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Tessiner Bankenstadt will sich als Kunstmetropole positionieren

Der Querflügel des LAC hat eine grüne Marmor-Fassade. Wie ein Schiffsbug ragt er Richtung Luganersee. Studio Pagi

Nach gut 15 Jahren Planung und Bauphase eröffnet an diesem Wochenende das neue Kulturzentrum LAC in Lugano. Die Erwartungen sind hoch. Lugano als dritter Finanzplatz der Schweiz will sich mit der Kultur ein zusätzliches Standbein schaffen. Auch die kriselnde Tourismusbranche hofft auf neue Gäste.

Es ist zweifellos ein Meilenstein für Lugano und die ganze italienische Schweiz. Mit der Eröffnung des LAC am Wochenende wird eine neue Epoche eingeläutet. LAC steht für «Lugano Arte e Cultura» (Kunst und Kultur). Das Logo prangt auf der grünen Marmorfassade des Gebäude-Querflügels, der wie der Bug eines Schiffes in Richtung See ragt.

Lugano will Kultur- und nicht nur Bankenplatz sein. Studio Pagi

1999 war die Idee zu diesem Kulturzentrum geboren worden, vom damaligen Stadtpräsidenten Giorgio Giudici (FDP). Schon lange vor der internationalen Finanzkrise hatte er die Vision, die wichtigste Tessiner Stadt in eine neue Epoche zu katapultieren und von ihrem ausschliesslichen Image als Bankenplatz und Finanzzentrum zu befreien.

Die Vision erwies sich als weise. Denn der dritte Finanzplatz der Schweiz, der sein Geschäft zu einem grossen Teil mit italienischen Kunden macht, hat stark Federn gelassen. Der Steuerertrag der Banken ist eingebrochen, die Finanzlage der Stadt ist prekär. «Mit der Kultur haben wir nun ein weiteres Standbein», sagt Stadtpräsident Marco Borradori (Lega).  

Allerdings muss für die Kultur zuerst einmal investiert werden. Stolze 210 Millionen Franken hat die Stadt Lugano in den Bau des LAC gesteckt. Nun stehen jährliche Betriebskosten von gut 6 Millionen an. Doch die Stadt ist überzeugt, diese Belastung stemmen zu können.

Brücke zwischen Nord und Süd  

Herzstück des Kulturzentrums: der Konzert- und Theatersaal. Studio Pagi

Die Geschichte des LAC ist lang und kompliziert. Das Projekt wurde von Diskussionen und Polemiken begleitet. Begonnen hat die Geschichte schon 1994, als die Stadt Lugano das Areal des ehemaligen Luxushotels Palace von der damaligen Kreditanstalt für 30 Millionen Franken erwarb. Über Jahrzehnte war es ein Objekt von Immobilienspekulation gewesen. Zuerst wollte man dort wieder ein Hotel mitsamt einer Spielbank schaffen.

Entstanden ist schliesslich das Kulturzentrum, das sich nun als architektonisches und urbanistisches Zeichen einer neuen Stadt präsentiert. «Es ist in Lugano das erste urbanistische Zeichen nach der Universität», hält Vizestadtpräsident Giovanna Masoni Brenni (FDP) fest, die für die Kulturpolitik Luganos verantwortlich zeichnet. Dabei ist Lugano seither enorm gewachsen und zählt dank Gemeindefusionen mittlerweile mehr als 60‘000 Einwohner.

Ein Zuhause für Daniele Finzi Pasca

Im Gegensatz zu grossen Theater- oder Mehrspartenhäusern der deutschen Schweiz verfügt das LAC nicht über ein eigenes Theater- oder Opernensemble. Bei den Aufführungen handelt es sich um Gastspiele.

Eine Ausnahme bildet neben dem Orchester der italienischen Schweiz (OSI) die Theatergruppe Compagnia Finzi Pasca, die von Daniele Finzi Pasca geleitet wird. Der aus Lugano stammende Regisseur, der durch seine Inszenierungen der Olympiade-Schlussfeiern in Turin und Sotschi weltbekannt wurde und mit seiner Truppe stets durch die Welt reist, wird das LAC zu seinem Stammsitz machen. «Ich habe hier mein Zuhause gefunden“, sagte Finzi Pasca.

Die Stadt Lugano unterstützt sein Ensemble nun auch finanziell. Im Gegenzug muss er ab 2016 zwei Neuproduktionen pro Jahr in Lugano lancieren. Die Compagnia erhält für die Dreijahresperiode 2015 bis 2017 jährlich 250‘000 Franken von der Stadt Lugano, denselben Betrag vom Kanton Tessin sowie 150‘000 Franken von Pro Helvetia.

Gedacht ist das neue Haus der Kultur in erster Linie für die einheimische Bevölkerung. Doch in zweiter Linie werden auch Auswärtige und Touristen angesprochen. Lugano will sich als Kulturstadt zwischen Mailand und Luzern/Zürich einen Namen machen. «Wir wollen zudem eine kulturelle Brücke zwischen Nord und Süd schlagen», betont Masoni.

Moderner Konzert- und Theatersaal

Herzstück von Luganos Kulturzentrum ist ein vollständig mit Birnenholz ausgekleideter Konzert- und Theatersaal mit 1000 Plätzen, der in enger Zusammenarbeit mit der auf Akustik spezialisierten Münchner Firma Müller-BBM nach modernsten Kriterien konzipiert wurde.

