Was hinter den Sparmassnahmen beim BBC World Service steckt
Die BBC spart bei den internationalen Radio- und Fernsehsendern und setzt künftig stärker auf das Internet. Auch aussenpolitische Überlegungen spielen bei der Neuausrichtung eine Rolle, sagt die Schweizer Historikerin Raphaëlle Ruppen Coutaz.
Raphaëlle Ruppen Coutaz ist Lehr- und Forschungsbeauftragte für Geschichte an der Universität Lausanne. Ihre Dissertation «La voix de la Suisse à l’étranger. Radios et relations culturelles internationales (1932-1949)Externer Link» hat sie über das Schweizer Radio International verfasst, aus dem später SWI swissinfo.ch hervorging.
swissinfo.ch: Die BBC feierte kürzlich ihr 100-jähriges Bestehen. Gleichzeitig setzt sie beim World Service den Rotstift an. Was ist passiert?
Raphaëlle Ruppen Coutaz: Das Jubiläum war geprägt vom schwierigen finanziellen Umfeld, in dem sich die BBC bewegt. Wie die meisten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten hat auch die BBC mit Budgetproblemen zu kämpfen. Die Gebühreneinnahmen stagnieren, während die Kosten mit der Inflation steigen. Zudem ist sie harter Konkurrenz ausgesetzt.
Die BBC muss also sparen. Der internationale Dienst ist von den Sparmassnahmen besonders betroffen, mehrere fremdsprachige Fernseh- und Radiosender werden eingestellt.
Fast 400 Stellen werden gestrichen. Diese Zahl ist beeindruckend und zeigt auch die Dimensionen des internationalen Dienstes. Es wird kein Sprachdienst komplett eingestellt, aber die digitale Transformation wird vorangetrieben.
Während des Zweiten Weltkrieges diente diese Art von Radiosendern Millionen Menschen als verlässliche Quelle. Wir stehen möglicherweise vor einem neuen Kalten Krieg, warum braucht es die Radios trotzdem nicht mehr?
Wir befinden uns in einem Informationskrieg, aber die Schliessung von Diensten aus wirtschaftlichen Gründen bedeutet nicht, dass die BBC ihre Mission der internationalen Information in Frage stellt. Es geht viel mehr darum, das Mittel zu überdenken. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis ist beim Internet zweifellos besser als beim Radio.
Sie haben ein Buch geschrieben über die Geschichte des Schweizer Radio International, aus dem später die multimediale Onlineplattform SWI swissinfo.ch wurde. Sehen Sie Parallelen?
Ja, auch das Schweizer Radio International ist aus Spargründen auf die Digitaltechnik umgestiegen. Weil es viel kleiner ist und über weniger Mittel verfügt als der BBC World Service, musste es den digitalen Wandel früher vollziehen.
Diese Umstellung auf Multimedia begann bereits Ende März 1998. Das immer stärkere Engagement im Internet gipfelte in der Gründung von swissinfo.ch. Schliesslich verzichtete man 2004 ganz auf die Kurzwellenverbreitung.
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Kurzwellen im Dienste der Schweizer Politik
Die internationalen Dienste sind innerhalb des öffentlichen Rundfunks häufig besonders verletzlich. Zumindest im Falle der Schweiz und Grossbritannien ist es nämlich so, dass die Bürger:innen, welche die Rundfunkgebühr zahlen, nicht das Zielpublikum der Programme sind. Daher lobbyieren die Bürger:innen nicht für den Erhalt der internationalen Dienste, sie nutzen sie ja gar nicht.
Wenn Sie sich die Sprachen anschauen, deren Auslandsradios geschlossen werden, sehen Sie da eine aussenpolitische Gewichtung?
Aus historischer Perspektive gibt es zwei Aspekte, welche die Auswahl der Sprachen bestimmten: Wo sich am meisten Auslandsbürger:innen aufhielten und zweitens aussenpolitische Überlegungen.
