"Im Namen des Volkes": Dies ist das Mantra von Populisten, die in den Demokratien an die Macht drängen oder diese erobert haben. Mit ihren Angriffen auf "Eliten" spalten sie die Gesellschaften. Was sind die Gründe für ihren Aufstieg und wie gefährlich sind sie für die Demokratien? Antworten von Hanspeter Kriesi, dem Doyen der Schweizer Politikwissenschaften.
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
4 Minuten
Schreibt bei SWI swissinfo.ch seit 2015 über Demokratie. Versteht diese als Toolbox zur politischen Teilhabe und als Mindset. Vorher bei Reuters, Bluewin und Tageszeitungen. Studium der Geschichte und Politikwissenschaften an der Universität Bern.
Dieser Beitrag ist Teil von #DearDemocracy, der Plattform für direkte Demokratie von swissinfo.ch.
Die Schweiz zählt in Europa zu den Ländern mit der längsten Präsenz von Populismus in der Politik. Hanspeter Kriesi zum Anfang dieser Strömung in der Schweiz:
«Der Aufstieg der Schweizerischen Volkspartei (SVP) hat mit der Abstimmung über den Beitritt der Schweiz zum damaligen Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) 1992 begonnen. Er wurde abgelehnt, wenn auch sehr knapp.»
Gilt die Schweiz damit bei den populistischen Parteien Europas als Vorreiterin?
«Das Vorbild für eine starke populistische Bewegung in Europa ist der französische Front National. Die Schweiz spielt keine Rolle.»
2012 hat Kriesi in Europa eine grossangelegte Vergleichsstudie durchgeführt, die European Social SurveyExterner Link. Im Zentrum stand die Frage, was Menschen von der Demokratie erwarten und was sie von ihr halten. Einer seiner Schlüsse daraus:
«Je schlechter es einem Land wirtschaftlich geht und je unzufriedener die Menschen mit der Regierung sind, desto stärker pochen sie auf die demokratischen Prinzipien.»
Wie mit Populisten und dem Phänomen des Populismus umgehen? Diese Frage sorgt bei etablierten Politikern für Kopfzerbrechen. Bändigung durch Einbindung in die Regierungsverantwortung oder strikte Abgrenzung?
«Entscheidend ist das demokratische System. In Konsensdemokratien gibt es zahlreiche Beispiele, wo Integration oder Zusammenarbeit nicht schlecht funktionierten. In Mehrheitsdemokratien dagegen geht es nicht um Zusammenarbeit mit den Populisten als Partner, sondern darum, ob diese die Wahlen gewinnen und damit die Macht, alleine zu regieren.»
Italien, eine Demokratie in Dauerkrise: Premiers kommen und gehen, die Politik durch Skandal-Figuren wie Berlusconi, Andreotti, Craxi etc. diskreditiert. Ist Italien der Beweis, dass es hoffnungslose Demokratien gibt?
«Das hoffnungslose an der italienischen Demokratie ist, dass die Bürger gar nicht wollen, dass die Politik effizienter funktioniert. Sie haben lieber ein System, das nicht funktioniert, als eines, das ihnen effizient sagt, was sie zu tun haben. Ein Ausweg wäre tatsächlich das Referendum. »
Populisten predigen gern Demokratie. Diese hat aber ihre klaren Grenzen, wie Hanspeter Kriesi erklärt:
«Populisten verletzten die liberalen Prinzipien der Demokratie, indem sie sich auf das demokratische Prinzip berufen.»
«Das Problem besteht darin, dass sich Populisten einzig auf das demokratische Prinzip der Wahl durch eine Mehrheit stützen. Dabei blenden sie aus, dass Wahlen offene Meinungsbildungs-Prozesse beinhalten sowie Minderheiten einbezogen und richterliche Schranken beachtet werden müssen.»
Die Zitate stammen aus einem Interview, das #DearDemocracy mit Kriesi jüngst in Zürich geführt hat.
Fühlen Sie sich mitgemeint, wenn Politiker sagen, sie handelten «im Namen des Volkes»? Schreiben Sie uns in den Kommentaren!
Wie kann die Monopolisierung der KI durch mächtige Länder und Unternehmen verhindert werden?
