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«Racial Profiling ist ein institutionelles Problem bei der Polizei»

Une personne noire contrôlée par deux policiers
Racial Profiling ist laut dem Rat der afrikanischen Diaspora eines der grössten Probleme, denen Schwarze in der Schweiz begegnen. Keystone

Rassismus in der Schweiz zeigt sich grundsätzlich bei ethnisch motivierten polizeilichen Kontrollen (Racial Profiling). Zu diesem Schluss kommt der Rat der afrikanischen Diaspora in der Schweiz. Handelt es sich um Einzelfälle oder institutionalisierte Praktiken? Für Tarek Naguib, Jurist und Mitglied der Allianz gegen Racial Profiling, ist das Problem struktureller Natur.

«Unsere Beobachtungen zeigen, dass Racial Profiling eines der Hauptprobleme ist, denen Schwarze in der Schweiz begegnen», sagt André Loembe, Vize-Präsident von CRAN (Carrefour de réflexion et d’action contre le racisme anti-noir), einer Organisation, die sich gegen Rassismus gegenüber Schwarzen engagiert. CRAN hat kürzlich dem Rat der afrikanischen Diaspora in der Schweiz, der sich aus Anlass des zehnjährigen Bestehens in Bern traf, einen Bericht über Personen afrikanischer Abstammung präsentiert.

Tarek Naguib, Jurist und Mitgründer der Allianz gegen Racial Profiling, wehrt sich gegen polizeiliche Kontrollen aufgrund der Hautfarbe, von der die afrikanische Gemeinschaft in der Schweiz betroffen sei.

Tarek Naguib
Tarek Naguib zVg

swissinfo.ch: Ethnisch motivierte polizeiliche Kontrollen geben in den USA viel zu reden, insbesondere seit der Geburt der Bewegung «Black Lives Matter». Kann man in der Schweiz wirklich auch von systematischem, rassistischem Profiling sprechen?

Tarek Naguib: Ja, aktuelle Studien zeigen, dass es sich um ein systematisches und strukturelles Problem handelt. Das bedeutet nicht, dass es absichtlich gemacht wird.

Es gibt einen historischen und soziologischen Unterschied zwischen der Situation in den USA und in der Schweiz. In den USA steht das Thema seit den 1960er-Jahren auf der politischen Agenda, seit der Gründung der afro-amerikanischen Menschenrechts-Bewegung, die für die Abschaffung der Rassensegregation kämpfte. Die amerikanische Geschichte der Kolonialisierung und Sklaverei hat dazu geführt, dass die antirassistische Bewegung dort stärker ist. Aus soziologischer Sicht besteht eine strukturierte Rassensegregation: In zahlreichen Städten gibt es eine bedeutende schwarze und arme Bevölkerung, unter der die Kriminalität höher und die Polizei präsenter ist.

Weil die Schweiz keine direkten Verbindungen zum Kolonialismus hat, neigen die Gesellschaft, die Politiker, die Polizei und sogar die Experten dazu, das Problem kleinzureden. Tatsächlich ist es bedeutender als man denkt.

Unsere Recherchen zeigen, dass wenige Weisse, die dem europäischen Stereotyp entsprechen, mit rassistischem Profiling konfrontiert waren. Schwarze Personen hingegen, aber auch Jenische, Roma, Transgender, Sexarbeiterinnen, Muslime oder Migranten haben solche Situationen erlebt. Leider gibt es zu diesem Thema nur wenige Untersuchungen und wissenschaftliche Daten. 

«Wenn es Einzelfälle gibt, müssen wir sie kennen»

Die Menschenrechts-Organisation humanrights.ch stellt in einigen Kantonen eine Verbesserung fest, was den Kampf gegen Racial Profiling betrifft. Als Beispiel erwähnt sie insbesondere das Projekt «Dialog: Das gegenseitige Verständnis stärken», das von der Berner Kantonspolizei, dem Forum Schweiz-Afrika (SAF) und dem Verein «Gemeinsam gegen Gewalt und Rassismus» getragen wird. Im September 2013 haben die drei Organisationen gemeinsam mit anderen Experten eine Informationsbroschüre über die Rechte und Pflichten bei polizeilichen Identitätskontrollen herausgegeben. «Ausserdem findet ein regelmässiger Informationsaustausch statt, um die Sensibilisierung zu stärken und die Debatte innerhalb der Organisationen zu fördern», hält humanright,ch fest.