Der Vorläufer des BBC World Service beispielsweise, der BBC Empire Service, wurde 1932 gegründet und richtete sich an die englischsprachigen Bewohner:innen des Britischen Empire. Den berühmten arabischen Dienst, der nun nach 84 Jahren eingestellt wird, gründete die BBC als Reaktion auf die Propaganda von Radio Bari. Dieser Radiosender des faschistischen Mussolini-Regimes strahlte ab 1934 Propaganda in arabischer Sprache insbesondere in den Mittelmeerländern aus, die unter britischer Herrschaft standen.
Der arabische Dienst erlebte seinen Höhepunkt Anfang der 2000er-Jahre, als eine von den USA angeführte Koalition im Irak einmarschierte. Einen zweiten Höhepunkt bescherte der Arabische Frühling ab 2010.
Heute stehen andere Weltregionen im Fokus der internationalen Beziehungen. China gewinnt offensichtlich an Bedeutung. Es erstaunt daher nicht, dass der BBC World Service in einen China Global Unit investiert. Die BBC reagiert auf die Bedürfnisse der Aussenpolitik. Bei der neuen Ausrichtung der internationalen Dienste handelt es sich nicht ausschliesslich um wirtschaftliche und technologische, sondern auch um politische Entscheidungen.
Auf den ersten Blick könnte die Entscheidung der BBC als das Ende des internationalen Auslandsradios angesehen werden. Aber Länder wie die USA, Frankreich, China, Russland, Japan und der Vatikan senden weiterhin in mehreren Sprachen auf Kurzwelle. Wie erklären Sie sich das?
Die internationalen Radios sind – aus historischer Perspektive – schon häufig totgesagt worden. Am Ende des Kalten Krieges ging man davon aus, dass die internationalen Radios keinen Sinn mehr machen. Zwar machten die Radios eine Art Identitätskrise durch, aber ihre Existenz wurde schon sehr bald durch internationale Ereignisse gerechtfertigt. Bereits in den 1990er-Jahren führte der erste Golfkrieg dazu, dass die Regierungen wieder in die internationalen Radiosender investierten.
Kurzwelle war lange die beliebteste Technologie für die internationale Kommunikation. Der Niedergang kam mit der Erfindung und Nutzung des Internets. Die Kurzwellen-Technologie ist teuer und die Empfangsqualität lässt zu wünschen übrig.
Digitale Angebote sind billiger, erreichen mehr Menschen und ermöglichen eine stärkere Interaktion mit dem Publikum. Aber die digitale Strategie berücksichtigt nicht die digitale Kluft, die es zwischen entwickelten und weniger entwickelten Ländern sowie auch zwischen den Generationen gibt. Ich denke deshalb, dass die Kurzwelle durchaus ihre Vorteile hat.
Es gibt noch ein weiteres wichtiges Argument: Kurzwelle hat den Vorteil, dass die internationale Ausstrahlung direkt vom nationalen Territorium aus erfolgen kann. Das verschafft Freiheit und verhindert diplomatische und politische Probleme. Zudem können feindliche Regimes die Ausstrahlung über Kurzwelle nur schwer blockieren, das ist im Unterschied zum Internet technisch sehr kompliziert.
Das hat sich im Fall der Ukraine gezeigt, als die Russen versuchten, die digitale Infrastruktur der Ukraine anzugreifen oder auch eigene Bürger:innen vom Konsum westlicher Medien abzuhalten. Die BBC hat eine Reihe von Kurzwellen-Nachrichtendiensten für die Ukraine reaktiviert. Wenn Informationen über das Internet schwer zugänglich sind, bietet das Kurzwellenradio eine Alternative.
In Grossbritannien wird über die Abschaffung der Rundfunkgebühr diskutiert. Auch in der Schweiz ist eine Volksinitiative zur Senkung der Gebühr in der Pipeline. Wie sehen Sie die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?
Es stimmt, dass der Druck auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zunimmt. Ich glaube aber, dass die Pandemie gezeigt hat, dass es einen öffentlichen Rundfunk braucht.
Welche Länder nutzen Auslandsmedien noch als Mittel für ihre Aussenpolitik?
Ich habe zwar keine systematische Studie durchgeführt, aber ich würde sagen: Alle Länder nutzen Medien als Mittel der Aussenpolitik. Und das wird sich auch nicht so schnell ändern.
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