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Wie die Schweiz darum kämpft, Renten für kommende Generationen zu sichern

Bezahlt die Schweiz zu hohe Renten?

Zwei Seniorinnen beim Jassen
Schweizer Senioren und Seniorinnen konnten bisher relativ gelassen in Rente gehen. Das könnte sich bald ändern. Keystone Martin Ruetschi

Das Schweizer Rentensystem droht zu kollabieren. Gleichzeitig erhalten Schweizer Pensionierte so hohe Renten wie kaum irgendwo auf der Welt. Zahlt die Schweiz zu hohe Renten aus?

Die Schweizer und Schweizerinnen sind ein Volk glücklicher Rentner und Rentnerinnen. Laut einer Studie der UBS (International Pension Gap IndexExterner Link) muss man in der Schweiz im Vergleich zu zwölf anderen Ländern dank guter Renten mit Abstand am wenigsten selber für das Alter sparen – und das in einem Land mit den höchsten Lebenshaltungskosten der Welt. Wer in der Schweiz als Angestellter ein Leben lang Vollzeit gearbeitet hat, dem geht es im Alter vergleichsweise gut.

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Die UBS hat für verschiedene Länder berechnet, wie viel eine Frau ab 50 zusätzlich privat sparen müsste, damit die Rente im Alter reicht. Kai Reusser / swissinfo.ch

Die Schweiz hat ein ausgeklügeltes Renten-System, das auf drei verschiedenen Säulen basiert: Eine staatliche Vorsorge sichert die Existenz mit einer bescheidenen Minimalrente für alle. Angestellte sind darüber hinaus obligatorisch bei einer Pensionskasse versichert, was ihnen die Fortführung des gewohnten Lebensstandards sichern soll. Als dritter Pfeiler fungiert das freiwillige Sparen, das steuerlich privilegiert wird.

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Gemischte Risiken

«Die Schweiz gilt im Ausland mit ihren drei unterschiedlich finanzierten Säulen der Altersvorsorge immer als Vorbild», sagt Thomas GächterExterner Link, Professor für Sozialversicherungsrecht an der Universität Zürich. «Das Modell ist super, aber leider wurde es nicht fertiggebaut.» In die erste Säule investiere der Staat zu wenig, die AHV-Rente reiche in der Schweiz inzwischen niemandem mehr zum Überleben.

Die kapitalgedeckte zweite Säule krankt hingegen an den kontinuierlich tiefen Zinsen: Wenn das sicher angelegte Kapital wenig Rendite bringt, können die versprochenen Renten nicht finanziert werden. Es entstehen Finanzierungslücken.

Das Problem wird wegen der demographischen Entwicklung noch grösser, vor allem in der ersten Säule: Mit den Baby-Boomern kommt eine jahrgangsstarke Generation in Rente; eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer lässt sich frühpensionierenExterner Link und die Lebenserwartung gehört zu den höchsten der WeltExterner Link. «Die Bombe tickt», bringt es Gächter auf den Punkt.

Mit dem UmwandlungssatzExterner Link wird das angesparte Kapital in eine jährliche Rente umgerechnet – unter Berücksichtigung der statistischen Lebenserwartung und der mutmasslichen Verzinsung des Kapitals (Renditeerwartungen an den Kapitalmärkten). Wenn jemand beispielsweise 100’000 Franken Kapital angespart hat, erhält er bei einem Umwandlungssatz von 6,8% eine jährliche Rente von 6800 Franken. Von einer Änderung des Umwandlungssatzes sind jeweils nur zukünftige Renten betroffen.

Sie tickt nicht nur in der Schweiz, sondern in vielen IndustriestaatenExterner Link. «Andere Länder wird es zuerst treffen», prognostiziert Gächter. Denn dank den drei unterschiedlich finanzierten Säulen trägt die Schweiz gemischte Risiken, was laut Gächter ein Vorteil ist. Aber auch in der Schweiz werde es früher oder später schwierig werden.

Es werden zu hohe Renten ausbezahlt

Erste dunkle Wolken zeigen sich tatsächlich auch am Himmel des Rentner-Paradieses Schweiz. Manche Pensionskassen haben den Umwandlungssatz gesenktExterner Link, sprich: die Renten für zukünftige Generationen gekürzt.

