«Nicht mehr der Standort, wo alle unbedingt hin wollen»
Noch gehört die Schweiz weltweit zu den attraktivsten Standorten. Aber die Steuerreform und vor allem die Zuwanderungspolitik der Schweiz sorgen bei internationalen Investoren für Verunsicherung. Die Personenfreizügigkeit sei besonders für wertschöpfungsintensive Firmen der entscheidende Faktor, sagen die Standortförderer der stärksten Wirtschaftsregionen.
Den attraktivsten Standort der Schweiz hat laut den jährlichen Studien der Grossbanken Credit Suisse und UBS unangefochten der Kanton Zug. Dieser begründet seinen Spitzenplatz vor allem mit vier Faktoren: finanzielle Rahmenbedingungen, Fachkräfte-Potential, Verkehrsanschluss, Stabilität.
«Diese Faktoren stehen bei der Standortfrage auch zuoberst auf der Agenda der Firmen», sagt Beat Bachmann, Leiter der Zuger Wirtschaftsförderung. Wenn in der Schweiz bezüglich Attraktivität etwas ändere, dann werde dies in Zug schnell sichtbar. Zum Beispiel in der Anzahl Neuansiedlungen, die laut Bachmann in den letzten zwei Jahren wie in der ganzen Schweiz stark rückläufig sind.
«Dies hat klar damit zu tun, dass die Schweiz bei ausländischen Investoren wegen gewisser Abstimmungen weniger attraktiv geworden ist. Der wichtigste negative Faktor ist im Moment eindeutig die Frage der Verfügbarkeit von Fachkräften», sagt Beat Bachmann mit Blick auf die vom Stimmvolk 2014 angenommene Initiative «gegen Masseneinwanderung» (MEI), welche die Einwanderung auch aus der EU mit Kontingenten bremsen will.
Kontingentiert sind in der Schweiz immer noch die Bewilligungen für ausländische Arbeitskräfte ausserhalb des EU/Efta-Raums, aus sogenannten Drittstaaten. Dass der Bundesrat diese Kontingente kürzlich stark reduziert habe, sendet laut Bachmann ein sehr negatives Signal.
«Solche Massnahmen lösen im Ausland grosse Bedenken aus, ob die benötigten Fachkräfte zur Verfügung stehen. Natürlich geben sich die Firmen Mühe, möglichst Mitarbeitende aus der Region anzustellen. Solche sind im Inland jedoch nicht immer verfügbar. Zudem muss beim Aufbau eines neuen Geschäftszweigs oft zuerst auf das vorhandene Know-how in der Firma, d.h. auf eigene Leute zurückgegriffen werden können.»
Inländer-Potential nutzen
Im Kanton Zürich, der im Standortranking hinter Zug den zweiten Platz belegt, ist die Standortförderung beim Amt für Wirtschaft und Arbeit untergebracht, das gleichzeitig für die Arbeitsvermittlung zuständig ist. «Wir versuchen, nicht nur den Bedürfnissen der Wirtschaft, sondern dem volkswirtschaftlichen Gesamtinteresse Rechnung zu tragen.» Und dazu gehörten auch die Stellensuchenden in der Schweiz», sagt die Medienverantwortliche Irene Tschopp.
«Wenn bei uns zum Beispiel viele Gesuche für die kurzfristige Entsendung von IT-Spezialisten aus Drittstaaten in die Schweiz eintreffen, nehmen wir mit den Providern Kontakt auf, damit diese zuerst Fachkräfte in der Schweiz prüfen, also arbeitslose IT-Leute.»
Die Firmen hätten zwar Bedenken zur Verfügbarkeit von Fachkräften formuliert, aber «es gibt immer noch viele, die sich in Zürich ansiedeln oder ihren Standort ausbauen», sagt Irene Tschopp mit einem Hinweis auf die Firmen Google oder Zimmer Biomet.
Im Kanton Basel-Landschaft ist der Leiter der Wirtschaftsförderung, Thomas de Courten, auch Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei (SVP), welche die MEI lanciert hatte. Der Basler Standort hat laut de Courten unter der Initiative bisher nicht gelitten. Auf die Frage, welche Rolle die Personenfreizügigkeit bei der Ansiedlung neuer Unternehmungen spiele, antwortet er: «Im internationalen Umfeld mit Drittstaaten funktioniert das Kontingentsregime bisher auch in unserer Region bestens.»
«Abschreckende Wirkung»
«Finding great people is key to any business success.» Das ist der Titel eines Videos der Greater Zurich AreaExterner Link AG (GZA), die für Zürich, Zug und acht weitere Kantone, Regionen und Städte Standortpromotion im Ausland macht. Auch die GZA hebt die hohe Lebensqualität, die Zuverlässigkeit sowie die Attraktivität des Standorts für qualifizierte Arbeitskräfte aus aller Welt hervor.
