Offset-Skandale rücken die Schweiz bei der Klimakonferenz COP28 ins Rampenlicht
Mit der Cop28-Klimagespräche in Dubai werden die Länder mehr denn je unter Druck stehen, ihre Bemühungen um den Klimaschutz zu verstärken. Die Konferenz fällt in eine Zeit, in der CO2-Kompensationen kritisch hinterfragt werden. Auch die Schweiz ist gezwungen, ihre Klimastrategie zu prüfen.
Heute werden in Dubai mehr als 190 Länder die jährlichen Klimagespräche der Vereinten Nationen beginnen. Ziel ist es, die weltweiten Emissionen einzudämmen und die am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder zu unterstützen.
Am Ende des voraussichtlich wärmsten Jahres, das die Erde je erlebt hat, und der Warnungen der Wissenschaft vor weiteren Klimaauswirkungen, müssen sie Wege finden, um die Erde auf Kurs zu bringen und die vereinbarten Klimaziele zu erreichen.
Nach der Eröffnung der zweiwöchigen Konferenz durch Sultan Al Jaber, den Präsidenten und CEO der Abu Dhabi National Oil Company, werden die Länder die Ergebnisse der ersten globalen Bilanz prüfen. Es ist ein Realitätscheck – und die unangenehme Frage lautet: Hatten die nationalen Zusagen zur Senkung des Kohlenstoffausstosses die gewünschte Wirkung bei der Bekämpfung des Klimawandels?
Anschliessend werden sie sich auf Strategien einigen müssen, um die internationalen Bemühungen zur Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau aufrechtzuerhalten.
Die Ausgangslage ist kritisch. Der im Oktober vorgelegte Bericht Externer Linkzeigt klar, dass die Länder keine ausreichenden Fortschritte bei der Senkung der Kohlenstoffemissionen gemacht haben.
«COP28 muss ein klarer Wendepunkt sein», sagt dementsprechend Simon Stiell, Exekutivsekretär des UN-Klimasekretariats. «Die Regierungen müssen sich nicht nur darauf einigen, welche stärkeren Klimamassnahmen ergriffen werden, sondern auch genau zeigen, wie sie diese umsetzen wollen.»
Berns neuer Verhandlungsführer
Eine Strategie für den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen zu finden und gleichzeitig Strategien für erneuerbare Energien und Energieeffizienz zu fördern, sei der Schlüssel.
Es sei ausserdem wichtig, dass die grössten Emittenten – darunter viele Länder, die von der UNO als Entwicklungsländer eingestuft werden, aber gemessen am absoluten Bruttoinlandsprodukt wohlhabend sind, wie China und die Golfstaaten – einen finanziellen Beitrag zur Unterstützung anderer Entwicklungsländer leisten, die an vorderster Front von den schwerwiegenden Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind, so Felix Wertli.
UN-Berichte haben gezeigt, dass die Klimafinanzierung von den Industrieländern an die Entwicklungsländer hinter dem Ziel von 100 Milliarden Dollar (88 Milliarden Franken) pro Jahr zurückgeblieben ist.
In Dubai soll auch über die vor einem Jahr beschlossene Einrichtung eines Fonds für Verluste und Schäden gesprochen werden, um die ärmsten und am stärksten betroffenen Länder zu entschädigen. Dies, nachdem eine Einigung darüber erzielt wurde, den Fonds bei der Weltbank anzusiedeln.
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«Es gibt eine Menge, was wir tun können, wenn es um Investitionen zur Verlagerung von Energiequellen geht. Das ist eine Chance. Der Weltklimarat bietet politische Optionen, um die 1,5°C in Griffweite zu halten», sagt Wertli. Er meint damit die in diesem Jahr vom Weltklimarat IPCC veröffentlichten Berichte über den Zustand des Klimas, einschliesslich der Ozeane und der Atmosphäre.
Wertli ist der Nachfolger von Franz Perrez, der seit 2010 Klimaunterhändler der Schweiz war. Seine Ernennung erfolgte nur wenige Monate, nachdem Albert Rösti von der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) das Amt des Umweltministers übernommen hatte. Eine Partei, die sich unter anderem gegen das in diesem Sommer in einer Volksabstimmung beschlossene Schweizer Klimaschutz-Gesetz eingesetzt hatte.
