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Nepal: Schweizer Hilfe für Wanderarbeitende am Scheideweg

Nepal man on street

Eine halbe Million Wanderarbeitende und ihre Familien haben durch das Safer Migration Project (SaMi) Zugang zu wichtigen Dienstleistungen und Entschädigungen erhalten. Wird die nepalesische Regierung es übernehmen, wenn sich die Schweiz zurückzieht?

Es ist 10.30 Uhr in Dhulikhel, einer Gemeinde in den Hügeln des Bezirks Kabrepalanchok, eine Stunde von der geschäftigen nepalesischen Hauptstadt Kathmandu entfernt. Vor dem Passamt hat sich bereits eine kleine Schlange gebildet. Bevor die Antragsteller:innen Fotos und biometrische Daten für ihre Pässe aufnehmen lassen können, müssen sie einen kleinen Korridor passieren.

Menschen vor einem Gebäude
Menschen stehen Schlange in der Bezirksverwaltung von Dhulikhel, um ihre Pässe abzuholen. Anand Chandrasekhar / SWI swissinfo.ch

In diesem engen Korridor befindet sich das Migrant Resource Centre (MRC), das von der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) mitfinanziert wird. Die strategische Lage lässt es wie einen Teil des ordentlichen Passantragsverfahrens erscheinen – allerdings handelt es sich um einen freiwilligen Zwischenstopp. Zwei Beraterinnen bieten Nepalesinnen und Nepalesen, die im Ausland arbeiten oder studieren wollen, Migrationsberatung an. Um sicherzustellen, dass sie nicht von Mittelsleuten betrogen werden und im Falle eines Notfalls im Ausland über die notwendigen Informationen verfügen.

Mehr als 1300 Fälle im Zusammenhang mit Betrug, Missbrauch und Ausbeutung wurden zwischen 2019/2020 und 2021/2022 von nepalesischen Arbeitsmigrant:innen beim Foreign Employment Tribunal, einem halb-amtlichen Schnellgericht, eingereicht. Dies dürfte nur die Spitze des Eisbergs sein, wenn man bedenkt, dass im Zeitraum 2021/2022 ganze 630’089 neue und erneuerte Arbeitsgenehmigungen erteilt wurden.

«Die meisten Leute mit niedrigem Bildungsstand wissen gar nichts über den Migrationsprozess. Selbst diejenigen, die schon einmal migriert sind, müssen sich auf dem Laufenden halten», sagt Samaya Lama, eine der beiden Beraterinnen, die während des Besuchs von SWI swissinfo.ch im Einsatz waren.

Zwei Menschen bei einer Beraterin an einem Tisch
Das Dhulikhel Migrant Resource Centre ist eines von 38 Zentren in Nepal, die von der Deza mitfinanziert werden. Es dient als erste Anlaufstelle für Informationen für diejenigen, die im Ausland arbeiten oder studieren möchten. Anand Chandrasekhar / SWI swissinfo.ch

Alle, die an einem MRC-Schalter Platz nehmen, erhalten fünf Kernbotschaften: Die Referenzen der Vermittlungsagentur überprüfen; alle Zahlungsbelege aufbewahren; sicherstellen, dass die richtigen Reise- und Arbeitsdokumente vorhanden sind; Überprüfung des offiziellen Status der Arbeitsgenehmigung über die App und die Website der Regierung; und Erwerben einer geeigneten Ausbildung, um bessere Jobs zu bekommen.

Beraterinnen wie Lama notieren die Kontaktinformationen aller Besucher. Etwa 10% erhalten drei Monate später einen Folgeanruf, um sich zu vergewissern, ob ihre Migration gut verlaufen ist.

Ein Mann fotografiert eine Frau
Nach einem Zwischenstopp im MRCgehen die Passbewerber:innen in den nächsten Raum, um ihre Fotos und biometrischen Daten für ein neues Reisedokument aufnehmen zu lassen. Anand Chandrasekhar / SWI swissinfo.ch

Eine einzigartige Initiative

Solche MRCs wie in Dhulikhel gibt es in 38 der 77 Distrikte Nepals. Sie sind das Rückgrat des Safer Migration Project (SaMi), einer bilateralen Initiative zwischen der schweizerischen und der nepalesischen Regierung. Es wird vom nepalesischen Ministerium für Arbeit, Beschäftigung und soziale Sicherheit und 156 lokalen Behörden umgesetzt. Die Schweizer Nichtregierungsorganisation Helvetas leistet im Auftrag der Deza technische Hilfe für das Programm. Nepal ist ein Schwerpunktland der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz, aber das Projekt «Safer Migration» hatte zu Beginn nicht die volle Unterstützung aller Beteiligten.

