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#NoWhiteSaviors: Ist Hilfe von Weissen kolonialistisch?

Menschen schütteln sich Hände
Ausschnitt aus einem satirischen Video der Organisation SAIH Norway. YouTube/SAIH Norway

Das Stereotyp hält sich hartnäckig: Die arme Bevölkerung in Afrika oder Lateinamerika braucht Unterstützung, weisse Retter:innen eilen zu Hilfe. Was dies mit Kolonialismus zu tun hat.

Im Jahr 2009 reiste eine junge Amerikanerin nach Uganda. Ihr Ziel: Armen Menschen helfen. Sie gab bedürftigen Familien kostenlose Mahlzeiten. Mit der Zeit weitete sie ihr Engagement aus, gründete eine Hilfsorganisation und ein Gesundheitszentrum, in dem sie unterernährte Kinder behandelte.

Im Jahr 2020 klagten Mütter von verstorbenen Kindern gegen die Amerikanerin. Der Vorwurf: Sie habe ihre Kinder medizinisch behandelt, ohne über eine Ausbildung zur verfügen.

Der Fall warf in Uganda hohe Wellen. Aktivist:innenExterner Link fuhren auf Social Media unter dem Hashtag #NoWhiteSaviors eine Kampagne. Der Fall sei typisch: Junge, privilegierte Weisse kämen nach Afrika, um sich als Helfer:innen aufzuspielen, ohne über die notwendigen Kompetenzen zu verfügen oder die lokalen Gegebenheiten zu kennen.

Auf Fox News legte die Amerikanerin ihre Sicht der Dinge dar: 

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Einheimische sollten in vorderster Reihe stehen

Bereits 2012 hatte sich der nigerianisch-amerikanische Schriftsteller Teju Cole über die Entwicklungshilfeindustrie, den «White-Savior Industrial ComplexExterner Link«, geärgert: Ein Niemand aus Amerika oder Europa könne nach Afrika gehen und zum gottgleichen Retter werden, oder zumindest ihre oder seine emotionalen Bedürfnisse befriedigen.

Satirisch auf den Punkt bringt es die Studierendenorganisation SAIH Norway:

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Wenn Amerikanerinnen oder Amerikaner Afrika helfen wollten, so Cole, sollten sie sich zuerst um die amerikanische Aussenpolitik kümmern, auf die sie dank Wahlen direkten Einfluss hätten.

Der Fall der beschuldigten Amerikanerin wurde aussergerichtlich mit Entschädigungszahlungen beigelegt. Doch die Debatte bleibt aktuell.

Porträtbild einer jungen Frau
Die Politikwissenschaftlerin Faye Ekong forscht über soziale Transformationen und berät mit Ravelworks Africa andere Unternehmen. zvg

Das sagt auch die britisch-nigerianische Unternehmensberaterin und Politikwissenschaftlerin Faye EkongExterner Link, die in Ghana aufgewachsen ist – wo sie eine Schweizer Schule besuchte – und heute in Kenia lebt und arbeitet. «Die Debatte ist eingängig und hochaktuell.» Es gehe nicht darum, die Entwicklungszusammenarbeit zu stoppen oder weisse Menschen aus der humanitären Hilfe zu verbannen. «Aber die Menschen aus den lokalen Communities sollten in der vordersten Reihe stehen», so Ekong.

‹Lokalisierung der Hilfe›, so lautet der Fachbegriff. Es geht nicht nur darum, wer über den Einsatz der Mittel entscheidet, es geht auch um Sichtbarkeit und darum, wer am Ende den Applaus erntet. Kurz: «Die Menschen im Globalen Süden sagen: Wir wollen nicht, dass Weisse die Helden unserer Geschichten sind», so Ekong. Keine weissen Hollywood-Stars mehr, die sich mit dunkelhäutigen Kindern in einem afrikanischen Land ablichten und als Held:innen feiern lassen.

Angelina Jolie
Hollywood-Schauspielerin Angelina Jolie spricht 2019 als UNHCR-Sondergesandte mit Kindern, die aus Venezuela geflohen sind. Keystone / Andrew Mcconnell / Handout
Mann beugt sich zu Kind
Hollywood-Schauspieler Orlando Bloom 2015 als Unicef-Botschafter in Liberia. Keystone / Unicef Handout

Ekong bedauert, dass die Debatte um «NoWhiteSaviors» inzwischen so gehässig geworden ist und stark um die Hautfarbe kreist, das erschwere einen fruchtbaren Dialog. Wichtig findet sie, dass weisse Helfer:innen ihr eigenes Verhalten reflektierten: «Warum bin ich die Person, die eine Präsentation macht, die mit Spender:innen spricht, die auf Social Media postet?» Helfer:innen sollten sich auch fragen, warum sie in ein anderes Land reisen, um soziale Probleme zu lösen, die es – vielleicht in einem anderen Ausmass – auch in Europa, den USA und Australien gebe.