Wertli versichert, dass sich die Schweizer Prioritäten bei den Klimaverhandlungen durch den neuen Minister nicht verschieben werden. Die Schweiz wird weiterhin den Vorsitz der Environmental Integrity Group (EIG) innehaben, einer Gruppe, der auch Georgien, Liechtenstein, Mexiko, Monaco und Südkorea angehören.
Wie man Emissionen reduziert
Nach Angaben des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) werden die Länder erhebliche Anstrengungen unternehmen müssen. Am 20. November erklärte die Vertretung des Programms, dass die Länder ihre Emissionen bis 2030 um 42% senken müssten, um den derzeitigen Temperaturanstieg von 2,4°C auf 2,9°C bis zu diesem Zeitpunkt zu vermeiden.
Neben dem Drängen auf eine weitere Senkung der Nutzung und Produktion fossiler Brennstoffe ist ein Thema, das bei den Klimaverhandlungen ungelöst blieb, die Festlegung klarer Regeln für CO2-Kompensationen.
Das folgende Video erklärt, wie Kompensationen funktionieren:
Die Mechanismen, die unter anderem die Erhaltung von Wäldern und das Pflanzen von Bäumen umfassen können und von Unternehmen häufig genutzt werden, um ihre Klimaziele zu erreichen, sind in die Kritik geraten. Angezweifelt werden die Berechnungsmodelle wie auch das Prinzip der Kompensationen an sich.
Das 2015 unterzeichnete Pariser Klimaabkommen sieht zwei Arten von Kompensationsmassnahmen vor: Artikel 6 umfasst einerseits Vereinbarungen zwischen Regierungen zur Kompensation von Emissionen durch die Unterstützung nachhaltiger Projekte, die andernfalls nicht realisiert worden wären. Andererseits den sogenannten «freiwilligen» Emissionsmarkt.
Die Schweiz leistete im ersten Punkt Pionierarbeit, als sie bilaterale Abkommen mit einer Reihe von Ländern in Lateinamerika, Afrika und Asien schloss, während sie sich auf dem Klimagipfel 2021 in Glasgow dafür einsetzte, die Umsetzung von Kompensationsvereinbarungen genauer zu regeln.
UN-Bericht: Es muss mehr getan werden
Im November hat ein gemeinsamer Bericht Externer Linkdes UN-Umweltprogramms (UNEP) und einer Reihe von Denkfabriken die Diskrepanz zwischen den erklärten nationalen Klimazusagen, den so genannten Nationally Determined Contributions (NDCs), und der nationalen Politik aufgezeigt. Dem Bericht zufolge planen die grössten Förderländer für fossile Brennstoffe, darunter auch die Vereinigten Arabischen Emirate, im Jahr 2030 mehr Öl, Gas und Kohle zu produzieren als heute.
Die Weltorganisation für Meteorologie meldete unterdessen, dass die für die globale Erwärmung verantwortlichen Treibhausgasemissionen, darunter CO2, Methan und Distickstoffoxid, im Jahr 2022 einen neuen HöchststandExterner Link erreichen werden, nur wenige Tage, nachdem sie erklärt hatte, dass der Temperaturanstieg in diesem Jahr bereits gefährlich nahe an die 1,5°C-GrenzeExterner Link heranreicht.
Die UN-Agentur hatte prognostiziert, dass es wahrscheinlich sei, dass der Grenzwert innerhalb von fünf Jahren überschritten werde.
Trotz der zunehmenden Kritik an der Wirkung von Kompensationsgeschäften sagt Wertli, die in den bilateralen Abkommen vorgesehenen Massnahmen enthielten «genügend Sicherheitsvorkehrungen». Dazu gehört etwa die Vermeidung einer Doppelzählung der Auswirkungen der Projekte auf die Vermeidung von Kohlenstoffemissionen.
Ausgleich von Problemen
Seine Äusserungen stehen im Kontext aktueller BerichteExterner Link, die auf übertriebene Behauptungen des in der Schweiz ansässigen Entwicklers von Kompensationslösungen, South Pole, hinweisen und die Bedenken gegenüber marktbasierten Kompensationslösungen verstärkt haben.
