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Proteste gegen Schweizer Unternehmen in Mexiko

Demonstration in Apasco, Mexiko, gegen die Firma Ecoltec, Tochterfirma der Holcim. Greenpeace

Eine Bürgerbewegung im mexikanischen Apaxco wirft einer Tochterfirma des Schweizer Holcim-Konzerns vor, für Vergiftungserscheinungen der Anwohner verantwortlich zu sein und blockiert die Fabrik. Holcim bestreitet die Vorwürfe.

Wie aus einer Umfrage des unabhängigen Zentrums für Diagnostik und Alternativen für die Vergiftungsopfer (Cedaat) hervorgeht, leiden die Menschen vor Ort an Kopfschmerzen, Augenreizungen und Halsentzündungen. 86% von 305 untersuchten Personen wiesen akute Vergiftungserscheinungen auf. Bei Schulkindern im Alter von durchschnittlich neun Jahren stellte Cedaat ausserdem teils gravierende Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen fest.

«Wir haben es mit einem komplexen Problem zu tun», erklärt der Mediziner Arturo de Leon von der Autonomen Universität Mexikos, der die Cedaat-Untersuchung leitete. «Die Leute beschweren sich zu Recht, denn ihre Gesundheit nimmt Schaden.»

Tod einer Putzkolonne

Für elf Bauern, die in einer in zwei Kilometer Entfernung der Ecoltec-Fabrik gelegenen Abwasseranlage geputzt hatten, kam im März 2009 jede Hilfe zu spät. Nach offizieller Darstellung waren sie ertrunken, nach Ansicht der lokalen Bürgerbewegung Giftgasen zum Opfer gefallen, die sie während der Arbeit eingeatmet hatten.

Die Bürgerbewegung «Pro Salud» (Pro Gesundheit) wirft Ecoltec vor, illegale Abflussrohre zu dieser Anlage verlegt zu haben, aus der Abwässer der Hauptstadt Mexiko City in den Fluss Salado fliessen.

Roland Walker, Konzernsprecher von Holcim Ltd., weist den Vorwurf entschieden zurück. Die nationale Wasserkommission CONAGUA habe bestätigt, dass die Ecoltec mit keinem externen Abwassersystem verbunden sei. «Holcim kann deshalb auch nicht für den Tod der Bauern verantwortlich gemacht werden», so Walker weiter.

Zweimal Chemikalien ausgetreten

Nur wenige Wochen später kam es in dem Werk kurz hintereinander zu zwei Unfällen, bei denen Ethylacrylat austrat. Die Substanz bewirkt Rötungen, Schmerzen und Verbrennungen auf der Haut und führt zu Hals- und Bauchschmerzen wie auch Erbrechen. Rund 30’000 Menschen in elf Gemeinden in einem Umkreis von vier Quadratkilometern waren betroffen. «Mir tat der Hals weh, und meine Augen waren gerötet», erinnert sich die Anwohnerin Inés Martínez.

Walker von Holcim sagt mit Verweis auf wissenschaftliche Informationen der WHO und anderen internationalen Organisationen, dass die Konzentration und die Zeitdauer der Emission zu gering gewesen sei, um diese Erscheinungen hervorzurufen. Die Bevölkerung allerdings sah dies anders: Es bildete sich eine Bürgerbewegung, diese blockierte die Tore. Seither steht die Fabrik still.

Erhöhtes Krebsrisiko

Seit 2003 verarbeitete Ecoltec in Apaxco Batterien, Telefonakkus, Autoreifen und Industrieabfälle zu Brennstoffen, mit denen die Öfen lokaler Zementfabriken angetrieben werden. Der Betrieb liegt in einer Region mit einer massiven Dichte an chemischen Fabriken.

Die freigesetzten Umweltgifte der Fabriken erhöhen das Krebsrisiko. Antonio Gil, der 25 Jahre lang für den Schweizer Ableger gearbeitet hatte, macht genetische Schäden für den Leukämietod seines siebenjährigen Sohns verantwortlich. Das Kind nahm an einer Krebsstudie des Mexikanischen Sozialversicherungsinstituts teil. Drei Jahre nach dem Tod des Jungen wartet Gil jedoch immer noch auf das Ergebnis.