Bettlerin
Eine Bettlerin in Genf im Mai 2021. Keystone / Salvatore Di Nolfi

Alter Wein in neuen Schläuchen

Die Debatte ist nicht neu. In der Wissenschaft wird mindestens seit den 1950er-Jahren systematisch dazu geschrieben. Doch eine Kampagne auf den sozialen Netzwerken unter dem Hashtag «NoWhiteSaviors» erregt nun mal mehr Aufmerksamkeit als Bücher und Abhandlungen in Universitätsbibliotheken.

«Die Debatte über die Dekolonisierung der Entwicklungshilfe wird im Globalen Süden bereits seit Jahrzehnten geführt», sagt Ekong. «Im Globalen Norden hat man es einfach nicht gemerkt.» Das habe sich erst nach der Ermordung von George Floyd in den USA und der Black Lives Matter-Bewegung geändert.

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Grundstruktur der Entwicklungszusammenarbeit

Auch Elisio Macamo kennt die Debatte über die «weissen Retterinnen und Retter». Der Professor für Soziologie mit Schwerpunkt Afrika an der Universität Basel ist in Mozambique geboren und aufgewachsen. «Ich bin der Meinung, dass wir manchmal übertreiben. Man kann den Eindruck gewinnen, dass man keine Weissen in der Entwicklungszusammenarbeit will, oder dass Mitleid unerwünscht ist. Für mich geht es mehr um die Grundstruktur der Entwicklungszusammenarbeit.» Diese werde nämlich geleitet, geprägt und beeinflusst von denjenigen Ländern, die Geld hätten.

Und damit werden koloniale Strukturen aufrechterhalten. Die NGO Peace Direct kommt in einem BerichtExterner Link zum Schluss, dass viele Praktiken und Einstellungen im Entwicklungshilfesystem die Kolonialzeit widerspiegeln. Nur anerkennen das die meisten Organisationen und Geber:innen im Globalen Norden ungern. Laut Peace Direct spiegeln die Geldflüsse häufig vergangene koloniale Beziehungen wider – ehemalige Kolonialmächte investieren mit VorliebeExterner Link in ihre ehemaligen Kolonien –, mit einer Konzentration der Entscheidungsgewalt im Globalen Norden.

«Das Hilfssystem ist so konstruiert, dass es bestehende Machtdynamiken verstärkt», sagt auch Ekong. «Geld und Expertise fliessen vom Norden in den Süden. Der Norden entscheidet, was mit dem Geld gemacht wird.»

Schweiz: Koloniales Auftreten ohne Kolonien

Die Schweiz hatte nie Kolonien. Damit ist sie jedoch nicht automatisch vor kolonialem Auftreten gefeit.

«Der Entwicklungsapparat in der Schweiz ist immer noch kolonial», so Macamo. «Es herrscht die Vorstellung vor, die Schweiz helfe anderen Ländern beim Lösen von Problemen, die sie selbst verursacht hätten – ohne dabei die Rolle der Weltwirtschaft zu berücksichtigen.» Macamo betont aber, dass in der schweizerischen Zivilgesellschaft und in akademischen Milieus durchaus eine selbstkritische Debatte stattfinde.

In einem Punkt treibt es die Schweiz allerdings auf die Spitze: Wenn Korruptionsgelder aus Entwicklungsländern auf Schweizer Konten landen, zahlt die Schweiz die Gelder zuweilen in Form von Entwicklungshilfe-Projekten an die betroffenen Länder zurück. Dies, um zu verhindern, dass die Gelder wieder in der Korruption versickern. Zwar legt die Schweiz grosses Gewicht auf die Mitsprache der betroffenen Länder, dennoch kommt die Praxis im Globalen Süden nicht nur gut an.

Mehr zur Praxis der Schweiz in diesem Artikel:

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Schmutziges Geld sauber zurückgeben – aber wie?

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Wenn zu befürchten ist, dass Potentatengelder in der Korruption versickern, zahlt die Schweiz sie über Entwicklungsprojekte zurück.

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Sowohl Macamo als auch Ekong verstehen zwar die Intention dieser Rückgabepraxis, finden das Verhalten der Schweiz aber kolonialistisch. Während sich Macamo vor allem am Narrativ der gutmeinenden Schweiz und der korrupten Entwicklungsländer stört, bringt es Ekong mit einer Metapher auf den Punkt: «Das ist etwa so, wie wenn ich deine Kreditkarte auf der Strasse finde und auf der Abrechnung sehe, dass du viel Geld für Parfums und andere überflüssige Dinge ausgibst, und statt dir die Kreditkarte zurückzugeben, zum nächsten Supermarkt fahre und dir dort Gutscheine für Gemüse und Früchte besorge», so Ekong. «Ich verstehe, warum die Schweiz das tut, aber ich bin nicht sicher, ob es der beste Weg im aktuellen Klima ist.»

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