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Kampf um die kaffeeliebenden Millennials

Coffee baristas
Was macht eine Nestlé-Marke aus? Der Konzern, dem Nespresso und Nescafe gehören, zahlte letztes Jahr 487 Mio. Franken für einen 68%-Anteil an Blue Bottle Coffee, um seine Position im Markt mit Premium-Kaffee zu verbessern. Keystone

Nach einem stressigen Monat für Kaffeetrinker mit Coca-Colas Kauf von Costa Coffee, der ersten Starbucks-Filiale in Italien und Äusserungen eines Nestlé-Managers über einen potenziellen Markteintritt von Blue Bottle Coffee in Europa scheint die Zukunft für lokale, unabhängige Cafés ungewisser denn je.

Lauschige, lokale Cafés sind seit Jahrzehnten ein Schlachtfeld der Globalisierung. Das Verschwinden geliebter, unabhängiger Cafés, die durch grosse Kaffeeketten von der Bildfläche verdrängt wurden, ist zu einem Symbol dafür geworden, was mit Kapitalismus und freien Märkten nicht in Ordnung ist.

Heute findet eine neue Art von Kaffeekampf statt. Statt lokale Cafés zu verdrängen, schlucken die Giganten diskret kleinere Marken, die unter jungen, hippen Kaffeetrinkern in lokalen urbanen Märkten Fans gefunden haben.

Ein Beispiel dafür ist Nestlé: 2017 kaufte der Konzern Blue Bottle Coffee – eine Kaffeerösterei und Ladenkette, die unter anspruchsvollen Kaffeetrinkern der Millennials (Generation Y) in der kalifornischen Bay Area Kultstatus hat.

Neben der einheimischen Kundschaft fand das Kaffeeunternehmen auch eine treue Anhängerschaft unter jenen Leuten, die neu in die Gegend zogen, um für Tech-Unternehmen wie Twitter oder Facebook zu arbeiten. Das Technologie-Portal TechcrunchExterner Link bezeichnete Blue Bottle als «eines der beliebtesten Kaffee-Projekte im Silicon Valley».

Nestlé bezahlte 500 Millionen Dollar (487 Mio. Franken) für einen Anteil von 68 Prozent an Blue Bottle Coffee, was gewisse Experten als eine der innovativsten Akquisitionen durch einen grossen, globalen Konzern und als kluge Antwort auf den Druck von Investoren zur Steigerung des Wachstums bezeichneten. Es war auch eine teure Anschaffung – bei nur 40 Betrieben waren es 17 Millionen Dollar (16,4 Mio. Franken) pro Laden.

Verlust der lokalen Seele

Als Nestlé die Mehrheitsbeteiligung an Blue Bottle erwarb, löste dies in Kalifornien eine grössere Gegenreaktion aus. Es wurde als eine Art Weltuntergang für die lokalen Kaffeetrinker dargestellt. In sozialen Medien erklärten einige, das Kaffeeunternehmen habe seine Seele an einen Konzern verkauft, der eine Geschichte schlechter Umweltpraktiken habe und wegen seiner Methoden bei der Abfüllung von Trinkwasser mit Boykotten konfrontiert sei.

Doch bisher liess Nestlé Blue Bottle schlicht Blue Bottle sein. Der Konzern steckte Geld in das Kaffeeunternehmen, doch bisher gibt es nur sehr wenige Berichte über wesentliche Veränderungen, was Aussehen, Gefühl und Geschmack von Blue Bottle angeht.

In einem InterviewExterner Link mit dem New York Magazine 2017 erklärte Blue-Bottle-Gründer James Freeman, «unter Nestlés 2000 Marken gibt es, soweit ich weiss, genau eine, die eine eigenständige Einheit ist, mit einem separaten Vorstand – einer separaten Führung, die nicht Teil ihres Personalmanagements und nicht Teil ihres Finanzsystems ist. Und das sind wir».

Unter diesen Vorgaben sind die Angestellten von Blue Bottle keine Angestellten von Nestlé, um eine Frage zu beantworten, die sich dem Leser, der Leserin stellen kann. Das derzeitige Management und die Angestellten behielten eine Minderheitsbeteiligung und führen das Unternehmen weiterhin.

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Dies könnte sich aber in Zukunft ändern. Kurz nachdem Starbucks die Eröffnung seiner ersten Filiale in Italien – der heiligen Heimat des Espresso – bekannt gegeben hatte, kommentierte Marco Settembri, Nestlé-Generaldirektor für Europa, den Nahen Osten und Nordafrika, dass Blue Bottle auch in Europa arbeiten könnte, wo Nestlé bereits über eine starke Marktpräsenz verfügt.

Eine Nestlé-Sprecherin erklärte gegenüber swissinfo.ch, Blue Bottle werde nach marktüblichen Kriterien selbständig geleitet, und «während sie Möglichkeiten für ein Super-Premium-Angebot sehen, hat Blue Bottle keine unmittelbaren Pläne, nach Europa vorzustossen».

