Schweizer Industrie trotzt weiter dem starken Franken
Mehr als ein Jahr nachdem die Schweizerische Nationalbank den Euro-Mindestkurs aufgehoben hat, leidet die Schweizer Industrie nach wie vor unter den negativen Folgen des starken Frankens. Aber trotz des schwierigen Umfelds und der unsicheren Zukunft stellen viele kleine und mittlere Unternehmen ihre Widerstandsfähigkeit unter Beweis.
Moutier, eine kleine Industriestadt im Herzen des Jura-Bogens, ist der veritable Motor der Schweizer Präzisionstechnik. Alle zwei Jahre findet dort die weltweit grösste Messe der Mikrotechnik-Industrie SIAMSExterner Link statt.
Rund 440 Aussteller nehmen teil. Die Besucher kommen aus mehr als 30 Ländern. Die Stimmung ist herzlich und entspannt. In Moutier ist man weit entfernt von den grossen Uhrenmessen und deren Prunk. Hier gibt es keinen Platz für Top-Models und Blickfänger-Stände. Im Vordergrund stehen die Maschinen und die Technologie.
Die meisten Aussteller in den Hallen verbergen aber nicht, dass der Industriesektor der Schweiz eine der schwierigsten Perioden seiner Geschichte erlebt. Der Grund des Übels ist der starke Franken, der weiterhin auf die Exportmargen drückt, vor allem seit der Aufhebung des Euro-Mindestkurses zum Franken.
Hinzu kommen Wachstumsprobleme in China, die insbesondere die Uhrenindustrie betreffen. Die Werkzeugmaschinen-Hersteller wären aber auf ihre Partner in der Uhrenindustrie und auf dem nationalen Markt angewiesen, um ihre Geschäfte, die im letzten Jahr um 7% eingebrochen sind, wieder in Schwung zu bringen.
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Hoffnungsschimmer
Jenseits der Klagen schimmere aber leise Hoffnung am SIAMS, stellt Direktor Pierre-Yves Kohler fest. «Für viele Unternehmen bleibt die Situation angespannt, aber ich war sehr überrascht vom Vertrauensklima, das während der Messe herrschte. Seit der Aufhebung des Mindestkurses haben die Firmen wichtige Massnahmen umgesetzt, um ihre Kosten zu senken und ihre Produktivität zu steigern, indem sie ihren ganzen Produktionsprozess überdacht haben. Heute kommen sie mit neuen Ideen zurück und sind bereit, sich mit der internationalen Konkurrenz zu messen.»
In den Augen zahlreicher Wirtschaftsakteure aus der Region, zwingt diese schwierige Periode die Unternehmer dazu, sich in Frage zu stellen, noch kreativer als bisher zu werden und sich nicht auf den Lorbeeren auszuruhen. «Die Mikrotechnik-Industrie des Jura-Bogens ist es gewohnt, im Rhythmus der konjunkturellen Fluktuationen und Krisen zu leben. Und genau solche Krisen haben sie gezwungen, innovativ zu bleiben», analysiert Gilbert Hürsch, Direktor der Wirtschaftskammer Biel-SeelandExterner Link.
Genauso tönt es auch bei der Posalux SAExterner Link in Biel. Der Familienbetrieb, der in der Region 125 Mitarbeitende beschäftigt, präsentierte in Moutier eine ganz neue Mikrobearbeitung von Glas. «Angesichts des starken Frankens ist es eine Existenzfrage, neue Produkte zu zeigen und neue Marktnischen zu erschliessen. Die Stärke eines KMU, wie wir es sind, ist es, auf die anspruchsvolleren Bedürfnisse einzugehen und dabei eine ausreichend grosse industrielle Produktion gewährleisten zu können», sagt Marco Nadalin, Verantwortlicher für die Geschäftsentwicklung bei Posalux.
Die spezielle Technik sei zwar in Zusammenarbeit mit einer kanadischen Universität entwickelt worden, aber «die Rahmenbedingungen für Innovationen sind in der Schweiz ziemlich einmalig». Die Partnerschaft zwischen den Hochschulen, Forschungsinstituten und der Industrie, sowie die finanzielle Unterstützung der eidgenössischen Kommission für Technologie und Innovation (KTI) eröffnen den KMU Möglichkeiten voranzukommen, trotz einer Abnahme der verfügbaren Mittel für Forschung und Entwicklung.
Sich den Bedürfnissen der Kunden anpassen
Andererseits geben sich viele Unternehmen nicht mehr damit zufrieden, nur Produkte mit hoher Wertschöpfung herzustellen und diese auf den internationalen Märkten zu verkaufen. «Heute bieten wir eine ganze Palette zusätzlicher Dienstleistungen an, die bis zum Management der Integration unserer Werkzeugmaschinen ins Informationssystem unserer Kunden reichen», sagt Patrick Haegeli, stellvertretender Direktor der Firma Willemin-Macodel SAExterner Link, die im Kanton Jura mehr als 250 Personen beschäftigt.
Sich immer den Anforderungen der Kundschaft anzupassen, ist auch das Credo der Gruppe LNSExterner Link, weltweite Marktführerin für Peripheriegeräte der Werkzeugmaschinen, die ihren Sitz in Orvin im Berner Jura hat und weltweit neun weitere Produktionszentren unterhält.
Trotz dieses Hoffnungsschimmers schwimmen LNS und zahlreiche andere Unternehmen der Region immer noch in trüben Gewässern. «Die Aussichten sind seit Anfang Jahr etwas besser, aber wir sind zu wenig sichtbar. Unser Portefeuille ist für die nächsten Wochen gefüllt, aber darüber hinaus wissen wir nicht, was uns erwartet», sagt Gilbert Lile, Direktionspräsident der Gruppe.
LNS musste sich im letzten Jahr von fast 10% der Belegschaft trennen und die Produktionsstruktur drastisch anpassen. Arbeitszeit-Erhöhungen ohne finanzielle Abgeltungen sind in der Firma immer noch in Kraft.
Psychologische Wirkung des starken Frankens
Der Werkzeugmaschinen-Hersteller Tornos, grösster Arbeitgeber der Stadt Moutier, konnte die Schäden 2015 mit einem Umsatz-Rückgang von 6,7% in Grenzen halten. «Die Lage bleibt trotzdem prekär», sagt Carlos Paredes, Verantwortlicher für Entwicklung und Operationen bei Tornos. «Das Interesse für unsere Produkte und der Bedarf sind vorhanden. Aber weil die Zukunft unsicher ist, zögern unsere Kunden, in neue Maschinen zu investieren», sagt er.
Das ist das Paradoxe gegenwärtig. Die Schweizer Produkte hoher Qualität, insbesondere jene, die nicht direkt für die Endverbraucher bestimmt sind, werden im Ausland immer noch geschätzt. Aber viele Käufer zögern, wenn es ums Zahlen geht.
«Man sollte die psychologische Wirkung des Entscheids der Nationalbank nicht unterschätzen», sagt Marco Nadalin. «In den Köpfen der Leute sind Schweizer Produkte über Nacht teurer geworden. Tatsächlich haben wir uns aber den neuen Gegebenheiten angepasst, indem wir die Preise auf dem gleichen Niveau hielten. Aber es braucht noch viel Kommunikationsaufwand, damit die Botschaft im Ausland ankommt.»
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)
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