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Peter Zumthor: Sein wichtigstes Baumaterial ist das Licht

Peter Zumthor 2013
Christian Beutler/Keystone

Rund vierzig Modelle von Peter Zumthor sind derzeit im Bregenzerwald in einem von ihm geplanten Gebäude erlebbar. Wie das Werk des Schweizer Architekten vermitteln auch diese Versuchsanordnungen eine intensive Atmosphäre, in Antwort auf die jeweilige Bauaufgabe.

Peter Zumthor feierte seinen 80. Geburtstag im Frühjahr 2023 im Kreis seiner Familie und in dem Land, wo die meisten seiner Bauwerke stehen: in seiner Schweizer Heimat. Ursprünglich, vor der Pandemie, war die Feier  im Neubau für das Los Angeles County Museum of ArtExterner Link (Lacma) geplant. Der Weg dahin wäre für seine drei Kinder und die unterdessen sechs Enkelkinder recht weit gewesen, doch das war nicht der Grund für die veränderten Pläne.

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Unsere Sommerserie porträtiert einflussreiche und verquere Schweizer Architekt:innen der letzten hundert Jahre. Wie haben sie prägend über den Raum nachgedacht? Wo auf der Welt haben sie Spuren hinterlassen? Und: Welche Bauten beeindrucken uns noch heute?

Lieferschwierigkeiten infolge der Pandemie, archäologische Funde in den «Tar Pits», den schwarzen Asphaltseen auf dem Museumsgelände in L.A, und weitere Verzögerungen führten dazu, dass die Angelinos noch warten müssen, bis sie die Räume von Zumthors bisher grösstem Museumsbau erleben können.

Das Lacma wird vermutlich, wie auch Zumthors zweite laufende Baustelle für ein international bedeutendes Museum, die Fondation Beyeler in seiner Heimatstadt Basel, erst 2025 fertiggestellt. 

Steine mit Strahlkraft

Beide diese Bauten werden steinerne Körper: In Los Angeles ist es eine geschwungene, nierenförmige Figur aus Sichtbeton, in Basel ein in eine Jurakalksteinmischung eingegossener Monolith. Ihre Strahlkraft beziehen sie aus einer Stille, die vom Licht untermalt wird und so einen Raum für die Kunst freispielt. Und nicht nur die Fassaden oder die Zeitpläne, auch die Gesamtanlagen zeigen Parallelen: Bei beiden Museen nämlich stehen Zumthors Baukörper gegenüber von Gebäuden, die der italienische Pritzkerpreisträger Renzo Piano vor einigen Jahrzehnten für die jeweiligen Museen gebaut hat.

Dieser als höchste Auszeichnung in der Architektur geltende Preis ging 2009, elf Jahre nach Renzo Pianos Würdigung, auch an den damals 66-jährigen Peter Zumthor, und trug dazu bei, dass Aufträge aus allen Teilen der Welt an den Schweizer herangetragen werden. Trotz der internationalen Bekanntheit führt er weiterhin ein überschaubares Atelier im bündnerischen Haldenstein, einige Fahrminuten ausserhalb von Chur, in einem Dorf mit einem Schloss vor malerischer Bergkulisse.

Modell des geplanten Museums-Neubaus in L.
Modell des geplanten Museums-Neubaus in Los Angeles. Atelier Peter Zumthor

Dort hat sich der in Basel aufgewachsene Architekt seit den 1970er-Jahren heimisch gemacht,Wohnhäuser für Berufskollegen und die eigene Familie gebaut und bald auch sein eigenes Atelier eingerichtet. Die internationale Anerkennung folgte Mitte der 1990er-Jahre mit der  Inszenierung der Valser Berggesteine aus den Steinbrüchen der Familie Truffer für die Therme ValsExterner Link. Im Gegensatz zum «Anti-Objekt» des Trufferschen Firmensitzes mit den «fliegenden Steinen» des japanischen Architekten Kengo KumaExterner Link sind die Steine von Zumthors Therme geerdet, wie direkt aus dem Felsen gehauen, und durch ihr scheinbar unendliches Gewicht stabil um die Wasserbecken geschichtet.

Steine Samples Vals Zumthor
Modell und Materialstudie für die Therme Vals. Aldo Amoretti/Atelier Peter Zumthor

Es ist still und schwer in diesen Räumen, es hallt, es klingt Musik – eine weitere Leidenschaft des Entwerfers, der von vielen als Bündner Architekt wahrgenommen wird, weil er unterdessen seit fünf Jahrzehnten in der Umgebung um Chur arbeitet. Dort, umgeben von Freunden und Bekannten,von Büchern und Musik, arbeitet er in seinem Atelier mit Sicht auf die Berge.

Architektur in allen Gewichtsklassen

Schwere Steine sind nur ein Teil des Repertoires des Baukünstlers Peter Zumthor. Ein weiterer Bau mit internationaler Strahlkraft nach dem Meisterwerk in Vals war gut zehn Jahre später das Kunstmuseum der Erzdiözese Köln . Nach der heiliggesprochenen Märtyrin mit dem lautmalerischen Namen Kolumba benannt, verstricken sich dort Licht und Steine in ein Spiel, das die Schwerkraft zuweilen zu überwinden scheint. 

Und dieses Spiel beherrscht Zumthor in allen Materialien: In Holz hat er es 1989 in der Kapelle Sogn Benedetg in der bündnerischen Surselva vorgeführt, später im Klangkörper des Schweizer Pavillon an der Expo 2000 in Hannover, wo Bretterstapel räumliche Rhythmen erzeugten.