Heisse Konkurrenz

Der Fall Nestlé und Blue Bottle ist Teil eines grösseren Trends zur Konsolidierung im hart umkämpften Kaffeemarkt. 2017 berichtete Reuters über neun Kaffee-Deals der europäischen JAB Holding Co. seit 2015. Zudem kaufte Italiens Massimo Zanetti eine Mehrheitsbeteiligung an der indonesischen Rösterei Caswells Coffee und Italiens Lavazza einen beträchtlichen Anteil des französischen Unternehmens Espresso Service Proximité, die dritte Akquisition innerhalb von weniger als zwei Jahren.

Im vergangenen Mai schloss Nestlé auch einen Lizenzvertrag in Höhe von 7,2 Milliarden Dollar (6,9 Mrd. Franken) mit Starbucks über die Rechte zum Verkauf des abgepackten Kaffees der US-Marke ausserhalb von deren eigener Ladenkette ab; die dritte Kaffee-Akquisition von Nestlé innerhalb von drei Jahren.

Ganz zu schweigen von der jüngsten Übernahme der britischen Kaffeehauskette Costa Coffee durch Coca-Cola. Für den US-Getränkekonzern war dies die grösste Akquisition in acht Jahren.

Es gibt verschiedene Erklärungen für diese Anhäufung von Akquisitionen. Erstens gibt es bei Premium-Markenkaffee, der in Läden verkauft wird, einen grossen Preisaufschlag, was ein lukratives Geschäftsmodell ist. Zweitens ist der Markt ziemlich fragmentiert und damit reif für Fusionen oder Übernahmen.

Die Konsumgüterindustrie steht aber insgesamt vor einem grösseren Problem. Wie die Financial Times diesen Sommer berichtete, sind multinationale Konzerne, welche die Konsumgüterindustrie seit Jahrzehnten dominieren, bedroht wie nie zuvor. Grosse Multis versäumten es, dem Trend des Konsumentenverhaltens zu folgen: Mehr und mehr Konsumenten und Konsumentinnen ziehen heute lokale und frischer produzierte Optionen abgepackten Lebensmitteln vor.

Position festigen

Für den Nestlé-Konzern, dem auch Nespresso und Nescafé gehören, war der Kauf von Blue Bottle ein Weg, diesen Trends zu folgen und seine Position im rasch wachsenden Geschäft mit hochwertigen Markenkaffees zu festigen. Eine Nestlé-Sprecherin sagte gegenüber swissinfo.ch, «wir übernahmen einen Mehrheitsanteil an Blue Bottle Coffee, um neue Gelegenheiten im Super-Premium-Marktsegment zu erschliessen und das Kaffeegeschäft von Nestlé weiter zu entwickeln».

Dazu kommt, dass unabhängige Akteure wie Blue Bottle Coffee zwar nur einen kleinen Teil des Kaffeemarkts ausmachen, ihr Einfluss insgesamt aber mehr wert sein mag. Sie sind Teil der so genannten «dritten Welle» der Kaffeebewegung, die auf verantwortungsbewusste Beschaffung, qualitativ hochwertige Bohnen und fachkundige Baristas setzt, die geschult sind in der Kunst und Wissenschaft des Kaffees.

Schätzungen zufolge generierten die Topvertreter dieser «dritten Welle» 2016 zwar nur 126 Millionen Dollar (122 Mio. Franken) mit 123 Läden, im Vergleich zu den 21,3 Milliarden Dollar (20,5 Mrd. Franken) Umsatz von Starbucks mit seinen 25’085 Geschäften weltweit. Sie haben aber loyale Anhänger und Anhängerinnen unter den Millennials, die auf Social Media, einem wichtigen Marketing-Kanal, aktiv sind.

In der Schweiz wird der Umbruch in der Branche genau beobachtet. Das Land ist heute weltweit die Nummer vier beim KaffeekonsumExterner Link pro Kopf und beherbergt einige der grössten Kaffeemaschinen-Produzenten, darunter Franke, Schaerer und Jura. Zudem haben sechs der weltweit bedeutendsten Kaffeehändler ihren Sitz in der Schweiz, in der Region Zürich und im Genfersee-Raum.

Wachstumsdurst

Bedeuten diese Übernahmen das Ende der unabhängigen Cafés? Wahrscheinlich nicht. Zumindest in den meisten europäischen Ländern säumen noch immer viele Cafés in Familienbesitz die Strassen. Es mag mehr eine Frage der Perspektive sein.

Obwohl es zwischen den grossen multinationalen und den kleineren Start-up-Kaffeeketten deutliche Unterschiede gibt, war Blue Bottle schon sehr viel mehr als nur ein Café an der Strassenecke, bevor Nestlé sich den Mehrheitsanteil an dem Unternehmen sicherte.

Blue Bottle hatte neben der Bay Area unter anderem Läden in New York und Tokio und hatte allein bereits Investorengelder von mehr als 100 Millionen Dollar (96 Mio. Franken) angezogen.

Die wirkliche Frage ist, ob kleine, auf das Kaffeehandwerk fokussierte Cafés die grossen multinationalen Konzerne retten werden.

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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