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«Der Service public ist für die mehrsprachige Schweiz unverzichtbar»

Eine Annahme der No-Billag-Initiative würde laut Nathalie Wappler Hagen, Programmdirektorin des ostdeutschen MDR, das Ende der SRG bedeuten. MDR

Ein Service public ohne Gebühren ist für Nathalie Wappler Hagen nicht denkbar. Die frühere Kulturchefin des Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) und jetzige Programmdirektorin des ostdeutschen MDR sieht der No-Billag-Initiative in ihrer Heimat, welche die Gebühren abschaffen will, mit Sorge entgegen.

Beim SRF in Zürich hatte Wappler die trimediale Kulturabteilung aufgebaut und geleitet. Statt in drei separaten Redaktionen planen und berichten Fernseh-, Radio- und Onlinejournalisten seither Hand in Hand. Seit November 2016 treibt die 49-Jährige diese Neuorientierung nun als Programmdirektorin beim öffentlich-rechtlichen Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) in Halle an der Saale voran. Hier umfasst ihr Bereich vornehmlich Kultur, Wissen, Bildung und sogenannte «junge Angebote». Die harten Nachrichten werden vom zweiten Hauptstandort Leipzig aus betreut.

Der gebürtigen Ostschweizerin kommt dabei zugute, dass sie das Innenleben der deutschen Medienanstalten aus ihren ersten zehn Berufsjahren bei deutschen Sendern bestens kennt. Sind die gebührenfinanzierten Sender und ihre Strukturen auf beiden Seiten der Grenze vergleichbar? «Im publizistischen Selbstverständnis ja, in ihrer Verfasstheit nein», sagt Nathalie Wappler. Die SRG ist als privatrechtlicher Verein organisiert. In Deutschland regelt ein Staatsvertrag zwischen den 16 Bundesländern die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Damit ist dieser zugleich besser verankert.

No-Billag-Initiative

Die No-Billag-InitiativeExterner Link wird voraussichtlich im Frühjahr 2018 zur Abstimmung kommen. Sie sieht vor, die Pflichtbeiträge, aus denen der Schweizer Service public finanziert wird, abzuschaffen. Rund 1,2 Milliarden Franken und damit drei Viertel ihres Budgets würden der SRG damit entzogen. Befürworter der Initiative argumentieren, die Sender könnten sich zum Ausgleich privat mit dann zulässiger Werbung finanzieren. Kritiker betonen, dass das viersprachige gesamtschweizerische Angebot des SRF dann nicht aufrecht zu erhalten sei. 

So streitet man in Deutschland vornehmlich über die Höhe der monatlichen Beiträge von derzeit 17,50 Euro, aber nicht wie in der Schweiz im Rahmen der No-Billag-Initiative über deren Abschaffung. Wappler mag sich die Konsequenzen eines Sieges dieser Initiative nicht ausmalen. «Das wäre das Ende der SRG.» Den Service public hält sie in der mehrsprachigen Schweiz für unverzichtbar.

Starker Wille und langer Atem

«Hätte ich nur die Schweizer Medien gekannt, müsste ich jetzt manches Mal erst einmal tief durchatmen», bekennt sie mit einem Lachen. Die Länderanstalten der ARD sind bekannt für ihre Bürokratie. Veränderungen erfordern einen starken Willen und einen langen Atem, zugleich Fingerspitzengefühl und viel Diskussionsbereitschaft. Offensichtlich traute der MDR Wappler all dies zu.

In der kleineren Schweiz und innerhalb der SRG seien ihr Gestaltungsspielraum programmlich häufig grösser und Prozesse schneller gewesen, räumt sie ein. Sie wägt ihre Worte genau, will sie nicht als Kritik an ihrem neuen Arbeitsort gewertet sehen. «Die andere Verfasstheit bringt in der Schweiz pragmatischere Verfahren mit sich», formuliert sie es schliesslich diplomatisch.

Wer weiss, ob sie beim deutschen MDR eine Serie wie den «Bestatter» testen und ins Leben heben könnte. Auf die ist Nathalie Wappler hörbar stolz. Immer wieder führt die Programmdirektorin die Sendung als Beweis an, dass der Service public durchaus moderne Fernsehformate produzieren kann, die auch die jüngere Generation ansprechen.

Mittlerweile läuft die von ihr mit auf den Weg gebrachte Erfolgsserie in der fünften Staffel. Doch auch die deutschen öffentlichen Anstalten ARD und ZDF haben die Jugend entdeckt und für sie ein rein digitales Angebot namens «funk» gestartet. Zu dem liefert Wapplers MDR zu. «Der Start ist vielversprechend», sagt sie. Ihr ist daran gelegen, die Chancen des digitalen Zeitalters für den Journalismus herauszustreichen. «Wir müssen uns dem Medienwandel auch selber stellen», so Wappler. Sie twittert mit Begeisterung und mischt sich auch persönlich in Debatten ein.