Für Konzerte klassischer Musik wird eine Orchestermuschel aufgebaut; akustisch wirksame Vorhänge ermöglichen eine Anpassung der Nachhallzeit an unterschiedlichste Anforderungen. Für Opernaufführungen steht ein Orchestergraben zur Verfügung. Bis zu 70 Musiker finden hier Platz.

Dank Dimension und neuester Bühnentechnik können fürs Theater nun Stücke programmiert werden, an deren Aufführung bisher in Lugano und im ganzen Tessin nicht zu denken war. Beispielsweise «La Verità» von der Compagnia Finzi Pasca, die am Eröffnungsabend und in der nachfolgenden Woche zu sehen ist.

Räume für bildende Kunst

Der Theater- und Konzertsaal ist durch ein riesiges Atrium mit dem Museumstrakt verbunden. Erstmals haben die bildenden Künste in Lugano eigene Räumlichkeiten, die speziell für Ausstellungen konzipiert wurden. Bisher waren historische Villen als Kunstmuseen umgenutzt worden.

LAC – eine kleine Chronik

1885 eröffnet in Lugano das Hôtel du Parc, das 1903 den Namen Grand Hôtel Palace erhält. 1969 wird der Hotelbetrieb eingestellt. 1994 erwirbt die Stadt Lugano nach mehreren Handänderungen und Bränden das Areal mit der Hotelruine. 1999 entscheidet die Stadt, das Areal für ein neues Kulturzentrum zu nutzen. 2000 In einer Volksabstimmung entscheiden die Luganeser, dass die Fassaden des historischen Hotels erhalten bleiben müssen. Das Gebäude wird schliesslich von Privaten (Mantegazza-Gruppe) renoviert und in eine Residenz mit 30 Luxuswohnungen und Boutiquen umgewandelt. 2000 wird ein Architekturwettbewerb für das Kulturzentrum ausgeschrieben. Den Zuschlag erhält das Projekt von Architekt Ivano Gianola aus Mendrisio. 2010 Grundsteinlegung für das neue LAC. 2015 am 12. September wird das LAC feierlich eröffnet.

Die Eröffnungsausstellung trägt den Titel «Orizzonte Nord-Sud» mit Meisterwerken beidseits der Alpen aus den Jahren 1840-1960. Der Titel passt in die programmatische Linie des Hauses, das sich – wie erwähnt – auf dem Schnittpunkt zwischen nördlicher und südlicher Kultur positionieren will.

Der Eintritt zur Dauerausstellung wird im Übrigen gratis sein. Die Stadt will, dass das LAC ein lebendiger Kulturraum wird, in dem Familien auch mal auf einem Spaziergang vorbei schauen. Für Schüler und Jugendliche sind besondere didaktische Aktivitäten geplant.

Kultureller Leuchtturm  

Die Ziele sind hoch gesteckt. «Ich will das LAC zu etwas Einzigartigem machen, mit einer stark nationalen und internationalen Ausrichtung», sagt LAC-Direktor Michel Gagnon. Die Stadt Lugano setzt grosse Hoffnungen auf den 58-jährigen Kanadier, den man aus Montreal abgeworben hat, wo er als Programmdirektor des grossen Kulturzentrums Place des Arts amtete.

Diese Ausrichtung kommt den Touristikern entgegen. «Mit der Eröffnung des neuen Kulturzentrums LAC Lugano Arte e Cultura bietet das Tessin künftig auch kulturinteressierten Touristen einen Anziehungspunkt in der Sonnenstube der Schweiz», meint Elia Frapolli, Direktor von Tessin Tourismus.

Mit einem hochwertigen Programm an Kulturveranstaltungen könne das LAC ein neuer kultureller Leuchtturm der Schweiz werden, der darüber hinaus unabhängig sei von Wetter und Jahreszeiten. Entsprechend werde Ticino Turismo das neue Angebot mit seinen Marketingaktivitäten im In- und Ausland bewerben.

Tourismus braucht Attraktionen

Das Observatorium für den Tourismus der italienischen Schweiz (Otur) hat in einer vor kurzem publizierten Studie die Stärken und Schwächen des Tourismus im Tessin aufgezeigt. Bemängelt werden von Seiten der Touristen immer wieder ein schlecht ausgebauter öffentlicher Verkehr, fehlende Aktivitätsmöglichkeiten im Falle von schlechtem Wetter. Auch Top-Spots wie Museen von internationaler Bedeutung fehlen im Wunschkatalog der Touristen. Hier könnte das LAC in Zukunft für Abhilfe sorgen.

Als Pluspunkte für den Tourismus gelten Landschaft, Klima, das gastronomische Angebot, Shopping, aber auch die Unesco-Welterbestätten wie die Burgen von Bellinzona sowie Grossveranstaltungen wie das Filmfestival von Locarno.

Hotellerie und der Tourismus stehen im Tessin – ähnlich wie in Graubünden – stark unter Druck, insbesondere seit der Aufhebung des Euro-Franken-Mindestkurses. Im ersten Halbjahr 2015 hat das Tessin im Vergleich zum gleichen Vorjahresraum 48‘000 Logiernächte weniger verzeichnet. Dies entspricht einem Minus von 4,9 Prozent, während landesweit der Rückgang nur 0, 6 Prozent betrug. Auch im Juli und August konnte keine Trendwende verzeichnet werden.

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