Onlinehändler Digitec Galaxus wird die Schweiz zu eng
Digitec Galaxus ist in der Schweiz der grösste Onlinehändler. Nun will das Unternehmen von Deutschland aus Europa erobern und Amazon die Stirn bieten.
Mangelnden Optimismus kann man Frank Hasselmann nicht vorwerfen: «Es läuft sehr gut, wir sind mehr als zufrieden», sagt der Chef von Galaxus Deutschland. Das ehrgeizige Ziel: irgendwann zu den fünf grössten deutschen Online-Shops zu gehören.
Zuhause in der Schweiz ist Digitec Galaxus ein Riese, in der Fremde jedoch noch ein Zwerg – wenn auch ein rasch wachsender. Vor einigen Wochen wurde die 350’000. Kundin auf der deutschen Plattform registriert, erzählt Hasselmann im Gespräch mit SWI swissinfo.ch. Die Pandemie ist gut fürs Geschäft: Besonders Ausstattungen für das Homeoffice, für Haus und Garten sowie Spielwaren sind begehrt.
In der Schweiz hat das Unternehmen, das dort aus den beiden Plattformen Digitec und Galaxus besteht und zu 70 Prozent zum Detailhändler Migros gehört, mehr als 1000 Mitarbeitende. In Deutschland sind es erst 50, es gibt eine Verwaltung in Hamburg und ein Logistikzentrum in Krefeld nahe der niederländischen Grenze.
Der deutsche Markt gilt als Prüfstein und Testfeld: voller starker Wettbewerber und sehr preissensitiv. Da wird sich entscheiden, ob die Schweizer auch in andere EU-Länder expandieren werden. «Wenn man es hier schafft, schafft man es überall», zitiert Frank Hasselmann seinen Namesvetter Sinatra.
Community statt nur Verkaufsportal
Doch wie will man sich beim grossen Nachbarn durchsetzen? «Kein Land braucht einen weiteren Online-Shop», räumt Hasselmann ein, «aber wir sind anders.» Kunden suchten Orientierung und faire Beratung, ist er überzeugt, und Galaxus.de liefere eben dies.
Mehr als 20 Redaktorinnen und Redaktoren testen und bewerten von der Schweiz aus Produkte und diskutieren die Ergebnisse mit der Community. Schweizer Onlineshopper und -shopperinnen kennen die Mischung aus Fachmagazin und Onlineshop, aus redaktionellen Inhalten und E-Commerce. In Deutschland sticht sie heraus.
Zudem lieben deutsche Kunden nachhaltige Produkte und Konzepte. Und so will Galaxus neben unabhängigen Bewertungen auch mit ökologischen Kriterien punkten. Ähnlich wie bei Reiseveranstaltern können Kunden ihren Einkauf mit einer CO2-Kompensation abschliessen.
In der Schweiz sei das nichts Neues, sagt Hasselmann, auf dem deutschen Markt indes schon. Galaxus rühmt sich, der erste Onlineshop in Deutschland mit dieser Option zu sein. Zehn Prozent aller Kundinnen und Kunden nutzen sie.
Bisher geht das Konzept auf, obgleich man vom Ziel noch weit entfernt ist. Bereits im dritten Monat nach der Einführung habe man Anfang 2019 über eine Million Euro Umsatz gemacht, erzählt Hasselmann. Mehr finanzielle Details lässt er sich nicht entlocken.
Nur noch soviel: Man wachse jedes Jahr um 100 Prozent. Wobei es da schon einen Unterschied macht, ob die Basis dessen ein Umsatz von monatlich einer Million Euro ist, oder in die Milliarden geht, wie bei Amazon. Der US-Gigant setzte 2020 allein in Deutschland fast 30 Milliarden US-Dollar um und steht damit unangefochten an der Spitze.
Laut einem Ranking der 100 grössten Online-Shops in DeutschlandExterner Link, aufgestellt von Statista und dem EHI Retail Institut, hat es Galaxus 2020 noch nicht in die Top 100 geschafft. EHI schätzt den Umsatz von Galaxus.de im Geschäftsjahr 2019 auf 14,3 Millionen Euro, was für Rang 409 reichen würde.
Zum Vergleich: In der Schweiz liegen die beiden Plattformen Digitec und Galaxus zusammen auf Platz eins vor Zalando und Amazon. 2020 setzten sie auf dem heimischen Markt 1,82 Milliarden Franken um, 59 Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Am grünen Image feilt auch die Konkurrenz
E-Commerce-Experte Gerrit Heinemann, Professor am «eWeb Research Center» der Hochschule Niederrhein, zeigt sich skeptisch, dass sich dieser Erfolg nach Deutschland übertragen lässt. Auch, weil sich seit Ende 2018, als Galaxus.de in Deutschland online ging, die Wettbewerbsbedingungen verändert hätten. Zum einen arbeiten mittlerweile auch Platzhirsche wie Amazon, Otto und Zalando an ihrem grünen Image.