Nicht immer geht dies gut: InBerlin beispielsweise endete Zumthors Wettbewerbsgewinn von 1993 für ein Mahnmal, das an die Schreckenstaten des nationalsozialistischen Regimes erinnern sollte, in einer Bauruine und entfachte einen langjährigen Streit, der 2004 nur mit einem Abbruch und einer Abfindung abgeschlossen werden konnten. 

Ein späteres deutsches Projekt wiederum, die Bruder-Klaus-Feldkapelle in Nordrhein-Westfalen, ist viel kleiner und trotzdem weltberühmt: Aus einem Direktauftrag resultierte ein hohes Volumen aus Stampfbeton, in dessen Innerem über hundert Fichtenstämme verbrannt wurden und so einen Innenraum mit einer fast unbeschreiblichen Atmosphäre schufen. Auf den geschwärzten, strukturierten Oberflächen entfaltet sich nun ein Raum zugleich der Sinnlichkeit und Besinnlichkeit, die in Peter Zumthors Werk stets mitschwingen.

Modelle als Werkzeuge

Zumthors Architektur ist ein Werk, das das Pathos nicht scheut, dabei aber immer feine Töne anschlägt und diese mit voller Resonanz auskostet. Es ist eine Architektur für die Sinne, die auch mit den Werkzeugen der Wahrnehmung entworfen wird. So spielen die Materialien nicht nur in den realisierten Bauten eine wichtige Rolle, sondern auch im Entstehungsprozess. Die Modelle aus Zumthors Atelier artikulieren sich aus dem Material heraus, und sie sprechen als massgebliche Instrumente in der Projektentwicklung auch ohne weitere Worte für sich. 

Werkraum Gebäude
Die aktuelle Ausstellung im von Peter Zumthor selbst geplanten Gebäude in Bregenzerwald gibt einen Einblick in den Arbeitsprozess des Architekten. Glas Marte/Werkraum

Ausstellung

Derzeit präsentiert eine Ausstellung im Werkraum Bregenzerwald im österreichischen AndelsbuchExterner Link, kuratiert von der finnischen Architektin und Ausstellungsgestalterin Hannele Grönlund in Zusammenarbeit mit Peter Zumthor (bis 16. September 2023), eine «Ausstellung über handwerklich gedachte Räume». Die Handwerker aus dem Bregenzerwald nämlich fanden in ihrer eigenen Leidenschaft für das Arbeiten mit dem Material Gemeinsamkeiten mit Peter Zumthors Baukunst und hatten den Schweizer Architekten 2009 eingeladen, für ihren Verein eine Veranstaltungshalle zu entwerfen. Auf 700 Quadratmetern zeigt nun eine raumfüllende Ausstellung die Vielfalt der allesamt sinnlich gedachten und ausgeführten Architekturmodelle, die das Material nicht nur benutzen, sondern in allen seinen Spielarten wirken lassen.

Zumthors Bandbreite an Materialien ist gross: Ausser Holz und Lehm sind da auch Sichtbeton, wie beim Kunstmuseum Bregenz (KUB), ein frühes und bedeutendes Werk aus dem Jahr 1997. Im Bregenzer Museumsbau, einem mit geätztem Glas eingekleideten Kubus, spielt das Licht innen und aussen die Hauptrolle. Aussen fängt die Oberfläche in immer anderen Stimmungen den Himmel und die Umgebung auf, nach innen filtert und lenkt sie das Licht so, dass es gleichmässig auf die Lichtdecken der in rohem Beton gehaltenen Ausstellungsräume fällt. 

Ausstellungsansicht Werkraum
Die Modelle aus Zumthors Atelier sprechen aus dem Material . . . Dominic Kummer/Werkraum

Auch in Bregenz hat Peter Zumthor schon seine eigene Arbeit gezeigt, und was vielleicht noch wichtiger ist, das Panorama seiner Interessen und Bezüge ausgelegt: Vor sechs Jahren, zum zwanzigsten Jubiläum des KUB, lud er Persönlichkeiten aus der Literatur, der Kunst und der Philosophie ein, über die Welt zu reflektieren. Dieser Gedankenaustausch erschien später auch in Buchform, unter dem Titel  «Dear to Me» (in Deutsch und Englisch, Scheidegger & Spiess, 2021)Externer Link. Die dort wiedergegebenen Dialoge mit anderen Künstlerinnen und Intellektuellen bringen die geistige Welt der Kunst und die materielle Welt des Bauens in einer Weisein Austausch und Einklang, wie es nur wenige andere Architekt:innen bisher geschafft haben.

Model Ansicht Werkraum
. . . und sie sprechen als massgebliche Instrumente in der Projektentwicklung auch ohne weitere Worte für sich. Dominic Kummer/Werkraum

Ohne Kompromisse

Wie in erster Linie das Licht, und nicht das physische Material, Peter Zumthors Baustoff ist, so sind es die Schatten, die die Steine in Vals und Köln im Gleichgewicht halten, die die hölzernen Bretter in Hannover schweben lassen und in Basel und Los Angeles die Konturen des Raums artikulieren. Die Wirkungen der letzten beiden Projekte müssen der Entwerfer und das Publikum noch abwarten. 

Zum achtzigsten Geburtstag die Höhepunkte des eigenen Schaffens zu erwarten, ist ein Privileg, das Architekt:innen immer wieder zuteilwurde, denn Planen und Bauen sind langwierige Prozesse. Peter Zumthors Oeuvre ist bei allen internationalen Würdigungen überschaubar geblieben, nicht zuletzt, weil Kompromisse nie seine Sache waren. 

Sabine von Fischer ist Architektin und Architekturkritikerin. Im Oktober 2023 erscheint eine Auswahl ihrer Texte für die Tagespresse unter dem Titel «Architektur kann mehr. Von Gemeinschaft fördern bis Klimawandel entschleunigen» im Birkhäuser Verlag.

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