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Stripclubs und Betrug: Prozess gegen einen «unkonventionellen» Schweizer Banker

Pierin Vincenz
Pierin Vincenz stellte sich mit seinem extravaganten Auftreten gegen die Diskretion der Schweizer Bankenbranche und trat gerne vor die Medien. Keystone / Alessandro Della Bella

Einer der grössten Betrugsprozesse in der Schweizer Finanzgeschichte steht kurz vor dem Beginn. Pierin Vincenz, ehemaliger CEO der Schweizer Bank Raiffeisen, steht zusammen mit mutmasslichen Komplizen vor Gericht – darunter Beat Stocker, dem Ex-Boss des digitalen Zahlungsunternehmens Aduno.

Pierin Vincenz und Beat Stocker werden beschuldigt, sich bei einer Reihe von Firmenübernahmen illegal mit Millionen von Franken bereichert zu haben.

Obwohl Raiffeisen nicht vor Gericht steht, wurde der Ruf der Bank in Mitleidenschaft gezogen, weil sie verschwenderische Auslandreisen und Stripclub-Besuche auf Firmenkosten genehmigte und einer Reihe von verdächtigen Geschäften nicht nachging.

Raiffeisen bewirbt sich selbst als «drittgrösste Bankengruppe der Schweiz», ist aber ausserhalb des Landes kaum bekannt. Das liegt daran, dass sie eine Genossenschaft von mehr als 200 lokalen Banken ist, die Kredite und andere Dienstleistungen anbieten.

Daher wird der Prozess gegen ihren ehemaligen CEO wahrscheinlich nicht die gleiche weltweite Resonanz finden wie die jüngsten Skandale um die Credit Suisse oder die Steuerhinterziehungs-Affären der UBS.

Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) erkennt jedoch die Bedeutung von Raiffeisen für die Wirtschaft an und hat die Bank offiziell als «too big to fail» (oder «systemrelevantExterner Link«) eingestuft. Dieser Titel geht einher mit einer verstärkten regulatorischen Aufsicht und der Forderung, zusätzliche Reserven zur Deckung von Verlusten zu bilden.

Als CEO zwischen 1999 und 2015 versuchte Vincenz, das Profil von Raiffeisen durch die Kraft seiner Persönlichkeit und eine Reihe von strategischen Deals zu schärfen. Als extravaganter, medienwirksamer und für kühne strategische Schachzüge bekannter Manager war Vincenz das Gegenteil eines diskreten Schweizer Bankers.

Er beaufsichtigte den Kauf von zwei international tätigen Privatbanken, Notenstein und La Roche (die inzwischen von Raiffeisen verkauft wurden). Vincenz wollte auch das lokale Filialnetz von Raiffeisen durch Beteiligungen an Finanztechnologie-Unternehmen auf den neuesten Stand der Technik bringen. Er präsidierte die Raiffeisen-Tochter Aduno, Stocker war deren CEO.

Mängel bei der Aufsicht

Doch die Achterbahnfahrt von Wachstum und Ehrgeiz geriet Anfang 2018 ins Strudeln, als Vincenz und Stocker wegen Betrugs, Veruntreuung und BestechungExterner Link angeklagt wurden – Vorwürfe, die sie bestreiten.

Ihnen wird vorgeworfen, heimlich Beteiligungen an Unternehmen angehäuft zu haben, die von Raiffeisen oder Aduno übernommen werden sollten und deren Wert nach der Übernahme gestiegen war. In der Anklageschrift wird auch die Entgegennahme von «nicht genehmigten Spesen» und die angebliche Bestechung von Mitverschwörern angeführt.

Die Staatsanwaltschaft fordert für die beiden Hauptangeklagten sechs Jahre Gefängnis und die Rückzahlung unrechtmässig erzielter Gewinne in Millionenhöhe. Sieben weitere Personen wurden im Zusammenhang mit den mutmasslichen Straftaten, zu denen auch die Annahme von Bestechungsgeldern gehört, ebenfalls angeklagt.

