Endspurt um die Gunst der Ausgewanderten
Es sind die letzten Tage in der letzten Session einer ganzen Legislatur – und plötzlich wird es doch noch: Die Fünfte Schweiz kommt auf die Agenda. Es regnet geradezu an Vorstössen. Ein Überblick.
«Einfach war es nicht», sagt Filippo Lombardi, Präsident der Auslandschweizer-Organisation ASO. Die politischen Anliegen der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer fanden in den vier Jahren dieser Legislatur lange wenig Resonanz im Parlament. Dringend war anderes, die Bewältigung der Covid19-Pandemie, dann der Angriff Russlands auf die Ukraine. «Wegen Covid war es schwierig für uns, die Leute im Parlament zu treffen», konstatierte Lombardi im Sommer 2023 gegenüber swissinfo.ch.
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Filippo Lombardi über die letzte Legislatur: «Einfach war es nicht»
Eine verlorene Legislatur?
Gemessen am Effekt der behandelten Geschäfte liegt dieser Schluss nahe. Es gab nicht viele politische Vorstösse, und noch weniger mit Wirkung.
Eine Ausnahme bildete lange Zeit ein Postulat von FDP-Nationalrat Andri-Silberschmidt. Er verlangte 2021, der Bund solle untersuchen, wie ein Versand von Abstimmungsmaterial via Botschaftspost die Postwege verkürzen könnte. Das Postulat kam durch beide Kammern und führte schliesslich zu umfangreichen Erhebungen durch die Bundeskanzlei.
Auch Laurent Wehrli von der FDP brachte die Auslandschweizer:innen immer wieder auf die Agenda des Parlaments: Einmal mit einer Interpellation in Sachen E-VotingExterner Link, einmal mit dem Vorschlag, Abstimmungsunterlagen zu HauseExterner Link zu drucken, dann mit einer Frage nach dem Rahmenabkommen mit der EUExterner Link sowie einer Anfrage zur Impf-AnerkennungExterner Link für Auslandschweizer:innen.
Steter Druck fürs E-Voting
Um die Dringlichkeit einer breiteren Einführung von E-Voting zu erhöhen, gab es verschiedene Vorstösse. SP-Ständerat Carlo Sommaruga wollte 2022 wissen, wie E-Voting bei den Wahlen 2023Externer Link zum Einsatz kommt. EVP-Nationalrat Marc Jost bohrte mit einer Interpellation nach. Diese umfasst einen Katalog von Fragen zu WahlenExterner Link, Unterstützung der Kantone und Einsatzmöglichkeiten des Systems, mit dem seit Juni 2023 wieder erste Testversuche laufen.
Ganz frisch, und mit derselben Stossrichtung, kommt nun eine Interpellation von Nationalrätin Katja Christ (Grünliberale), welche sie noch diese Woche einreicht. Die Parlamentarierin fragt die Regierung in einer Interpellation, wie die Evaluation der E-Voting-Versuche aussehen wird. Und – falls es nicht klappt: «Welche Schritte sind geplant, sollte sich die E-Voting-Lösung der Post als nicht geeignet herausstellen?»
Aufholjagd kurz vor den Wahlen
Es ist Schlussspurt um die Gunst des mächtigen Elektorats der Auslandschweizer:innen: 227’000 sind wahlfähig. Die Aufholjagd begann im Mai dieses Jahres, ein knappes halbes Jahr vor den eidgenössischen Wahlen vom 22. Oktober. Der Einsatz der Parlamentarier:innen für die Auslandschweizer:innen stieg zu diesem Zeitpunkt merklich.
Es war auch die Zeit, als im Sudan eine Krise ausbrach und Auslandschweizer:innen ausgeflogen werden mussten. Die Ereignisse legten offen, dass der Schweiz ein Flugzeug fehlt, welches für solche Fälle geeignet wäre.
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Immer wieder fehlt der Schweiz ein Flugzeug
Das führte zu einer Interpellation von Anna Giacometti der FDP mit dem appellativen Titel «Wir dürfen unsere im Ausland lebenden Mitbürgerinnen und Mitbürger im Krisenfall nicht im Stich lassenExterner Link«. Die Frage, ob der Bund nicht ein eigenes Transportflugzeug anschaffen könnte, beantwortete die Regierung eher abschlägig, ebenso eine ähnlich gelagerte Interpellation von SP-Nationalrat Pierre-Alain Fridez mit dem Titel «Ein Transportflugzeug für die Schweiz wäre angebracht»Externer Link.