«Als die Deza 2011 begann, sich für die Migration [in Nepal] zu engagieren, waren alle skeptisch. Die verantwortlichen Deza-Mitarbeitenden wurden sogar von ihren eigenen Kolleg:innen in Frage gestellt», sagt Matthias Meier, Leiter der Zusammenarbeit im Deza-Büro in Kathmandu.

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Damals leisteten die Migrantinnen und Migranten Überweisungen im Wert von 4,2 Milliarden Dollar oder 22,3% des BIP (2021 betrugen die Überweisungen 8,2 Milliarden Dollar oder 23,8% des nepalesischen BIP). Trotzdem gab es nur wenige Sicherheitsvorkehrungen, um sicherzustellen, dass sie gut behandelt und nicht von Mittelsleuten betrogen wurden. Ihre Gesundheit und Sicherheit lag in ihren eigenen Händen und in denen ihrer Nächsten. Erst mit der Fussballweltmeisterschaft 2022 in Katar wurde ihrer Notlage etwas Aufmerksamkeit geschenkt.

«Als ich seinerzeit die Golfstaaten besuchte, sah ich, dass die nepalesische Regierung zögerte, wie sie mit den Leichen dort verstorbener nepalesischer Arbeiter umgehen sollte. Ich war erstaunt zu sehen, wie Menschen aus dem Bezirk eines Verstorbenen Geld spendeten, um den Leichnam zurückzuschicken», sagt Sharu Joshi, eine unabhängige Expertin für ausländische Arbeitsmigration und Beschäftigung.

Das Deza erkannte früh, dass die Schweiz eine Lücke in der Entwicklungshilfe füllen könnte. SaMi soll sicherstellen, dass Migrantinnen und Migranten und ihre Familien von staatlichen Institutionen besser geschützt werden und im Ausland von menschenwürdigen Arbeitsbedingungen profitieren.

«Es gibt keinen Plan, die Migration zu stoppen. Die Regierung ist stolz darauf, sie zu fördern, aber es ist höchste Zeit, über all die negativen Auswirkungen der Beschäftigung im Ausland nachzudenken», sagt Bhim Prasad Sapkota, ein leitender Verwaltungsbeamter im nepalesischen Ministerium für Gesundheit und Bevölkerung.

Bisher wurden im Rahmen des SaMi-Projekts 500’000 Menschen mit Informationen über sichere Migration versorgt, 4,75 Millionen Franken an Entschädigungen durch Rechtsbeistand gesichert und 8000 Personen darin geschult, ihre Fähigkeiten so zu verbessern, dass sie 25% mehr verdienen können.

Doch Zahlen alleine erfassen die veränderte Haltung gegenüber Migrant:innen nicht: «Nach einem Jahrzehnt erfolgreicher Zusammenarbeit mit der nepalesischen Regierung im Rahmen des SaMi-Programms hat sich die Denkweise grundlegend geändert. Die Regierung erkennt den Mehrwert von Migrationsdiensten und die Bedeutung des Schutzes von Wanderarbeitenden an. Das ist wahrscheinlich unser grösster Erfolg», sagt Meier.

Ein rotes Haus in einem Dorf
In den ländlichen Gebieten Nepals haben mehrstöckige Häuser aus Zement die Lehm- und Strohhütten verdrängt – dank der Rücküberweisungen der Wanderarbeiter:innen. Anand Chandrasekhar / SWI swissinfo.ch

Bereit für eine Übergabe?

Das SaMi-Projekt befindet sich derzeit in seiner vorletzten Phase (2018-2024). Die nepalesische Regierung hat ein Drittel der dafür veranschlagten 32 Millionen Franken zugesagt. Auch in Regierungskreisen geniesst das Projekt einen guten Ruf, und es besteht der Wunsch nach mehr Unterstützung.