KI hat das Potenzial, viele Probleme der Welt zu lösen. Aber die reichsten Länder und Technologieunternehmen könnten versuchen, diese Vorteile zu beanspruchen.
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch
Mehr lesen
Mehr
Franzosen in der Schweiz unterstützen mehrheitlich Macron
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
«Die Begeisterung, die unser Kandidat hervorruft, geht über unsere Erwartungen hinaus», freut sich Joachim Son-Forget,Externer Link Radiologe am Lausanner Universitätsspital CHUV, angesehener Cembalist und Gründer der Schweizer Sektion von «En Marche!»Externer Link. Der vor einem Jahr von Emmanuel Macron lancierten politischen Bewegung gehören quer durch Frankreich rund 200’000 Mitstreitende an. In der Schweiz kann die Bewegung auf die…
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
Wenn sich der amerikanische Wahlkampf, wie jetzt gerade wieder, in immer neue Extreme katapultiert, dann heisst es oft: «Erfasst die Amerikanisierung nun auch uns?» Die USA sind so etwas wie der Nabel der Welt und der Zeit oftmals voraus. Themen und neue Ansätze, die dort für Furore sorgen, finden ihren Weg nicht selten über den…
Schweiz ist Nummer 5 Europas in Sachen autoritärer Populismus
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
Nie zuvor hätten in Europa populistische Parteien einen derart grossen Rückhalt gehabt wie heute. Im Durchschnitt stimme jeder fünfte europäische Stimmbürger für eine linke oder rechte populistische Partei. Dies das Fazit von Andreas Johansson Heinö, dem Autor des Timbro Indexes über autoritären Populismus 2016 (Timbro Authoritarian Populism Index 2016Externer Link). Nur drei Länder sind gänzlich frei…
Europa bleibt verwöhntes Kind, USA machen Rückschritt
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
Weniger als 5% der Weltbevölkerung leben in einer echten Demokratie. Von den 19 Ländern, die als echte Demokratien gelten, befinden sich 14 in Europa und – Ironie der Geschichte – sind sieben Monarchien. Wenig überraschend stehen auf dem Podest und auf dem fünften Rang nordeuropäische Länder (Norwegen, Island, Schweden, Dänemark). Auf den vierten Rang hat…
Die Türkei oder wie schnell Demokratie prekär werden kann
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
Die Live-Schaltung im übervollen Hörsaal der Universität Basel klappt – Eren KeskinExterner Link erscheint gross auf der Leinwand. Fast gemütlich sitzt sie daheim vor ihrem Computer. Aber das Bild trügt: Die 57-jährige türkische Menschenrechtsanwältin ist bereits eine Gefangene in ihrem Land: Sie kann die Türkei nicht mehr verlassen und muss sich allwöchentlich auf dem Polizeiposten…
«Die Macht des Volkes» als zunehmende Gratwanderung
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
Was ist in der Schweiz wichtiger: Der Volkswille oder die Menschenrechte? Diese Frage werden die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger bei der Selbstbestimmungs-InitiativeExterner Link beantworten müssen. Wann das Begehren der rechtsnationalen Schweizerischen Volkspartei zur Abstimmung kommt, steht noch nicht fest. Mit ihrer Initiative will die SVP in der Verfassung festschreiben, dass Schweizer Recht über internationalem Recht steht. Für die…
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
Vor den Parlamentswahlen vom 24./25.Februar gab es keinen Anlass für eine persönliche Zusammenkunft. Denn der Treffpunkt der «Grillini“ befand sich im Internet. Alles, was von den Anhängern der Fünf-Sterne-Bewegung M5S (MoVimento 5 stelle) in Italien gemacht wurde, spielte sich im Web ab: Von inhaltlichen Diskussionen bis zur Festlegung von Prioritäten und Strategien. 88% mit Uni-Abschluss…
Ihr Abonnement konnte nicht gespeichert werden. Bitte versuchen Sie es erneut.
Fast fertig... Wir müssen Ihre E-Mail-Adresse bestätigen. Um den Anmeldeprozess zu beenden, klicken Sie bitte den Link in der E-Mail an, die wir Ihnen geschickt haben.
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch