Schweiz reagiert konsterniert auf Kapitol-Stürmung
Der Sturm auf das Kapitol in Washington macht Schweizer Medien fassungslos. "Amerikas Tag der Schande" beschäftigt und macht Angst.
Am Mittwoch tagte der US-Kongress im Kapitol in Washington, um den Sieg von Joe Biden bei der Präsidentenwahl zu bestätigen. Der abgewählte US-Präsident Donald Trump zieht das Wahlergebnis noch immer in Zweifel. Er rief seine Anhänger gestern zu einer Demonstration vor dem Parlamentssitz auf.
Während Abgeordnete im Kapitol versammelt waren, eskalierte die Situation: Hunderte Demonstranten überwanden Barrikaden und schlugen Fenster ein. Die Sicherheitskräfte waren machtlos. Es gelang ihnen gerade noch, die Abgeordneten in Sicherheit zu bringen. Die Protestierenden nahmen das Kapitol ein, versammelten sich im Parlamentssaal und setzten sich in Büros von hochrangigen Politikerinnen und Politikern und verwüsteten diese.
Die Nationalgarde wurde mobilisiert. Erst nach drei Stunden war die Situation wieder unter Kontrolle. Vier Menschen kamen ums Leben. Inzwischen hat der Kongress seine Arbeit wieder aufgenommen und Joe Biden als neuen Präsidenten offiziell bestätigt.
«Der reine Wahnsinn»
Der Corriere del TicinoExterner Link zeigt sich fassungslos. Die Gerichte hätten keinen Wahlbetrug festgestellt. Doch manchmal mache politischer Fanatismus blind. Die Menschen suchten nach Antworten, ob an Trumps Anschuldigungen was dran sei. Deshalb sei es ein Leichtes gewesen, Tausende von Fanatikern vor dem Kongress zu versammeln. Dass diese das Kapitol gestürmt hätten, sei «eine noch nie dagewesene Schandtat.»
Was in Washington geschieht, ist laut Le TempsExterner Link der reine Wahnsinn. Für den Sturm auf das Kapitol gebe es nur einen einzigen Verantwortlichen: Donald Trump. Der Angriff auf das Kapitol sei eine direkte Folge davon, dass Trump seine Niederlage nicht habe eingestehen können und weiter seine Wählerbasis anheize. «Ihn an der Macht zu halten, wäre kriminell», kommentiert die französischsprachige Tageszeitung. Donald Trumps Vermächtnis sei es, eine polarisierte Nation weiter gespalten zu haben. «Die Narben des 6. Januar 2021 werden tief und dauerhaft sein.»
Donald Trump habe sein Wort, es werde «verrückt», gehalten, so die Tribune de GenèveExterner Link in ihrem Kommentar. Von einem Präsidenten, der demokratische Institutionen schon immer verachtet habe, sei keine Würde zu erwarten gewesen.
«Trumps tödliche Saat der Gewalt ist aufgegangen», titelt der Tages-AnzeigerExterner Link. Es sei kein spontaner Ausbruch. Sondern Donald Trump persönlich habe die Gewalt gesät: Zwei Monate lang habe er nichts anderes getan, als seine Anhänger aufzuhetzen. «In den Vereinigten Staaten wird es jetzt gefährlich.»
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Alles halb so wild?
«Der Kontrollverlust auf dem Capitol ist ein Warnzeichen, aber nicht der Untergang der amerikanischen Demokratie», titelt hingegen die Neue Zürcher ZeitungExterner Link. Zwar seien die Szenen schockierend und historisch. Trotz allem Entsetzen müsse man aber die Relationen wahren. So stehe fest, dass Joe Biden am 20. Januar sein Amt als Präsident antreten werde. «Die USA sind weiterhin eine funktionierende Demokratie, die den Willen der Wähler respektiert.»
«Die Szenen vom Capitol sind ein Skandal», so die NZZ. «Doch sie reflektieren nicht primär den Zustand der USA, sondern den Zustand ihres Präsidenten.»
Bundesrat meldet sich zu Wort
Auch die Schweizer Regierung reagiert konsterniert, wie der neue Bundespräsident Guy Parmelin im Namen der Landesregierung twittert: «Wir haben aber Vertrauen in die Kraft der amerikanischen Institutionen», so Parmelin, der sich zuversichtlich zeigt, dass die Machtübergabe friedlich vonstattengehen werde. «Die amerikanische Demokratie ist ein wertvolles Gut für unser Land, denn wir teilen ihre Werte.»
pic.twitter.com/qQXVYtDcPCExterner Link
— Guy Parmelin (@ParmelinG) January 7, 2021Externer Link
Der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis verurteilte den Angriff auf Twitter.
Freiheit, Demokratie und nationaler Zusammenhalt sind hohe Güter – sie müssen gepflegt werden. Ich verurteile jeden Angriff darauf. Die Schweiz vertraut den US Institutionen, ihre Demokratie zu verteidigen. Die Bestätigung des Wahlsiegs von Joe Biden ist Ausdruck davon.
— Ignazio Cassis (@ignaziocassis) January 7, 2021Externer Link
Die Ratspräsidenten der beiden Schweizer Parlamentskammern mahnten auf Twitter, demokratische Entscheide seien zu respektieren.
Die beiden Ratspräsidenten Andreas Aebi und Alex Kuprecht verurteilen die Angriffe auf den Rechtsstaat #CapitolExterner Link. Demokratie ist eine fragile Errungenschaft, die geschützt und verteidigt werden muss. Demokratische Entscheide sind zu akzeptieren. @USCongressExterner Link @USSenateExterner Link
— Parl CH (@ParlCH) January 7, 2021Externer Link
Auf Twitter kommentierten zahlreiche Schweizer Persönlichkeiten die Vorgänge in den USA.
#DayOneExterner Link
— Claude Longchamp (@claudelongchamp) January 7, 2021Externer Link
Der Tiefpunkt. pic.twitter.com/yirWHh7E1MExterner Link
Manche zogen Vergleiche zu Hongkong und der Schweiz.
Auf den ersten Blick mag es Parallelen geben, doch die Stürmung des Kapitols kann man nicht mit jener des Hongkonger Parlaments vergleichen. So gibt es in Hongkong z.B. keine freien Wahlen. https://t.co/JDTh9n9NOFExterner Link
— Martin Aldrovandi (@martinaldro) January 7, 2021Externer Link
BREAKING!!!
— Christian Wasserfallen (@cwasi) January 7, 2021Externer Link
Grüne & Linke empören sich endlich erstmals über politische #AusschreitungenExterner Link (in den USA). #rechtsoExterner Link!
Erst noch gerade halfen sie dabei, dass der #BundesplatzExterner Link tagelang ILLEGAL besetzt wurde.
Der Zweck heiligt niemals die Mittel! #lessonlearnedExterner Link? pic.twitter.com/PNOB4cZnoAExterner Link
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