«Für die Firmen, die wir proaktiv angehen, ist es ausschlaggebend, ob sie die Fachleute einstellen können, die sie benötigen», sagt Sonja Wollkopf Walt, die Geschäftsleiterin der GZA. Die Personenfreizügigkeit sei ein entscheidender Faktor im Standortmarketing. Die MEI habe eine abschreckende Wirkung, besonders für wertschöpfungsintensive Firmen, betont sie. «Wir können den Firmen nicht mehr versprechen, dass sie in Zukunft die nötigen Arbeitsbewilligungen erhalten werden.»
Die Verlässlichkeit, die im Standortwettbewerb zu den wichtigsten Trümpfen der Schweiz gehöre, werde derzeit strapaziert. Weil niemand wisse, wie diese Initiative umgesetzt werde, und auch andere Rahmenbedingungen wie die Unternehmensbesteuerung noch nicht klar genug definiert werden könnten. Die Firmen verhielten sich deshalb abwartend, sagt Sonja Wollkopf Walt.
Das zeigt sich auch in den Zahlen. Im Zeitraum 2009 bis 2013 konnte die GZA zusammen mit ihren kantonalen, regionalen und städtischen Partnern insgesamt 464 Firmen mit 4165 Stellen ansiedeln, also pro Jahr im Durchschnitt mehr als 80 Firmen mit rund 830 Arbeitsplätzen. Im letzten Jahr waren es 65 Firmen mit 457 Stellen. Für 2015 zeichnet sich eine vergleichbare Entwicklung ab.
«Fette Jahre sind vorbei»
Ähnliche Erfahrungen wie in Zürich machen die Standortförderer im Westen der Schweiz. «Es ist schwieriger geworden, Firmen zu akquirieren», sagt Thomas Bohn, Geschäftsführer der Greater Geneva Berne AreaExterner Link (GGBa), die den Standort von sechs Westschweizer Kantonen bewirbt. 2014 konnte die GGBa 87 Firmen ansiedeln mit mehr als 1000 Arbeitsplätzen. «Ein ausgezeichnetes Jahr», bilanziert Bohn, «aber die ganz fetten Jahre, als sich gleichzeitig viele grosse Firmen mit mehreren hundert Leuten ansiedelten, sind vorbei. Wir befinden uns in einer Periode mit einigen Unsicherheiten.» Für Unsicherheit sorgten vor allem die MEI und die Unternehmenssteuer-Reform. «Firmen, die sich für die Schweiz interessieren, kommen gerade wegen der Sicherheit und Stabilität hier her.»
Rückläufige Ansiedlungen
2014 siedelten sich 274 ausländische Unternehmen in der Schweiz an. Dabei sind mindestens 780 Arbeitsplätze entstanden. In den nächsten drei Jahren sollen nach Angaben dieser angesiedelten Firmen insgesamt rund 3000 neue Stellen geschaffen werden. Gegenüber 2013 haben sich im letzten Jahr 8% weniger Firmen angesiedelt. Die Zahl der mit der Ansiedlung entstandenen Arbeitsplätze sank sogar um 20%. Dies geht aus einer Erhebung des Generalsekretariats der Konferenz Kantonaler Volkswirtschaftsdirektoren (VDK) hervor. Die VDK erhebt für die ganze Schweiz einmal pro Jahr die Zahlen für Ansiedelungen von Unternehmen aus dem Ausland sowie von den im Berichtsjahr neu geschaffenen Arbeitsplätzen.
Die Schweiz sei aber im internationalen Vergleich immer noch sehr attraktiv, fügt Thomas Bohn mit Verweis auf das Wettbewerbs-RankingExterner Link hinzu, wo das Land weltweit einen Spitzenplatz belegt. «Aber wir sind nicht mehr der Standort, wo alle unbedingt hin wollen.»
Schwierigere Rahmenbedingungen diagnostiziert auch Regula Matzek, Pressesprecherin der BaselAreaExterner Link. «Ansiedlungswillige Firmen sind über die Entwicklung in der Schweiz sehr gut informiert, manchmal auch alarmiert. In den Beratungsgesprächen werden kritischere Fragen gestellt. Es braucht mehr Überzeugungsarbeit», sagt sie.
Trotzdem sei das Interesse stabil geblieben für den Standort, der sich unter anderem mit der «europaweit höchsten Dichte an Life-Sciences-Unternehmen» sowie mit seinem «Talentpool» hervorhebt, für den «Arbeitskräfte aus 165 Nationen und Grenzgänger aus Deutschland und Frankreich sorgen».
Auf die Frage, welche Konsequenzen eine eingeschränkte Personenfreizügigkeit für die Wirtschaftsregion haben könnte, gibt sich Matzek optimistisch und verweist auf ein Zitat von Severin Schwan, CEO des Basler Pharma-Riesen Roche. Dieser gab sich in einem Interview mit Radio SRF zum Thema MEI zuversichtlich, «dass wir gute, pragmatische Lösungen finden werden».
«Ich teile diese Einschätzung», sagt Regula Matzek und bilanziert: «Die Tendenz ist rückläufig, aber von einem Einbruch kann keine Rede sein.»
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