«Grünes» Image von Recycling ist trügerisch

Recycling stehe häufig zu Unrecht in dem Ruf, ein umweltfreundlicher Prozess zu sein, kritisiert Fernando Bejarano von Caata, einer nichtstaatlichen Organisation, die in Mexiko über die Einhaltung der 2001 unterzeichneten Stockholmer Konvention über Verbote und Beschränkungen für langlebige organische Schadstoffe wacht.

Ecoltec ist nicht der einzige Umweltsünder in der Region. Zu den insgesamt 115 Industriebetrieben gehören auch etliche Zementwerke, die ihren Energiebedarf durch die Verbrennung alter Autoreifen decken. Ab 2015 soll in der Gegend ausserdem eine Raffinerie des staatlichen Erdölunternehmens Pemex den Betrieb aufnehmen.

Walker betont, dass die Ecoltec-Fabrik korrekt nach geltenden Standards betrieben werde, «genauso wie Anlagen in der Schweiz auch». Holcim sei daran, eine unabhängige Untersuchungskommission zusammenzustellen, die aufzeigen soll, welche Auswirkungen die Ecoltec-Anlage auf Umwelt und Gesundheit der benachbarten Siedlungen hat. Die Studienergebnisse sollen noch in diesem Jahr vorliegen.

Komme die Studie zu einem für Ecoltec positiven Ergebnis, dann wolle Holcim auch den Betrieb der Fabrik wieder aufnehmen. Vorerst jedoch hat die Bundesstaatsanwaltschaft für Umweltschutz die Genehmigung für Ecoltec nicht verlängert. Die Mitglieder von Pro Salud haben sich mehrfach mit dem Bundesstaatsanwalt für Umweltschutz, Patricio Patrón, getroffen. Walker sagt, dass auch Holcim sich erhoffe, mit der Bürgerbewegung in einen Dialog zu kommen.

Neue Untersuchungsergebnisse erwartet

«Pro Salud» setzt die Blockade unterdessen fort. Auch die staatliche Nationale Autonome Universität Mexiko hat eine eigene Untersuchung angekündigt. Und Ceedat will im Verlaufe des Julis die Ergebnisse ihrer Untersuchung über die Auswirkungen der Fabrik auf die Gesundheit der Bevölkerung bekanntgeben. Bald sollte also ans Licht kommen, welche Rolle die Tochterfirma des Schweizer Konzerns Holcim in der Industrieregion spielt.

Die mexikanische nationale Wasserkommission, Conagua, hat im Oktober 2010 Holcim von jeglichem Fehlverhalten in Bezug auf die Vergiftungsfälle in Apaxco reingewaschen.

Eine Stellungnahme gegenüber swissinfo.ch besagt, dass es » keine hydraulische Infrastruktur in den Anlagen von Ecoltec, um Restwasser auf nationales Territorium, inklusive den Boden, einzuleiten», gebe.

Aus diesem Grund sei es für Ecoltec unmöglich gewesen, Restwasser in das mexikanische Abwassersystem zu leiten.

Mit einer Jahresproduktion von mehr als 200 Mio. Tonnen (2009) ist Holcim Ltd. einer der weltweit grössten Zementproduzenten.

Der international tätige Konzern hat seinen Sitz in Jona, St. Gallen, und ist auf die Produktion von Baustoffen und den Handel damit spezialisiert.

Das Unternehmen wurde 1912 in Holderbank im Kanton Aargau gegründet, ist heute in mehr als 70 Ländern tätig und zählt rund 80`000 Mitarbeiter.

Sein Verhalten in Bezug auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit ist umstritten. Einerseits wurde Holcim 2008 am Weltwirtschaftsforum in Davos diesbezüglich als «mustergültig» gelobt. Gleichzeitig wurde es wegen «branchenunüblich tiefer Löhne» und «fragwürdiger Akquisition von Land» in Indien für die Anti-Auszeichnung «Public Eye Award» nominiert.

2003 gründete Holcim eine Stiftung, die einen weltweiten, hoch dotierten Architekturwettbewerb für nachhaltiges Bauen ausschreibt.

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