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Grünes Licht des Parlaments für Schweizer Energiewende

Im Rahmen der Energiestrategie 2050 ist eine finanzielle Unterstützung der Wasserkraftwerke (hier jenes von Hagneck im Kanton Bern) vorgesehen. Keystone

Die beiden Kammern des Schweizer Parlaments haben dem ersten Massnahmenpaket der Energiestrategie 2015 zugestimmt. Vorgesehen sind ein Ausstieg aus der Nuklearenergie und eine Förderung von erneuerbaren Energiequellen. Die ursprünglichen Ziele der Regierung wurden allerdings vom Parlament nach unten revidiert.

Zwei Jahre haben die Diskussionen gedauert. Doch nun hat das erste Paket der Energiewende 2050 die Hürde des Parlaments genommen. Nach dem Nationalrat in der letzten Woche hat der Ständerat (Kantonskammer) am Montag die letzten Meinungsunterschiede aus dem Weg geräumt. Damit ist der Grundstein für eine epochale Wende in der Energiestrategie der Schweiz gesetzt.

Entstanden ist diese Strategie nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011. Vorgesehen sind die schrittweise Schliessung der fünf Atomkraftwerke der Schweiz, die Förderung und der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen (Wind, Sonne, Wasser, Abfall), eine Reduktion des Energieverbrauchs sowie eine Erneuerung des Stromnetzes.

Atomkraftwerke

Das Parlament strebt genauso wie die Regierung einen Ausstieg aus der Atomenergie an. Doch im Gegensatz zu einer entsprechenden Volksinitiative der Grünen, welche ein Abschalten der Atommeiler nach 45 Jahren Laufzeit fordert, befürworten die beiden Parlamentskammern einen etappenweisen Ausstieg, ohne eine klare zeitliche Grenze zu setzen. Nach Meinung der Mitte-Rechts-Parlamentsmehrheit im Nationalrat ist es zum jetzigen Zeitpunkt zu früh und wenig sinnvoll, funktionierende AKW ausser Betrieb zu nehmen.

Grafik mit den Standorten der fünf AKW in der Schweiz
Kai Reusser / swissinfo.ch

Festgelegt wurde nun, dass auf Nuklearenergie verzichtet wird, wenn die Produktion durch erneuerbare Energiequellen (ohne Wasserkraft) bis ins Jahr 2035 mindestens 11‘400 Gigawatt (GW) erreicht hat. Heute sind es 3000 GW. Die Regierung hatte 14‘500 GW vorgeschlagen. Doch dem Parlament erschien dieses Ziel zu ehrgeizig.

Die vom Mitte-Rechts-Lager vertretene Position setzte sich gegenüber den Ambitionen der rot-grünen Minderheit durch, welche die ehrgeizigeren Ziele verteidigte. Ausschlaggebend war die Sorge um die Sicherheit bei der Energieversorgung. «Es handelt sich um vernünftige und erreichbare Ziele, weil diese Gigawatt an Strom aus erneuerbarer Energie erst einmal produziert werden müssen», sagte Christian Wasserfallen, Nationalrat der Freisinnigen Partei (FDP.Die Liberalen) letzte Woche.

Die Schweiz wird auch künftig erneuerbare Energiequellen finanziell fördern. Zentral ist dabei das Instrument der Kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV). Die 2009 eingeführte KEV deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Produzentinnen und Produzenten von erneuerbarem (grünem) Strom einen Preis, der ihren Produktionskosten entspricht. Zurzeit beträgt diese Einspeisevergütung 1,5 Rappen pro Kilowattstunde (kWh). Sie wird schrittweise bis auf 2,3 Rappen erhöht worden.

Wasserkraftwerke

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Die Energiewende betrifft auch die Wasserkraft, welche heute einen Anteil von 55 Prozent an der in der Schweiz produzierten Elektrizität erreicht. Die grossen Wasserkraftwerke sind jedoch als Folge des Preiszerfalls für Strom in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Die Produktionskosten übersteigen mittlerweile den Marktpreis.

Im Rahmen der Energiestrategie hat das Parlament entschieden, die grossen Wasserkraftwerke (mit einer Leistung von mehr als 10 MW) zu unterstützen. Für jede Kilowattstunde an erzeugtem Strom wird 1 Rappen bezahlt, maximal allerdings für sechs Jahre. Die Rechte im Parlament kämpfte gegen diesen Zustupf, der ihrer Meinung nach nichts bringt.

Erneuerbare Energien und Landschaftsschutz

Der Rechten im Parlament ist es hingegen gelungen, die Entwicklung der erneuerbaren Energiequellen höher zu gewichten als den Umweltschutz. Künftig wird der Bau von Wasserkraftzentralen oder Windparks von nationalem Interesse auch in geschützten Zonen gefördert. Das Parlament beabsichtigt so, die Einsprachemöglichkeiten von Umwelt- und Naturschutzorganisationen zu reduzieren.

Energieverbrauch drosseln

Die Parlamentarier sind schliesslich übereingekommen, dass der mittlere Energieverbrauch pro Kopf bis zum Jahr 2035 um 43 Prozent gegenüber dem Jahr 2000 gesenkt werden muss. Der Stromverbrauch muss um 13 Prozent gesenkt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, wird der Fonds für die energetische Sanierung von Gebäuden von 300 auf 450 Millionen Franken aufgestockt. Dieser Fonds wird durch die CO2-Abgabe auf fossile Brennstoffe finanziert.

Kommt eine Volksabstimmung?

Das Paket ist aufgegleist. Gleichwohl ist es noch zu früh zu behaupten, dass sich die Schweiz definitiv auf den Weg einer Energiewende begeben hat. Das erste Massnahmenpaket der Energiestrategie, das 2018 in Kraft treten soll, muss noch vom Parlament in einer Schlussabstimmung am letzten Sessionstag (30. September) genehmigt werden. Auch wenn es sich um eine Formalität handelt, könnte diese Abstimmung noch zu einer Überraschung führen.

Zudem könnten die Diskussionen neu aufflammen, falls das Referendum ergriffen wird. Gemäss der kleinen Organisation Alliance Energie http://alliance-energie.ch/Externer Link gefährdet die Energiestrategie 2050 den Wohlstand der Schweiz. Unter dem Motto «Wenden wir die Energiewende» soll daher das Referendum ergriffen werden. Die Sammlung der Unterschriften könnte im Oktober beginnen.

Sehr viel hängt davon ab, wie sich die grossen Volksparteien wie die Schweizerische Volkspartei (SVP) und die FDP positionieren werden. Diese wollen erst einmal die Reaktion der Wirtschaft abwarten. Sollte das Referendum zustande kommen, würden die Stimmbürger wahrscheinlich im Jahr 2017 an die Urne gerufen.

Mit Sicherheit ist das Gesamtpaket zur künftigen Energiestrategie noch lange nicht fertig geschnürt. In der kommenden Session werden die Parlamentskammern über das zweite Massnahmenpaket diskutieren. Dabei geht es auch um die Einführung des Verursacherprinzips mittels einer Ökosteuer. Gemäss dem Leitsatz: Wer mehr verschmutzt und mehr konsumiert, muss mehr bezahlen.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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