Solche Korrekturen sind nötigExterner Link, denn eigentlich haben die Pensionskassen in den letzten Jahren zu hohe Renten gesprochen (und laufende Renten können nicht angepasst werden, siehe Box). «Über mehrere Jahre wurden zu hohe Umwandlungssätze angewandt», sagt Gächter. «Eine Generation – die letzten Jahrgänge, die pensioniert wurden – wird bis zum Tod mehr bekommen haben, als sie eingezahlt hat.» Die Generation X sei die Verlierergeneration. «Sie haben viel eingezahlt, werden aber weniger bekommen. Sie haben die Rente der Alten mitbezahlt.»

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Volksinitiative fordert variable Renten

Und noch immer findet in den Pensionskassen eine ungewollte UmverteilungExterner Link in Milliardenhöhe von der arbeitenden Bevölkerung und den Arbeitgebern zu den Rentnern statt. Im Schnitt sind es jährlich über 7 Milliarden FrankenExterner Link, also rund 25% der Renten. Eigentlich sollte es in der beruflichen Vorsorge im Unterschied zur AHV keine Umverteilung geben (siehe Box).

Deshalb sammelt ein Komitee ab April Unterschriften für die Volksinitiative «Vorsorge – aber fair. Für eine generationengerechte ReformExterner Link«. Lanciert hat sie der Rentner Josef Bachmann. Er war früher Geschäftsführer einer Pensionskasse. Die Initiative fordert variable Pensionskassenrenten in Abhängigkeit der Kapitalerträge, damit es keine Umverteilung von der arbeitenden zur pensionierten Generation gibt. Sprich: Läuft es gut an der Börse, bekommt man eine höhere Rente – läuft es schlecht, eine kleinere.

Bei der Berechnung ebenfalls berücksichtigt würden Demographie und Teuerung. Und bereits Pensionierten könnte die Rente gekürzt werden – für die Schweiz ein absolutes Novum. «Die Grundidee der variablen Rente ist die Einsicht, dass die Renten nicht lebenslänglich im Voraus festgelegt werden können», sagt Bachmann. Das führe immer zu Umverteilung, die meistens zu Lasten der Jungen gehe. «Diese Ungerechtigkeit hat ein Ausmass angenommen, das nach Handlung schreit.»

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Herrschaft der Alten?

Die Volksinitiative hat einen kleinen Haken: Bei Volksabstimmungen überstimmen meist die Älteren die Jungen, nicht nur wegen der Demographie, sondern auch wegen der Stimmfaulheit der Jungen.

Bachmann ist dennoch zuversichtlich: «Das Anliegen hat gute Chancen, wenn es von vielen Senioren mitgetragen wird. Auch die älteren Menschen haben einen klaren Verstand und ein grosses Herz.»

Die Schweizer Altersvorsorge besteht aus drei Elementen:

Staatliche Vorsorge: Alle in der Schweiz wohnhaften Personen müssen in die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) einzahlen. Dafür bekommt jeder im Alter aus dieser Kasse eine minimale Rente zur Existenzsicherung – auch wenn man nur wenig einbezahlt hat. Die AHV funktioniert nach dem Sozialprinzip; es gibt eine Umverteilung von den Jungen zu den Alten sowie von den Reichen zu den Armen. Eigentlich sollte die AHV-Rente die Existenz sichern, doch wegen steigenden Lebenshaltungskosten kann man heute in der Schweiz davon kaum mehr leben. Deswegen bezahlt der Staat aus Steuergeldern zusätzlich so genannte «Ergänzungsleistungen» an bedürftige Rentner.

Obligatorische private Versicherung: Angestellten wird vom Lohn automatisch ein Beitrag abgezogen, der zusammen mit Beiträgen des Arbeitgebers in eine obligatorische, private Versicherung einbezahlt wird. Diese Pensionskassen legen das Geld an. Später bekommen die Angestellten das Geld in Form einer Rente oder Kapital zurück. Dieses Geld soll die «Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung» ermöglichen; Pensionäre sollen insgesamt rund 60% des früheren LohnesExterner Link als Rente zur Verfügung haben. Theoretisch spart jeder für sich: Man bekommt das Angesparte plus Ertrag. Doch faktisch findet seit Jahren eine Umverteilung von den Arbeitstätigen zu den Rentnern statt.

Freiwilliges Sparen: Private Vorsorge in der sogenannten «dritten Säule» wird in der Schweiz steuerlich begünstigt.

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