Amazon will seinen Energiebedarf bis 2030 komplett aus erneuerbaren Energien decken und bis 2040 klimaneutral sein. Für die Auslieferung weltweit hat der Konzern 100’000 Elektro-Lieferfahrzeuge geordert und beliefert Kunden mit der eigenen Flotte – für Prime-Kunden innerhalb eines Tages.
Für viele, sagt Heinemann, sei das ein wichtigeres Kaufargument als der Preis und darüber hinaus ein Versprechen, das Händler ohne eigene Flotte nicht garantieren können. Denn diese sind auf die Auslieferung durch externe Paketdienstleister und die Post angewiesen.
«Das ist ein Sperrfeuer von allen Seiten in den für Galaxus entscheidenden Sortimenten»
Gerrit Heinemann, Professor «eWeb Research Center», Hochschule Niederrhein
Zum anderen drängen neben Galaxus derzeit andere etablierte Anbieter wie Lidl und Aldi mit grossen Budgets verstärkt auf den lukrativen deutschen Online-Markt. Im Internet verkaufen sie nicht nur ihr klassisches Ladensortiment, sondern quasi alles von Elektrogeräten bis hin zu Möbeln.
Zugleich haben die Elektronikriesen MediaMarkt und Saturn ihre Online-Shops auf neue Füsse gestellt und wachsen. «Das ist ein Sperrfeuer von allen Seiten in den für Galaxus entscheidenden Sortimenten», gibt der E-Commerce-Experte zu bedenken.
Klarer Heimvorteil in der Schweiz
Der Heimvorteil, den Digitec Galaxus in der Schweiz besitzt, lässt sich in anderen Ländern nicht ausspielen: Sie liefern aus ihren Schweizer Lagern an inländische Kundinnen und Kunden ohne komplizierte Zollabwicklung und mit kurzen Wegen – und waren bereits früh auf dem Markt präsent.
«Jeder Turnschuh, jede Gürtelschnalle, jeder Hometrainer, der in die Schweiz importiert wird, muss beim ausländischen Händler erst einmal auf die Waage.»
Thomas Lang, Ökonom und Wirtschaftsinformatiker
Wettbewerber wie Amazon haben es schwerer. Die Schweiz arbeite als einziges Land der WTO mit einem «lustigen Zoll», erklärte der Ökonom und Wirtschaftsinformatiker Thomas Lang gegenüber dem deutschen Medium «Die Zeit»: Importierte Güter werden laut Artikel 2 des Zolltarifgesetzes nach Gewicht und nicht nach Wert verzollt.
«Das heisst, jeder Turnschuh, jede Gürtelschnalle, jeder Hometrainer, der in die Schweiz importiert wird, muss beim ausländischen Händler erst einmal auf die Waage.»
Um diese Prozedur zu umgehen, bräuchte Amazon eigene Lager in der kleinen Schweiz, doch dafür sind die Marktvolumen dort zu klein. Die Belieferung aus den Nachbarländern Deutschland, Frankreich und Italien ist recht kompliziert und häufig nicht in einem Tag zu bewerkstelligen.
Und dann ist da noch die Mehrsprachigkeit: Alltag für Schweizer Unternehmer, eine zusätzliche Herausforderung für jene aus dem Ausland. Auch diese Rahmenbedingungen verhalfen Digitec Galaxus in der Schweiz zum Erfolg.
Kurz vor dem Sprung in weitere EU-Länder
Doch auf dem Schweizer Erfolg will sich Digitex Galaxus nicht ausruhen. In Kürze wird das deutsche Warenlager in Krefeld im Südwesten des Ruhrgebietes unweit der holländischen Grenze von 5000 auf 20’000 Quadratmeter erweitert.
Das ist nicht nur ein Statement für den Erfolg auf dem deutschen Markt: Von hier aus will sich Galaxus in weitere Märkte vorwagen. «Österreich ist ein heisser Kandidat», sagt Frank Hasselmann. «Eher kurzfristig» wolle das Unternehmen sich dort als nächstes etablieren, konkreter möchte er nicht werden.
Danach stehen weitere EU-Länder Westeuropas auf dem Plan, die von Krefeld aus schnell und ohne Zollformalitäten zu beliefern wären und in denen man die Sprachen der Schweiz spricht: Also Belgien, Frankreich Italien und zusätzlich wegen der Nähe zu Krefeld auch die Niederlande.
Es wäre eine Expansion ohne viel Risiko: Die mehrsprachigen, in der Schweiz erstellten redaktionellen Inhalte könnten übernommen werden, die Lieferung erfolgt aus dem deutschen Lager oder über angeschlossene Händler im jeweiligen Land.
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