Verra, das weltweit grösste Kohlenstoff-Standardsystem, mit dem auch South Pole zusammenarbeitete, hat Berichten zufolgeExterner Link über eine Milliarde Gutschriften ausgestellt, was einer Milliarde Tonnen CO2 entspricht, von denen 90% reine «Phantome» beziehungsweisee weitgehend wertlos waren.
Verra hat erklärt, die Berichterstattung über das Unternehmen sei «nicht korrekt», derweil South Pole die Verbindung zu einem grossen Ausgleichsprojekt in SimbabweExterner Link, das im Mittelpunkt des Skandals stand, abgebrochen hat und die Vorwürfe bestreitet.
Kritiker:innen sagen, dass sich sowohl Unternehmen als auch Länder zu sehr auf die durch das System generierten Gutschriften verlassen.
«Die ganze Prämisse der Kompensation ist, dass man die Geschäfte wie gewohnt weiterführen kann und für Gutschriften bezahlt, die anderswo generiert wurden. Das ist eine falsche Grundlage», sagt Erika Lennon, leitende Anwältin am Center for International Environmental Law (CIEL).
«Was das Klima braucht, ist eine vollständige und rasche Reduktion der Emissionen von fossilen Brennstoffen, und nicht die Vorstellung, dass wir eine Emissionsreduktionsgutschrift von einer Aktivität in einem anderen Land kaufen können.» Länder und Unternehmen könnten den Entwicklungsländern auch so Finanzmittel für Klimaprojekt zur Verfügung stellen.
Anfang dieses Jahres hat die von den Vereinten Nationen gegründete Net-Zero Asset Owner AllianceExterner Link ihren Mitgliedern, zu denen grosse Vermögensbesitzer wie Pensionsfonds und Versicherungsunternehmen wie Swiss Re gehören, untersagt, zur Erreichung ihrer Emissionssenkungsziele bis 2030 Kompensationsprogramme einzusetzen.
In den letzten Wochen vor der COP28 hat ein UN-Aufsichtsgremium, das für die Überwachung der Kohlenstoffgutschriften zuständig ist, Empfehlungen Externer Linkfür Leitlinien zur Genehmigung vorgelegt – ein Jahr später als ursprünglich vorgesehen.
Lennon steht den Kompensationsgeschäften nach wie vor skeptisch gegenüber. «Damit reduzieren wir nichts und bleiben auch nicht unter 1,5°C. Das sind nicht die Massnahmen, die wir brauchen.»
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Patrick Hofstetter, Leiter der Klima- und Energiepolitik beim World Wide Fund for Nature (WWF) Schweiz und Mitglied des Schweizer Verhandlungsteams in Dubai, sagt, das Programm zur Emissionsminderung in der Schweiz müsse einem «Realitätscheck» unterzogen werden.
Die Klik-Stiftung, die für die Finanzierung der bilateralen Kompensationsmassnahmen verantwortlich ist, sei nach eigener Einschätzung nicht in der Lage, das Reduktionsziel bis 2030 von mindestens 50% zu erreichen.
Die Regierung müsse finanziell einspringen, um die Lücke zu schliessen.
«Angesichts von Berichten über fehlgeschlagene Projekte auf den freiwilligen Kohlenstoffmärkten ist verständlicherweise Vorsicht geboten, bevor man einem Vorhaben zustimmt», warnte Hofstetter.
Auch wenn der Gastgeber der COP als einer der grossen Öl- und Gasproduzenten ein negatives Bild abgibt, gebe es für die Klimakonferenz einige hoffnungsvolle Zeichen. Hofstetter verweist auf die jüngsten Gespräche zwischen US-Präsident Joe Biden und dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping über die Zusammenarbeit in Klimafragen. Aber auch auf die Möglichkeit, dass Al Jaber als Vertreter des Blocks der erdölproduzierenden OPEC-Länder Druck auf Saudi-Arabien ausüben könnte, um diese Konferenz nicht zu einem Desaster werden zu lassen.
Die Saudis, so die Erwartung, könnten eher bereit sein, Beschlüssen zuzustimmen, als wenn die Konferenz ausserhalb eines OPEC-Landes stattfinden würde.
Editiert von Virginie Mangin, aus dem Englischen übertragen von Marc Leutenegger
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