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Der Krieg in der Ukraine spaltet die Friedensbewegung

Demonstranten nehmen an einer nationalen Demonstration gegen die russische Invasion in der Ukraine in Bern.
Demonstration gegen die russische Invasion in der Ukraine am 2 April 2022 in Bern. Der Krieg hat insbesondere in den Friedensbewegungen eine schwierige Frage aufgeworfen: Wie weit soll Pazifismus reichen? Keystone / Peter Klaunzer

Natürlich wünschen sich die pazifistischen Bewegungen in der Schweiz nichts mehr als Frieden für die Ukraine. Bei der Frage nach dem richtigen Weg dorthin gehen die Auffassungen aber bisweilen ziemlich auseinander.

Die Schweizerische FriedensbewegungExterner Link SFB ist eine eher kleine Organisation. Doch scheint sich gerade an ihr eine Diskussion darüber entfacht zu haben, was das eigentlich bedeutet: sich für den Frieden einzusetzen.

Im Gegensatz zu anderen pazifistischen Bewegungen ist die SFB nicht nur gegen Waffenlieferungen an die Ukraine – sie hält auch Sanktionen gegen Russland für den falschen Weg. „Mehr Waffen führen nicht zu einem schnellen Sieg, sondern verlängern nur das Leid auf beiden Seiten“, sagt Sekretär Tarek Idri.

Ebenso wenig seien Sanktionen ein probates Mittel, um einen Frieden zu erreichen. Solch unilaterale Zwangsmassnahmen verstiessen gegen Völkerrecht und seien mit dem hiesigen Neutralitätsprinzip zudem nicht vereinbar. „Es ist unwahrscheinlich, dass die Schweiz weiterhin für Russland als Vermittlerin in Frage kommt“, gibt Idri zu bedenken. Vor allem aber kritisiert er, dass „Sanktionen die ärmsten Menschen eines Landes stets am meisten treffen“. Das gelte in diesem Fall nicht nur für die russische Bevölkerung, sondern auch für Menschen in vielen anderen Ländern.  

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Für diese Haltung weht der Bewegung gerade ein steifer Wind entgegen. Innerhalb der Friedensbewegung selbst aber hätten der Zusammenhalt und die Motivation in den vergangenen Monaten deutlich zugenommen, sagt Idri. Zwar bewege sich die Zahl der Mitglieder weiterhin im Rahmen von mehreren Hundert. Doch der Wunsch der Menschen, sich aktiv für den Frieden einzusetzen, sei viel stärker spürbar.

„Das oberste Ziel ist für uns alle die Deeskalation“, so der SFB-Sekretär. „Sie kann jedoch einzig mit einem Waffenstillstand und Verhandlungen erreicht werden.“ Schwere Waffen und Sanktionen würden die Lage nur weiter anheizen. „Frieden und Sicherheit in Europa können nur mit – und nicht gegen – Russland gelingen.“ Dass andere Friedensaktivist:innen so selbstverständlich die Lieferung von schweren Waffen befürworteten in diesem Krieg, ist für Idri problematisch. „Natürlich möchten wir auch weiterhin mit diesen Organisationen zusammenarbeiten – doch diese Haltung befremdet uns.“

In der grössten Friedensbewegung gibt es zwei Lager

Gemeint ist damit in erster Linie die Gesellschaf für eine Schweiz ohne ArmeeExterner Link GSoA – mit rund 24’000 Mitgliedern und Sympathisant:innen mit Abstand die grösste Friedensorganisation der Schweiz.

Die GSoA wurde 1982 gegründet, mit dem Ziel das Schweizer Militär abzuschaffen:

Für Sekretärin Anja Gada ist es kein Widerspruch, dass sich Teile davon so deutlich für Waffenlieferungen an die Ukraine aussprechen. Es hätten in Bezug auf diese Frage innerhalb der GSoA schon immer unterschiedliche Haltungen existiert: Lehnten die einen Waffengewalt ganz grundsätzlich ab, seien für die anderen die konkreten Umstände massgebend.

Das bedeute auf die derzeitige Lage bezogen: Bei einem direkten Angriff wie im Ukrainekrieg müsse auch das Recht auf Selbstverteidigung anerkannt werden. „Unser Fokus ist die Prävention“, sagt Gada. „Wir versuchen dafür zu sorgen, dass es gar nicht erst zu einer Eskalation kommt.“ Sei ein Konflikt hingegen schon in vollem Gange wie eben jetzt in diesem Angriffskrieg, gestalte sich die Ausgangslage anders. 