Vincenz› Ex-Frau, die einst als Raiffeisen-Chefjustiziarin tätig war, wurde im November wegen Verletzung des Bankgeheimnisses verurteilt, weil sie vertrauliche Dokumente an ihren Ex-Mann weitergegeben hatte.

Raiffeisen hat die Affäre bereits in einem schlechten Licht dastehen lassen. Eine 2018 abgeschlossene Untersuchung der Finma stellte eine «schwerwiegende Verletzung des Aufsichtsrechts» fest: «Der Verwaltungsrat von Raiffeisen hat es versäumt, seinen ehemaligen CEO angemessen zu beaufsichtigen, wodurch dieser zumindest potenziell in der Lage war, sich auf Kosten der Bank persönlich zu bereichern.»

Der Verwaltungsratspräsident der Bankengruppe, Johannes Rüegg-Stürm, wurde zum RücktrittExterner Link gezwungen, gefolgt von Vincenz› Nachfolger als CEO, Patrik Gisel. Dieser war nie in den Skandal verwickelt, aber er konnte die Verbindungen zu seinem ehemaligen Chef nicht abschütteln und hielt seine Position selber für unhaltbar.

Der Prozess beginnt am 25. Januar und wird aufgrund der Komplexität der Beweislage voraussichtlich mehrere Monate, wenn nicht sogar Jahre dauern. Angesichts des Umfangs des Falles wurde der Prozess vom normalen Gerichtsgebäude in ein grosses öffentliches Gebäude in Zürich verlegt, in dem normalerweise Konzerte stattfinden.

Liste der Skandale

Die Schweiz ist es nicht gewohnt, dass Betrugsfälle in Unternehmen so viel Aufsehen erregen. Das letzte vergleichbare Ereignis war der Prozess gegen die Swissair-Führungskräfte im Jahr 2007, die nach dem Konkurs der Fluggesellschaft von kriminellem Fehlverhalten freigesprochen wurden.

Sollten Vincenz und Stocker für schuldig befunden werden, ist der Ärger für sie möglicherweise dennoch nicht vorbei. Sie könnten zivilrechtlich auf Schadenersatz in Höhe von mehreren Millionen Franken verklagt werden.

Berichten zufolge sind Staatsanwälte sowohl in der Schweiz als auch in Liechtenstein bereit, Ermittlungen wegen Geldwäsche gegen das Duo und einen Schweizer Anwalt einzuleiten, der in ihrem Namen Zahlungen abwickelte. Ein Schuldspruch im Zürcher Prozess könnte zu weiteren Anklagen führen, wenn sich die Transaktionen als betrügerisch erweisen.

Für den diskreten Schweizer Bankensektor ist die ständige Flut reisserischer Schlagzeilen der Stoff, aus dem Albträume sind. Und sie reihen sich ein in eine wachsende Liste von Skandalen, welche die Branche erschüttern.

Im Jahr 2020 musste der CEO der Credit Suisse, Tidjane Thiam, zurücktreten, nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Bank Detektive angeheuert hatte, um ehemalige Mitarbeiter zu bespitzeln. Die Credit Suisse war auch in einen aufsehenerregenden Veruntreuungsfall in Mosambik verwickelt und erlitt im vergangenen Jahr riesige Verluste durch die zusammengebrochenen Investmentprogramme Greensill und Archegos.

Erst vor wenigen Tagen musste zudem António Horta-Osório als Verwaltungsratspräsident zurücktreten, nachdem er die Covid-19-Beschränkungen sowohl in der Schweiz als auch in Grossbritannien missachtet hatte.

Im Dezember erlitt die UBS zudem einen Reputationsverlust, als ein Pariser Berufungsgericht die strafrechtliche Verurteilung der Bank bestätigte, weil sie jahrelang französischen Bürger:innen geholfen hatte, Steuern zu hinterziehen.

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