Die Schlacht der jungen Dichter
Selbst gedichtete Texte im Wettbewerb zu anderen auf einer Bühne performen: Poetry Slam ist auch in der Schweiz immer beliebter. Zu Besuch an einem Workshop mit dem bekannten Schweizer Slam Poeten Laurin Buser.
«Wie alt seid ihr?» fragt Laurin Buser die rund 20 Jugendlichen, die sich im kühlen Gewölbekeller des alten Spitals in Solothurn versammelt haben. Die Schulklasse nimmt an einem Workshop im Vorfeld der Solothurner Literaturtage teil. Die meisten sind 15 Jahre alt.
«Ich war auch 15, als ich mit Poetry Slam angefangen habe», sagt der inzwischen 24-jährige Buser. Der junge Mann in Turnschuhen, schwarzer Jeans und Mütze unterscheidet sich äusserlich kaum von den Schülerinnen und Schülern.
Poetry Slam
Entstanden ist der «Dichterwettstreit» in den 1980er Jahren in den USA. Der Bauarbeiter Marc Kelly Smith (*1949 in Chicago) begeisterte sich für Literatur, fand aber Lesungen langweilig. Man müsse Literatur performen, fand er. Mit gleich gesinnten Autoren veranstaltete er 1986 eine Literaturveranstaltung. Es war die Geburtsstunde von Poetry Slam, das inzwischen auf der ganzen Welt beliebt ist. Charakteristisch für diese Form der gesprochenen Literatur sind die selbst getexteten Gedichte und der Wettbewerbscharakter der Veranstaltungen.
Doch Laurin Buser ist ein professioneller Slam Poet: Er hat die U20-Meisterschaften gewonnen und macht fast jedes Jahr an den deutschsprachigen Meisterschaften mit. Er hat mehrere Auftritte pro Monat und kann inzwischen von Poetry Slam leben – auch dank den Workshops, die er anbietet.
Selbstbewusst leitet er die Jugendlichen zwei Stunden lang durch die Welt des Poetry Slam. Was ist das überhaupt? Die Jugendlichen haben zwar alle eine ungefähre Vorstellung davon, doch niemand kennt die Definition. Laut Buser sind vier Punkte bestimmend: Die Texte müssen erstens selber geschrieben sein. Man kommt zweitens so angezogen auf die Bühne, wie man es normalerweise ist (keine Maskerade). Drittens ist es ein Wettbewerb. Und viertens ist die Zeit für die Performance auf drei oder sechs Minuten beschränkt.
Poetry Slam kommt ohne Musik aus. Denn es ist Musik mit der Sprache. Wer an einer Performance zum Instrument greife oder singe, werde disqualifiziert, erzählt Buser. Und er verrät noch ein kleines Detail, das bei den Jugendlichen Gelächter auslöst: «Der Sieger bekommt eine Flasche Whisky.»
Das schlechteste Gedicht der Welt
Laurin Buser beginnt den praktischen Teil des Workshops mit einer Auflockerungsübung. Vornübergebeugt mit den Händen gegen den Boden sollen die Jugendlichen sich langsam aufrichten und dabei die Stimme zu einem «Ooohmm» erheben. «Alle zusammen!» ruft Buser. «Wenn alle zusammen mitmachen, ist es für den Einzelnen weniger peinlich.»
Die Blamage ist offenbar das Leitthema des Workshops. So besteht die erste Aufgabe für die Jugendlichen darin, das schlechteste Gedicht der Welt zu schreiben. Das ist gar nicht so einfach. Die Mädchen schielen auf das Blatt der Nachbarin. Die Jungs beratschlagen sich mit gedämpfter Stimme. Was ist ein schlechtes Gedicht? Bei einem Mädchen klingt das etwa so:
«Alles was ich mag, sind Hosen.
Wieso?
Keine Ahnung.
Ich trage täglich frische Hosen.»
Die nächste Aufgabe besteht darin, das Gedicht möglichst schlecht vorzutragen. Buser verteilt die Rollen: «Du forderst das Publikum zum Mitmachen auf, obwohl es überhaupt keine Lust dazu hat», sagt er zu einem Mädchen. «Und du sprichst zu leise», befiehlt er einem anderen. Einem Jungen trägt Buser auf, das Gedicht so vorzutragen, als ob er total überzeugt von dessen Qualität sei.
Blamage als Programm
Das könnte nun total peinlich sein. Doch die Jugendlichen machen mit – ohne Getuschel, ohne Gelächter, ohne Sticheleien. Laurin Buser gelingt dank seinem Humor und seiner entspannten Art ein Kunststück: Er bringt Jugendliche dazu, sich auf der Bühne absichtlich zu blamieren, obwohl die Pubertät bekanntlich jene Zeit ist, in der man alles Peinliche tunlichst vermeiden will.
Selbst lässt Buser am Workshop die Hosen jedoch nicht gern runter. Trotz ausdrücklichem Wunsch der Jugendlichen ziert er sich, eine Performance zu machen. Die Klasse komme ja am Folgetag an einen seiner Auftritte, windet er sich aus der Affäre. Als «Ersatz» zeigt er ein Video eines Experiments: Er versuchte an einem Wettbewerb so wenige Punkte wie möglich zu holen, indem er nuschelte, den Text absichtlich vergass und hustete.
Die Kamera hält fest, wie das Publikum ob der Blamage schaudert. Auch hier zeigt sich: Buser spielt gern mit der Peinlichkeit.
Und so kommt es, dass die Jugendlichen am Ende des Workshops nicht nur etwas über Poetry Slam gelernt haben, sondern vor allem eine Lektion fürs Leben: Wer der Peinlichkeit ins Auge sieht, braucht die Blamage nicht zu fürchten.
38. Solothurner Literaturtage (6.-8. Mai 2016)
Seit 1978 findet in der Stadt Solothurn jährlich eine mehrtägige Literaturveranstaltung statt. Die Solothurner Literaturtage sind ein Forum für Autoren, Verleger und Medienschaffende aus allen vier Sprachregionen der Schweiz. Dem Publikum wird ein Programm mit Lesungen, Diskussionen, Workshops und Ausstellungen geboten. Die diesjährige Veranstaltung beginnt offiziell am Freitag.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch