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Novartis kritisiert US-Vorstoss zur Senkung der Medikamentenpreise

Joe Biden
Die Regierung Biden hat zehn Medikamente bestimmt, die in die erste Verhandlungsrunde mit der öffentlichen Krankenkasse Medicare einbezogen werden. Ziel is es, die Kosten im amerikanischen Gesundheitswesen zu senken. Keystone / Shawn Thew / Pool

Der in Basel ansässige Pharmariese hat sich der Kritik von Branchenkollegen an den Plänen der US-Regierung angeschlossen, im Rahmen des Inflation Reduction Act die Arzneimittelpreise zu senken.

In einer Pressemitteilung erklärte Novartis, die Preisfestsetzungsbestimmungen im Rahmen des US Inflation Reduction Acts seien «verfassungswidrig» und würden «die Fähigkeit der pharmazeutischen Industrie einschränken, neue lebensrettende und sinnvolle Medikamente für die Menschen zu entwickeln, die dringend benötigt werden».

Die Kommentare kamen kurz nachdem die US Centers for Medicare & Medicaid Services (CMS) zehn Medikamente bekannt gegeben hatten, die Gegenstand der ersten Runde der Preisverhandlungen im Rahmen des Inflation Reduction Act sein werden. Darunter befindet sich auch das Medikament Entresto des Basler Unternehmens, das zur Behandlung von Herzinsuffizienz eingesetzt wird.

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Schweizer Pharma kämpft gegen tiefere US-Medipreise

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Ein Gesetzentwurf im US-Kongress will die Medikamentenpreise senken. Pharmariesen wie Roche und Novartis betreiben intensive Lobbyarbeit dagegen.

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Mit dem im August letzten Jahres vom US-Kongress verabschiedeten Gesetz wurde Medicare, die staatliche Krankenversicherung für Menschen über 65 Jahre, die Befugnis erteilt, die Preise für eine Reihe von Arzneimitteln auszuhandeln, um die Gesundheitskosten zu verringern. Das US Congressional Budget Office schätzt, dass infolge der Verhandlungen über einen Zeitraum von zehn Jahren 96 Milliarden Dollar (84 Milliarden Franken) einsparen werden können.

Letztes Jahr haben 587’000 Medicare-Versicherte Entresto eingenommen, was die Regierung rund 2,8 Millionen Dollar kostete. Damit war es eines der am häufigsten verwendeten und teuersten Medikamente, die von der staatlichen Versicherung übernommen wurden. Novartis und andere Unternehmen, deren Medikamente auf der Liste stehen, haben nun ein Jahr Zeit, um die Preise auszuhandeln, die Anfang 2026 in Kraft treten sollen.

Klage eingereicht

Branchenanalysten zufolge dürften die finanziellen Auswirkungen für die Unternehmen in der ersten Verhandlungsrunde gering sein, da viele der Medikamente kurz vor dem Patentablauf stehen. Die Exklusivität von Entresto wird voraussichtlich 2027 auslaufen, was bedeutet, dass der ausgehandelte Preis für das Arzneimittel nur etwa ein Jahr lang gelten wird. 

Das hat die Unternehmen jedoch nicht davon abgehalten, sich gegen die Massnahme zu wehren. Sechs Pharmaunternehmen verklagen die US-Regierung mit dem Argument, der Inflation Reduction Act verletze die verfassungsmässigen Rechte der Hersteller. Der US-Industrieverband und die US-Handelskammer haben ebenfalls rechtliche Schritte eingeleitet.

Ein Sprecher von Novartis erklärte gegenüber SWI swissinfo.ch, dass sich das Unternehmen keiner Klage angeschlossen hat, aber «weiterhin alle rechtlichen Möglichkeiten prüft».

Novartis und andere Unternehmen stellen nicht nur die Verfassungsmässigkeit des Inflationsbekämpfungsgesetzes in Frage, sondern argumentieren auch, dass die Massnahme der Innovation schadet und Investitionen in bestimmten medizinischen Feldern, etwa bei den Alterskrankheiten, verhindert.

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Die Industrie hat auch eine spezielle Bestimmung des Gesetzes ins Visier genommen, die ihrer Meinung nach Investitionen in niedermolekulare Arzneimittel, d. h. in Pillen auf chemischer Basis wie Entresto, verhindert. Diese dürfen nur neun Jahre auf dem Markt sein, bevor sie zum ausgehandelten Preis verkauft werden müssen, während grossmolekulare Medikamente wie Biologika, die in der Entwicklung teurer sind, ein Zeitfenster von 13 Jahren haben. In der Regel sind Arzneimittel 14-16 Jahre geschützt, bevor der Wettbewerb einsetzt.

Der Sprecher erklärte gegenüber SWI, dass Novartis «bereits einige Versuche mit Krebsmedikamenten im Frühstadium abgebrochen hat», in der Annahme, dass ein Horizont von neun Jahren nicht genüge, um ein Medikament für alle Indikationen zu entwickeln.

Einige Gesundheitsexpert:innen in den USA widersprechen. Sie sind überzeugt, dass die Zeit auf dem Markt für die Unternehmen lang genug sei, um beträchtliche Gewinne zu erzielen, so dass die Bedrohung für die Innovation minimal ausfalle.

Hohe Preisdifferenzen

Die heftigen Reaktionen der Industrie sind keine grosse Überraschung. Der US-Markt ist seit langem der Umsatzmotor für die Pharmaindustrie, auch weil die Unternehmen ihre Preise frei bestimmen können.

Nach Angaben des Datenanalyseunternehmens IQVIA entfielen im Jahr 2022 52,3% des weltweiten Arzneimittelumsatzes auf Nordamerika, gegenüber 22,4% in Europa. Bei neuen Medikamenten ist der Anteil sogar noch höher. Rund 64,4% des Umsatzes mit neuen Medikamenten, die im Zeitraum 2017-2022 auf den Markt gebracht wurden, entfielen auf den US-Markt, verglichen mit 16,4% auf den europäischen Markt. Der Gewinnbeitrag der USA ist sogar noch höher.

Entresto war mit einem Umsatz von 4,6 Milliarden US-Dollar im Jahr 2022 das zweitumsatzstärkste Medikament von Novartis. Die Hälfte davon stammte aus dem US-Geschäft und etwa die Hälfte davon floss via Medicare.

Der aktuelle Listenpreis von Entresto in den USA beträgt 667,97 Dollar (589 Franken) pro Monat, aber Novartis gibt an, mit vielen Kostenträgern, darunter Medicare, hohe Rabatte ausgehandelt zu haben. Ein Vergleich der Arzneimittelkosten in verschiedenen Gesundheitssystemen ist schwierig. In der Schweiz beträgt der monatliche Preis von Entresto CHF 123,90 (Herstellerabgabepreis) bzw. CHF 158,65 (Einzelhandelspreis).

In der Schweiz legt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) den Preis für neue Medikamente fest, oft in Verhandlungen mit dem Hersteller. Erst wenn der Preis festgelegt ist, kann das Medikament auf die so genannte Spezialitätenliste gesetzt und von der Versicherung erstattet werden.

Übertragung aus dem Englischen: Marc Leutenegger

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