von Paul RechsteinerExterner Link, St. Galler Ständerat der Sozialdemokraten und Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, zusammenfanden.

Den Bogen überspannt

2009: 57,5% für ein Verbot von MinarettenExterner Link.

2010: 52,9% für die AusschaffungExterner Link krimineller Ausländer. 2014: 50,3% gegen MasseneinwanderungExterner Link.

2016: 41,1% für die DurchsetzungExterner Link der Ausschaffung krimineller Ausländer. Die Tendenz der Ergebnisse der letzten vier letzten Initiativen gegen Ausländer zeigen klar nach unten. Das ist auch dem Parteistrategen Christoph Blocher nicht entgangen, der am Tag nach der Niederlage vom 28. Februar erklärte, dass er einen Sparkurs für Volksinitiativen verordnen will.

«Die SVP muss jedes Mal ihre Forderungen erhöhen, denn wenn sie gewinnt, muss sie um weiter zu existieren, den Bogen immer noch ein wenig mehr spannen», so die Analyse des Politologen Pascal Sciarini. «Treibt sie es zu weit, leistet sie der Bildung einer heiligen Allianz zwischen der Linken und der gemässigten Rechten Vorschub. Auf der anderen Seite haben die Gegner der SVP aus ihren Niederlagen gelernt und wissen nun auch, wie man eine Kampagne orchestriert und wie viel Geld man dafür einsetzen muss».

Hüben und drüben praktisch dieselben Budgets

Innerhalb von 24 Stunden kamen durch den Aufruf die nötigen 200’000 Franken für eine erste Plakatkampagne zusammen. Die Plakate sind einfach, grafisch, deren Botschaft aus einem einzigen Wort in grossen Buchstaben bestand: «NEIN». Innert eines Monats, mit Beiträgen von 10 oder 50 Franken, gingen Spenden von 1,2 Millionen Franken ein. So konnte das Plakat an 1250 Orten in 28 Städten des Landes platziert werden. 700’000 Franken wurden für eine Anzeigenkampagne in der Presse verwendet.

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Das Lächeln von Claudine EsseivaExterner Link, Generalsekretärin der FDP.Die Liberalen Frauen der Schweiz, hat damit zu tun, dass sie es war, die die Bewegung koordiniert hat. «1,2 Millionen Franken durch Crowdfunding zu erreichen, ist etwas Neues in der Schweizer Politik. Wenn man diese Summen zu den rund 500’000 Franken, die die vier Komitees gesammelt haben, dazu zählt, kommt man auf 1,7 Millionen». Damit bewegen sich die beiden Kampagnen beinahe auf Augenhöhe. Die Kampagnen sind beinahe ausgeglichen. Ihrer Ansicht nach hat die SVP ungefähr eine Million für den Versand des «Extrablattes» in alle Haushalte und eine weitere Million für Anzeigen und Plakate ausgegeben.

Walter Stüdeli schätzt die Ausgaben der SVP auf «2 bis 3 Millionen Franken, aber nicht mehr. Sie haben übrigens weniger gemacht, als wir erwarteten». Einschätzungen, die die Partei nicht bestätigt. Sie gibt keine Zahlen preis und macht auch auf unser Drängen hin keine Ausnahme.

Ein Weckruf?

Erstaunlich bleibt das Engagement und die aussergewöhnliche Stimmbeteiligung von 63%. In den letzten 25 Jahren lag diese im Durchschnitt kaum über 40%. Ein regelrechter «Weckruf für die Gesellschaft», so der Genfer Politologe Pascal SciariniExterner Link. «Etwas noch nie Dagewesenes war geschehen. Die Bündelung der Kräfte und die Übereinstimmung der Initiativen führten zu diesem Resultat. Ich vermute, dass die zahlreichen Einzelinitiativen dazu beigetragen haben, dass viele Leute, die nicht regelmässig abstimmen, zur Urne gegangen sind, weil sie erkannt haben, dass hier etwas auf dem Spiel steht.

Diese Abstimmung bestätigt zudem ein Befund, den wir kürzlich zum Thema «selektive» Stimmbeteiligung ermitteln konnten, und zeigt, dass eine Mobilisierung breiter Bevölkerungskreise durchaus bei entsprechenden Themen und Kampagnen möglich ist.

Dieses Mal jedoch war die Botschaft nicht einfach durchzubringen. Dort, wo die SVP vom «Schutz unserer Frauen und Mädchen» sprach, antworteten die Gegner mit dem «Respektieren des Prinzips der Verhältnismässigkeit» oder der «Rechtssicherheit», nicht gerade einfach für eine Mobilisierung… Doch schliesslich konnten die Argumente überzeugen. Pascal Sciarini sieht darin «ein beruhigendes Zeichen» für Gesundheit und Reife der direkten Demokratie.

«Ich glaube, dass die Leute, die früh abgestimmt haben, entsprechend emotionaler abstimmten:’jene Ausländer, die ein Delikt begehen, müssen ausgeschafft werden›. Im Lauf der Kampagne konnten sich jedoch die rationalen, vernünftigen Argumente durchsetzen, so die Analyse des Genfer Politologen. Doch auch bei Themen, die sich gut dafür eignen, emotionale Reaktionen zu provozieren, gelingt es mit einer starken Mobilisierung und einer Wiederholung der Botschaft, die Menschen zur Vernunft zu bringen, wenn ich das so sagen darf».

Wie weiter?

Aber nun einfach anzunehmen, dass am 28. Februar 2016 eine neue und vor allem dauerhafte Bewegung geboren wurde, darüber hegt Walter Stüdeli «ernsthafte Zweifel». «Das ist ein einmaliges Phänomen, das kann man nicht alle drei Monate wiederholen». Am 5. Juni stimmt das Schweizer Volk über das neue Asylgesetz ab, das die SVP mit einem Referendum bekämpft. «Und hier wird das nicht klappen. Andererseits könnte es für die nächste Initiative, die will, dass in der Verfassung Schweizer Recht statt fremde RichterExterner Link aufgenommen wird», wieder eher möglich sein, schätzt der Publizist.

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