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Nein zum Abkommen bedeutet nicht Gesprächsende

Walter-Borjans erhält einen Schraubenschlüssel zum Geldhahn-Aufdrehen für mehr Steuerbeamte. swissinfo.ch

Wie erwartet kippten die von Links-grün regierten Bundesländer das Abkommen mit der Schweiz. Es gehe aber nicht nur ums "Nein-Sagen, sondern darum, eine Lösung für die Zukunft zu finden", sagt der populäre Abkommens-Gegner Norbert Walter-Borjans.

Für das Steuerabkommen stimmten im Bundesrat, der deutschen Länderkammer, nur die CDU-regierten Länder Bayern, Hessen, Niedersachsen und Sachsen. Sie kommen auf 21 Stimmen.

Damit hat das vom deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble (Christlich Demokratische Union, CDU) und seiner Schweizer Amtskollegin Eveline Widmer-Schlumpf ausgehandelte Abkommen die Mehrheit von 35 von 69 Stimmen klar verfehlt. Der Deutsche Bundestag hatte ihm Ende Oktober bereits zugestimmt.

Nun wird das Abkommen am 12. Dezember in den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat gehen. Es bestehen jedoch lediglich geringe Chancen, dass sich die Ländervertreter dort umstimmen lassen, da die Vereinbarung nicht ohne Mitwirken der Schweiz geändert werden kann.

Für mehr Steuergerechtigkeit

Den Kritikern aus den Reihen der Opposition aus Sozialdemokraten, Grünen und Linken geht das Abkommen in seiner bisherigen Form nicht weit genug. Mit den ausgehandelten Steuersätzen von 21 bis 41%, die einmalig rückwirkend auf deutsche Vermögen in der Schweiz erhoben werden sollen, kämen Steuerkriminelle viel günstiger davon, als wenn sie ihre Steuern ordnungsgemäss in Deutschland abgeführt hätten, argumentieren sie. Das Abkommen weise ausserdem noch zahlreiche Schlupflöcher auf und Steuersünder blieben auch in Zukunft weiter anonym.

«Mit unserem Nein haben wir verhindert, dass deutsche Steuerbetrüger und ihre Helfer in Schweizer Banken durch ein Abkommen geschützt werden“, sagte nach der Abstimmung der sozialdemokratische nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans, ein viel zitierter Gegner des Abkommens. Das Bundesland Nordrhein-Westfalen hat seit Anfang 2010 insgesamt sechs sogenannte Steuerdaten-CDs erworben, was nach Angaben des nordrhein-westfälischen Finanzministeriums zu mehr als 7100 Selbstanzeigen von Bürgerinnen und Bürgern wegen Steuerhinterziehung in der Schweiz geführt hat.

Wäre das Steuerabkommen durchgekommen, hätten Steuerhinterzieher und ihre Helfer in den Schweizer Banken aufatmen können, so Walter-Borjans. «Jetzt können ehrliche Steuerzahler aufatmen.“ Er betont aber auch: «Das Aus für das vorliegende Steuerabkommen ist nicht das Ende der Gespräche mit der Schweiz, sondern eine Basis für neue Verhandlungen über ein wirklich gerechtes Steuerabkommen.»

Nicht nur verhindern und Nein sagen

Vor der Abstimmung sprach Walter-Borjans mit Aktivisten des Aktionsbündnisses «Kein Freibrief für Steuerbetrüger!», die in Berlin vor dem Bundesratsgebäude auf ihren Protest gegen das Steuerabkommen aufmerksam machten. Das Bündnis wird unter anderem getragen vom Kampagnennetzwerk Campact, Attac Deutschland und der Fachgruppe Finanz- und Steuerverwaltung von Verdi, Deutschlands zweitgrösster Dienstleistungsgewerkschaft.

«Es geht nicht nur darum, etwas zu verhindern, sondern eine richtige Lösung in der Zukunft zu finden», sagte Walter-Borjans zu den Aktivisten. «Das Abkommen ist kein Weg zu einer Lösung, sondern untergräbt Wege, international und in Europa die Schlupflöcher für Steuerbetrüger wirklich zu schliessen.» Er sei überzeugt, dass nach der Ablehnung im Bundesrat auch andere Interesse hätten, noch mal zu Gesprächen zusammenzukommen. Das hätten in den vergangenen Wochen zunehmend auch Verantwortungs- und Meinungsträger von Schweizer Seite gesagt.

Der automatische Informationsaustausch als Zukunftsmodell

Campact-Pressesprecherin Susanne Jacoby übergab Walter-Borjans symbolisch einen Schraubenschlüssel «zum Geldhahn-Aufdrehen für mehr Steuerbeamte». Nach dem Scheitern des Steuerabkommens fordert das Bündnis effektive Massnahmen gegen Steuerbetrug. Dazu gehöre etwa die Stärkung des Personals in Steuerbehörden, ein Unternehmensstrafrecht, um Banken für die Beihilfe zur Steuerhinterziehung auch strafrechtlich belangen zu können, die geplante Verschärfung der EU-Zinsrichtlinie sowie eine Ausweitung des automatischen Informationsaustauschs auf weitere Drittländer. Für eine Regelung der Besteuerung auf EU-Ebene macht sich auch die SPD stark.

Auf die Frage, ob sie meine, dass unter einem potentiellen Bundeskanzler Steinbrück (SPD) die Chancen für die geforderten Maßnahmen besser stünden, sagte Jacoby: «Herr Steinbrück hat sich sehr stark gemacht gegen Steuerflucht, Steuerbetrug und gegen das Abkommen. Wir werden im Falle seiner Wahl natürlich darauf dringen, dass diese Versprechen und starken Worte dann auch umgesetzt werden.»

Der Tenor ist klar: Banker, Unternehmer und Politiker in der Schweiz kritisieren das Scheitern des Steuerabkommens im deutschen Bundesrat. Rein sachlich sei die Ablehnung nicht nachvollziehbar.

Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf äusserte die Hoffnung, dass es doch noch eine Kompromisslösung im Vermittlungsschuss gibt. «Noch ist das Verfahren in Deutschland nicht abgeschlossen».

Die Schweiz sei «nach wie vor bereit, mit Deutschland den Ratifizierungsprozess zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen», so die Bundespräsidentin.

Die Schweizerische Bankiervereinigung erklärte, die Ablehnung sei sachlich nicht nachvollziehbar und «aus rein innenpolitischen Gründen erfolgt».

Damit habe der deutsche Bundesrat eine grosse Chance verpasst, eine für alle Seiten faire, optimale und nachhaltige Lösung zu verabschieden, um die bilateralen Steuerprobleme abschliessend zu regeln.

Die Bankiervereinigung will weiterhin am Bankgeheimnis festhalten.

Ähnlich äusserte sich die Vereinigung Schweizerischer Privatbankiers. «Wir sind das Nebenopfer einer innenpolitischen Debatte im Wahlkampf in Deutschland», sagte Geschäftsführer Michel Dérobert.

Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse erklärte, das Abkommen könne für alle Seiten Vorteile bringen und Streitigkeiten der Vergangenheit beenden. «Bleibt es definitiv beim Nein, trägt Deutschland die Verantwortung für das Scheitern des Abkommens.»

Die Handelskammer Deutschland-Schweiz teilte mit, ein jahrelanger Streitpunkt zwischen beiden Ländern hätte mit dem Abkommen beigelegt werden können. Eine erneute Belastung des bilateralen Verhältnisses durch künftige Ankäufe vertraulicher Bankdaten seitens deutscher Behörden wäre vermieden worden.

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