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«Karriere machen ist in der Schweiz einfacher als in Frankreich»

Philippe Launay
Der "atypische Grenzgänger" Philippe Launay. swissinfo.ch

Er wollte lediglich einen einjährigen beruflichen Zwischenstopp in der Schweiz einlegen. Es wurde mehr: Philippe Launay arbeitet seit 28 Jahren im Grossraum Genf und wohnt im benachbarten Frankreich. Dem 51-jährigen Franzosen ist es wichtig, dass Grenzgänger die Schweizer Arbeitskultur kennenlernen.

Er bezeichnet sich selbst als atypischen Grenzgänger. Seit 28 Jahren wohnt Philippe Launay in der französischen Gemeinde Ferney-Voltaire und überquert jeden Tag die Grenze, um in Genf zu arbeiten.

Ihm ist es eine Ehre, eine enge Verbindung zur Schweiz zu pflegen. «Es gibt nur wenige Orte im Land, die ich nicht besucht habe», sagt der Familienvater. Als Verantwortlicher für die Logistik am Hauptsitz des Juweliergeschäfts Harry Winston reist er auch in seiner Freizeit regelmässig nach Genf. Dort besuchte er zusammen mit seiner Frau, die aus Bangladesch stammt, regelmässig ein Hindu-Zentrum.

Wer sind Grenzgänger in der Schweiz?

swissinfo. ch trifft jene Leute, die tagtäglich die Grenze überqueren, um in verschiedenen Teilen der Schweiz zu arbeiten. Innert 15 Jahren hat sich die Zahl der Grenzgänger von 160’000 auf über 320’000 verdoppelt. Wir widmen ihnen eine Reihe von Porträts, um ihre Motivation, die Herausforderungen und ihre Beziehung zur Schweiz besser verstehen zu können.

Philippe Launay, 51, ist ein Reisender, und vielleicht ist es seine Vorliebe für Abenteuer, die ihn in die Calvin-Stadt geführt hat. «Ich fühle mich, als wäre ich überall und nirgendwo zu Hause», sagt er. Geboren wurde er in der Bretagne, aufgewachsen ist er in der Region Picardie im Norden Frankreichs. Nachdem er seinen Militärdienst in der Marine absolviert hatte, ging er nach Grossbritannien, um sein Englisch zu verbessern.

Ende der 1980er-Jahre, nach Gesprächen mit Freunden, begann er, sich für die Schweiz zu interessieren. «Ich hatte nur ein stereotypes Bild des Landes. Ursprünglich wollte ich mich nur für ein Jahr in der Schweiz niederlassen. Ich schickte Bewerbungen an alle grossen Hotels der damaligen Zeit», sagt der Grenzgänger. Schliesslich bekam er einen Job im Noga Hilton-Hotel in Genf und zog nach Ferney-Voltaire.

Anpassung braucht Zeit

Damals musste man sechs Monate in einem Grenzgebiet leben, bevor man eine Grenzbewilligung erhielt. Seit 2002 und dem Inkrafttreten der bilateralen AbkommenExterner Link über den freien Personenverkehr ist dies nicht mehr notwendig.

Im Nachhinein hält Philippe Launay diese Frist jedoch für einen Vorteil: «Sie ermöglichte es, die Schweiz kennenzulernen. Heute ist das nicht mehr so, was sich auf gewissen Gebieten bemerkbar macht.» Er ist der Meinung, dass sich jene, die in der Schweiz arbeiten, die Zeit nehmen sollten, in die Kultur des Landes einzutauchen. «In Geschäftskreisen wenden gewisse Grenzgänger manchmal Verkaufstechniken an, die nicht der Schweizer Ethik entsprechen.»

Philippe Launay ist der Ansicht, dass das tägliche Überqueren einer Grenze alles andere als banal ist. Er erklärt, weshalb.

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«Ich könnte nicht in Frankreich arbeiten «, sagt Philippe Launay und betont, dass der unbestreitbare Gehaltsvorteil nicht der einzige Grund sei, sich der Schweiz zuzuwenden: «In der Schweiz gibt es mehr Karrieremöglichkeiten als in Frankreich. Ich habe eine Ausbildung als Kellner und bin heute für ein Gebäude in der Uhrenbranche verantwortlich. Eine solche Laufbahn wäre in Frankreich schwieriger gewesen.»

Der Grenzgänger ist der Ansicht, dass sein Land den Diplomen zu viel Bedeutung beimisst und die Berufserfahrung zu wenig gewichtet. «In der Schweiz bekommt man Vertrauen, wenn man sich anstrengt.»

«Grenzarbeiter sollen schweigen»

Philippe Launay fühlt sich weder bei der Arbeit noch in seiner Freizeit von den Schweizerinnen und Schweizern diskriminiert: «Obwohl ich in den sozialen Medien viele Kommentare gegen die Grenzgänger gelesen habe, wurde ich im Alltag nie zum Opfer von Diskriminierungen.» Er stellt aber fest, dass Grenzgänger in manchen Fällen zu wenig angehört werden, unter dem Vorwand, sie würden von einer privilegierten Situation profitieren.

Er verweist auf die Änderung, die den Grenzgängern in Bezug auf die Krankenversicherung auferlegt wurde. Bis 2014 standen den Grenzgängern drei Optionen zur Wahl: das schweizerische Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG)Externer Link, die französische Sozialversicherung und eine französische Privatversicherung. Da es die letzte Möglichkeit nicht mehr gibt, mussten sich die Grenzgänger zwischen dem schweizerischen und dem französischen System entscheiden. «Das alte System war billiger und effizienter. In dieser Debatte bekam man jedoch den Eindruck, die Grenzgänger sollten schweigen und hätten kein Recht, sich zu beschweren.»

Und Philippe Launay beklagt sich keineswegs. Er, der sich als «Weltbürger» versteht, überquert gerne Grenzen. «Ich habe drei Länder: Frankreich ist das Land des Blutes, die Schweiz das Land des Bauches, das mich seit 28 Jahren ernährt, und Indien steht für Spiritualität und Liebe durch meine Frau.»

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(Übertragung aus dem Französischen: Gaby Ochsenbein)

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