«Ich fühle mich hier wohl»

In der Schweiz hatte sie sich einen Ruf als anpackende und ideologiefreie Strategin erarbeitet. Bereits nach wenigen Wochen als Kulturchefin in Zürich kippte Wappler 2011 den ersten Schweizer Tatort aus dem Programm und machte damit Schlagzeilen. Zu klischeehaft sei der Film, so einer ihrer Kritikpunkte damals. Klischees aller Art sind ihr verhasst, sei es über die Schweiz oder ihre neue Heimat Halle.

MDR

Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR)Externer Link ist eine der neun ARD-Landesrundfunkanstalten und ging am 1. Januar 1992 auf Sendung. Sein Sendegebiet umfasst mit Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen drei Bundesländer und etwa zehn Millionen Einwohner. Damit ist der MDR die grösste Rundfunkanstalt in den neuen Bundesländern und liefert zurzeit 10,6% vom Programmanteil für Das Erste (ARD). Lange Zeit galt der MDR im Geflecht der ARD-Anstalten als «ostalgischer» Volksmusiksender. Seit einigen Jahren wird unter der Leitung der Intendantin Karola Wille erfolgreich an einer modernen Neuausrichtung gearbeitet. 

«Auf ins Pegida-Land» titelte im vergangenen Jahr die ZEIT in ihrer Schweiz-Ausgabe über Wapplers Wechsel. Sie fand es völlig daneben, der Region diesen pauschalen Stempel aufzudrücken. «Ich fühle mich hier wohl,» sagt sie und vermutet, dass die meisten jener, die über ihren Wechsel in die vermeintlich ostdeutsche Provinz den Kopf geschüttelt haben, diese gar nicht kennen. «Schaut es euch doch erst einmal an», rät sie.

Offen und zugleich ihre Worte sorgfältig abwägend präsentiert sie sich in ihrem geräumigen, an zwei Wänden komplett verglasten Büro am Rande der Hallenser Altstadt. Die zahlreichen Schränke hinter dem Schreibtisch der 49-Jährigen sind nach vier Monaten noch komplett leer, auf ihrem Schreibtisch stehen Süssigkeiten aus Deutschland und der Schweiz griffbereit: Ricola aus der Heimat und Halloren-Kugeln aus Halle. Jene kleinen runden Naschereien, die in der DDR Kult waren und die man am Produktionsstandort auch heute noch an jeder Ecke kaufen kann. Ein bisschen Ostalgie darf sein.

Mit Kritikern ins Gespräch kommen

Doch Halle ist nicht Zürich: Kein Seeufer, keine alpines Panorama, keine Schweizer Gediegenheit. Die Stadt in Sachsen-Anhalt hat zwar die Saale, eine sehenswerte historische Altstadt und ein reiches Kulturleben: Einmal im Jahr locken die Händel-Festspiele Menschen aus aller Welt in den Geburtsort des Komponisten. Die Nationale Akademie der Wissenschaften (Leopoldina) und die Bundeskulturstiftung haben hier ihren Sitz. Doch zugleich kämpft Halle gegen Abwanderung und Arbeitslosigkeit. Leerstehende Ladenlokale in der Innenstadt zeugen von den Problemen.

Hier im Osten Deutschland hat die AfD (Alternative für Deutschland) besonders viele Anhänger. Die Partei ist eine scharfe Kritikerin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. «Das ist schon mit der Schweizerischen Volkspartei (SVP) in der Schweiz vergleichbar», sagt Wappler. Beide Parteien stossen sich an der Finanzierung durch Pflichtbeiträge und der vermeintlich zu linksliberalen und regierungsfreundlichen Ausrichtung des Programms. Wapplers Strategie: «Wir müssen mit unseren Kritikern ins Gespräch kommen.» Dazu gehöre die Bereitschaft zuzuhören.

In der Schweiz habe man sogenannte Trolle, die Foren immer wieder durch destruktive Beiträge torpedierten, zu Gesprächen eingeladen und einige seien sogar gekommen. Auch beim MDR feilt man derzeit an einer Strategie, wie man mit vehementer Kritik umgeht. Im Mutterschiff ARD gibt es mittlerweile eine «fake news»-Einheit, die Nachrichten auf ihren Wahrheitsgehalt untersucht und Quellen analysiert. Zugleich werden Fehler offen kommuniziert. «Wir müssen nahbar sein», betont Nathalie Wappler. Transparenz sei wichtig, um falscher Kritik und auch falschen Behauptungen frühzeitig entgegen zu treten. «Mir ist der Austausch von Argumenten wichtig.» Die Tür vor Kritikern zu verschliessen, das sei jedenfalls keine Lösung. 

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