«Die Zentren sind eine gute Initiative, aber es ist nur ein Versuch und ein relativ kleiner. Solange die Regierung keine grosse, wegweisende Massnahme auf nationaler Ebene plant, bleiben diese Initiativen kleine und unbedeutende Bemühungen», sagt Bhim Prasad.

Wenn SaMi etwas bewirken soll, braucht es die volle Unterstützung der Regierung. In der Endphase, die voraussichtlich drei bis vier Jahre dauern wird, wird die Regierung voraussichtlich sämtliche Kosten übernehmen, während die Deza beratend tätig sein wird.

«Jetzt ist die Zeit reif, dass die Regierung die volle Verantwortung übernimmt. Mit der Unterstützung der Schweiz hat Nepal MRCs eingerichtet, um Migrantinnen und Migranten Dienstleistungen anzubieten, und sie sind sehr bekannt. Die Schweiz wird auch in den nächsten Jahren die Professionalisierung dieser Migrationsdienste sowie die Einrichtung von MRCs in jedem Distrikt unterstützen», sagt Meier.

Ein aufgeschlagenes Schulbuch
In einem Lehrbuch für Sozialwissenschaften an Gymnasien wird die sichere Einwanderung erwähnt. Die meisten Migrant:innen kommen jedoch nicht über die Mittelstufe hinaus. Anand Chandrasekhar / SWI swissinfo.ch

Joshi, die 12 Jahre lang für die Regierung gearbeitet hat, ist nicht allzu optimistisch, dass die Übergabe reibungslos vonstattengehen wird.

«Sie [die Verantwortlichen der Deza] wissen, dass es häufige Regierungswechsel gibt. Oft haben Minister und Sekretär bis zu einer Einigung bereits gewechselt», sagt sie. «Sie hätten mehr informelle Treffen abhalten und mehr Fürsprecherinnen wie uns schaffen sollen, denen die Menschen, die Regierung und die politischen Parteien vertrauen.»

Ihre grösste Sorge ist die mangelnde Koordination zwischen den drei Regierungsebenen. Seit 2015 hat Nepal ein föderalistisches Modell nach Schweizer Vorbild eingeführt, mit einer Bundesregierung, sieben Provinzregierungen und 753 lokalen Regierungen. Das SaMi-Projekt wird in 156 Lokalregierungen umgesetzt, die alle sieben Provinzen abdecken.

In einem internen Bericht aus dem Jahr 2022, in dem die Strategie der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit bewertet wurde, wurde jedoch festgestellt, dass «die geplante zwischenstaatliche Koordinierung auf der Grundlage der drei Ks – Koexistenz, Kooperation und Koordination – nicht organisiert wurde und nicht funktioniert.»

Davon konnte sich Joshi während ihrer Evaluation des SaMi-Projekts überzeugen, als sie die erwähnte Gemeinde Dhulikhel besuchte. Der Bürgermeister erzählte ihr, dass das Landwirtschaftsministerium Geld für die Ziegenzucht zur Verfügung gestellt habe, ebenso die Provinzregierung – und auch die lokale Regierung investiere in dieses Projekt.

«Es gibt drei Ziegenzuchtprogramme in der Gemeinde, und niemand weiss, was die anderen machen. Es gibt keine Koordination», sagt Joshi. «Der Entwicklungspartner muss dem System helfen, sich auf die Übernahme vorzubereiten, anstatt es dem Untergang zu überlassen. Wenn SaMi geschlossen wird und die Regierung es nicht übernimmt, wäre das ein grosser Verlust für Nepal.»

Die WM in Katar hat ein Schlaglicht auf die Notlage der nepalesischen Wanderarbeiter geworfen. Aber nicht auf den Preis, den ihre Frauen dafür zahlen:

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Editiert von Marc Leutenegger, Übertragung aus dem Englischen: Giannis Mavris

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Die Recherche für diesen Artikel wurde durch das Schweizer Programm EQDA (Looking Beyond)Externer Link ermöglicht, das mit Unterstützung der Deza einen jährlichen Austausch von Journalist:innen zwischen der Schweiz und Entwicklungsländern organisiert. Das Thema für 2023 lautet «Demografie».

Medienorganisationen aus den Entwicklungsländern werden von EQDA für den journalistischen Austausch ausgewählt, und die Journalist:innen in jedem Tandem unterstützen sich gegenseitig bei ihrer Berichterstattung in ihren jeweiligen Ländern.

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