Für die GSoA ist klar, dass die Schweiz die westlichen Sanktionen gegen Russland mitträgt. „Diplomatische Verhandlungen sind wertvoll und wichtig“, betont Gada, deren Organisation in den vergangenen Monaten mehrere Hundert Mitglieder dazugewonnen hat, darunter viele junge Menschen. „Aber die Schweiz darf sich nicht hinter ihrer Rolle als Vermittlerin verstecken.“ Nichts zu tun im jetzigen Konflikt verletze das Neutralitätsprinzip des Landes genauso.

Die Schweiz sollte denn auch viel entschiedener bei ihrer Funktion als Rohstoffhandels- und Finanzplatz für russische Unternehmen und Oligarchen ansetzen, fordert Gada. Viel zu sehr werde die Verantwortung auf die Kantone abgeschoben, wenn es darum gehe, Anlagen einzufrieren oder Geschäfte zu unterbinden. Genau diese Gelder aber würden den jetzigen Krieg finanzieren. „Das ist der grösste und wichtigste Hebel, den die Schweiz besitzt, um zum Frieden in der Ukraine beizutragen.“

Gleichzeitig kritisiert Gada, dass die bürgerlichen Parteien die Angst in der Bevölkerung instrumentalisierten, um Aufrüstungsvorhaben in der Schweiz wie etwa die Anschaffung der F-35 Kampfjets voranzutreiben. Selbst die Rhetorik des Bundesrates habe sich im Zuge dieses Krieges verändert, so die GSoA-Sekretärin. Mit dem Kampfjet werde eine Scheinsicherheit versprochen, dabei habe sich die Sicherheitslage in der Schweiz seit dem Angriffskrieg Russlands gar nicht verändert. Würden russische Truppen nun auf einmal NATO-Gebiete durchqueren, käme es zu einem atomaren Weltkrieg. „Dann würden uns auch drei Dutzend neue Kampfjets nicht mehr viel nützen.“

Wie die Klimajugend über den Krieg denkt

Nicht erst seit dem Ukrainekrieg ist Fridays for Future beziehungsweise die Bewegung Klimastreik Externer Linkin der Schweiz wieder aus dem medialen Fokus geraten. Es war die Pandemie, die die Aufmerksamkeit schlagartig verlagert hatte. „Gleichzeitig ist die Klimakrise heute präsenter denn je“, stellt Cyrill Hermann fest, der beim Klimastreik mitunter für die Kommunikation zuständig ist.

Klimastreik im Februar 2019 in Genf.
Klimastreik am 2. Februar 2019 in Genf. Die Bewegung wurde vor dem Hintergrund der Pandemie sowie des Krieges in der Ukraine etwas aus dem Fokus der Öffentlichkeit verdrängt – sie sieht sich in ihrer Politik aber durch die letzten Ereignisse bestätigt. Stephan Torre

Kaum ein Zeitungs- oder Fernsehbeitrag zu irgendeinem Thema, in dem es nicht am Rand um Erderwärmung und Energie ginge. Das gilt auch, vielleicht sogar erst recht, für die Berichterstattung über die derzeitige Krise und die damit verbundene Diskussion um russisches Erdgas. „Der Krieg bestätigt uns, dass wir mit dem Einsatz für erneuerbare Energien auf der richtigen Seite stehen“, sagt Hermann. „Fossile Brennstoffe sind auch aus Sicht der Friedensförderung keine Lösung.“

Finden Demonstrationen von Klimastreik auch nicht mehr dasselbe Echo in den Medien wie noch vor Krieg und Pandemie, sind sie doch immer noch der Ort, an dem man mit anderen Menschen ins Gespräch komme und sich viele für ein aktiveres Engagement fürs Klima entschieden, sagt Hermann. „Besonders freut es uns, dass sich inzwischen auch geflüchtete ukrainische Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future unseren Regionalgruppen angeschlossen haben.“

Trotzdem stelle sich natürlich die Frage, wie gut Demonstrationen den Anliegen der Bewegung noch Gehör zu verschaffen vermögen. Und ob nicht eher mehr Akte zivilen Ungehorsams nötig wären, wie kürzlich die Besetzung des Bundesplatzes, um auf die Dringlichkeit der Lage hinzuweisen.

Klimastreik dürfte landesweit einige Tausend Aktivist:innen zählen, die regelmässig an den Treffen und Anlässen teilnehmen, schätzt Hermann. Dass die Zahl der aktiven Mitglieder heute tiefer liegt als noch vor zwei oder drei Jahren, hat für ihn auch etwas Gutes: «Viele Aktivistinnen und Aktivisten haben sich zu Beginn sehr verausgabt», sagt er. Es sei auch ein Zeichen von Selbstfürsorge, dass manche nun einen Gang zurückgeschaltet hätten.

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