Bereits 2022 hatte der grünliberale Nationalrat Michel Matter einen ähnlichen Vorstoss unternommen. Er empahl die Anschaffung eines Transportflugzeugs Externer Linkzu prüfen, das zur Brandbekämpfung wie auch zur Repatriierung von Schweizer Staatsangehörigen geeignet wäre. Der Bundesrat argumentierte mit Verweis auf die Kosten schon damals dagegen.
Für grosses Echo in der Auslandschweizer-Community hat dann ein Postulat von Elisabeth Schneider-Schneiter gesorgt. Die Mitte Politikerin möchte einer «gesicherten Krankenversicherung für AuslandschweizerinnenExterner Link und AuslandschweizerExterner Link» den Boden bereiten. Ihr Vorstoss zielt auf die wachsende Zahl von Rentnerinnen und Rentnern in Thailand, den Philippinen, Vietnam und Brasilien, die kaum Zugang zu einer tragbaren Versicherungslösung finden.
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Krankenkasse für Ausgewanderte? Bundesrat sieht keinen Bedarf
Elisabeth Schneider-Schneider unterstrich ihr Engagement für die Fünfte Schweiz auch in der laufenden Herbstsession. Sie reichte eine Interpellation ein, die auf eine Merkwürdigkeit in der Schweizer Politik hinweist: In der einen Hälfte der Schweizer Kantone sind Auslandschweizer:innen berechtigt, an Ständeratswahlen teilzunehmen, in der anderen Hälfte nicht. De facto würden Ausgewanderte von diesen Kantonen in ihren politischen Rechten beschränkt, schreibt die Mitte-Politikerin in ihrer InterpellationExterner Link.
Zwei weitere, ebenfalls frisch eingereichte Vorstösse befassen sich mit der Repräsentation der Fünften Schweiz im Politbetrieb von Bundesbern. Nicolas Walder von den Grünen fragt in einer Interpellation, ob sich der Bundesrat vorstellen kann, dass Auslandschweizer:innen feste Sitze im Parlament von Bern erhaltenExterner Link, gemäss ihrer proportionalen Grösse.
Wir haben hier darüber berichtet:
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Kommt der 27. Kanton für die Auslandschweiz?
Auf diese Frage liegt seit Ende August eine Antwort vor. Der Bundesrat stellt fest, dass die Schaffung eines neuen Wahlkreises für die Fünfte Schweiz eine Verfassungsänderung bedingen würde – und dass keine Schritte in dieser Richtung vorgesehen sind.
Praktisch derselbe Vorstoss kommt auch von Jean-Luc Addor, Nationalrat der SVP, betitelt mit «Wahlkreise für die AuslandschweizerinnenExterner Link und -schweizer?» Praktisch wortgleich abschlägig ist auch die Antwort des Bundesrates darauf.
Vorstösse in letzter Minute
Nun läuft die letzte Woche dieser Legislatur. Das ist nicht zu spät für die Grünliberalen, um noch ein Paket an Vorstössen für die Fünfte Schweiz einzureichen.
GLP-Nationalrätin Melanie Mettler fragt nach der Rentensituation bei Schweizer:innen, die temporär auswandern. Sie will eine Gesamtschau der Altersvorsorge von Rückkehrer:innen aus dem Ausland erstellen lassen, damit allfällige Lücken und mögliche Massnahmen identifiziert werden können. Titel ihrer Interpellation: «Sichere Altersvorsorge auch bei internationaler Mobilität».
Ebenfalls für Rückkehrende interessant ist die Motion ihres Parteikollegen, GLP-Nationalrat Michel Matter. Er möchte, dass die Schweiz die französischen PACS (pacte civil de solidarité) anerkennt.
Volle Agenda für nächste Legislatur
Dabei handelt es sich um eine Art eingetragene Partnerschaften, verbindlicher als Konkubinate, weniger bindend als die Ehe. In Frankreich ist die Rechtsform so gebräuchlich wie die Ehe, in der Schweiz aber noch nicht anerkannt. Für die 200’000 Schweizer:innen, die in Frankreich leben, führt dies zu einer Rechsunsicherheit.
Die meisten dieser Vorstösse harren noch der Behandlung durch das Parlament. Einige Anfragen, die Interpellationen, könnten in verbindlicherer Form – als Postulate oder Motionen – weiterverfolgt werden. So ist sicher: Die nächste Legislatur beginnt mit einer vollen Agenda.
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