Manuel Willi, Chef der Regionalpolizei Bern, bezeichnete das Dialog-Projekt als konstruktiv: «Wir verfolgen alle das gleiche Ziel: Rassismus in der Polizei verhindern und die Menschenrechte respektieren, aber der Weg zu diesem Ziel ist unterschiedlich», sagte er als Gast vor dem Rat der afrikanischen Diaspora. Willi ist aber überzeugt, dass es keinen institutionalisierten Rassismus in den Reihen der Ordnungshüter gebe. «Wenn es Einzelfälle gibt, müssen wir sie kennen», sagt er.

swissinfo.ch: Wie unterscheidet sich eine diskriminierende Kontrolle von einer Kontrolle, die der Sicherung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dient?

T.N.: Eine polizeiliche Kontrolle ist dann diskriminierend, wenn sie einzig aufgrund der Hautfarbe, der Religion, der Ethnie oder Nationalität durchgeführt wird und keinerlei suspektes Verhalten des Individuums beobachtet werden konnte.

Juristisch ist es allerdings sehr schwierig zu beweisen, ob sich der Polizist rassistisch äusserte oder nicht. Die Erfahrungen sind sehr verschieden, aber der Charakter dieser Kontrollen ist, dass sie als sehr erniedrigend empfunden werden. In den meisten Fällen kooperiert die kontrollierte Person, weil sie fürchtet, bei Widerstand Probleme zu bekommen. Wenn sie auf Konfrontationskurs geht, ist das Risiko einer Eskalation grösser. Das Geschlecht, das Alter einer Person und die Sprache, die sie spricht, beeinflusst den Ablauf der Kontrolle ebenfalls. Das Konfrontationsrisiko ist bei einem Mann oder bei jemandem, der keine der Nationalsprachen beherrscht, viel höher.

swissinfo.ch: Was empfehlen Sie einer Person, die überzeugt ist, Opfer von Racial Profiling zu sein?

T.N.: Die meisten sprechen nicht über ihre Erfahrungen, weil sie sich erniedrigt fühlen und das Vertrauen in die Justiz verlieren. Sie haben vor allem Angst, sich zu exponieren und erneut Ziel von Hass und Rassismus zu werden.

Ich rate ihnen, sich zu organisieren, sich mit anderen Personen auszutauschen, die das gleiche erlebt haben. Aber es ist schwierig zu sagen, was man tun kann; die Beratungsstellen haben im Kampf gegen Rassismus kein Patentrezept. Gegen Racial Profiling vorzugehen, ist schwierig, weil das Problem bei der Polizei institutioneller Natur ist.

swissinfo.ch: Welche Lösungen sehen Sie, um dem Problem zu begegnen?

T.N.: Es braucht eine interdisziplinäre und kollektive Strategie gegen Rassismus. Für individuelle Fälle kann man Lösungen finden, aber damit löst man die strukturellen Probleme nicht. Es braucht Sensibilisierungsarbeit.

In der Schweiz gibt es eine leichte Verbesserung. 2007 hat Amnesty international einen Bericht publiziert, über den die Medien berichteten. Das hat die Polizei veranlasst zu reagieren und sich zu rechtfertigen. Seither spricht man häufiger über Racial Profiling; es gibt ein gewisses Bewusstsein. Das genügt allerdings nicht. Es braucht eine kollektive Bewegung auf allen Ebenen, um das Problem auf die politische Agenda zu bringen.   

swissinfo.ch: In Bern wurde ein Dialog zwischen der Polizei und dem schweizerisch-afrikanischen Forum initiiert. Dieses hat auf Flyern über die Rechte bei polizeilichen Kontrollen informiert. Geht diese Initiative in die richtige Richtung?

T.N.: In den letzten Jahren gab es Dialog-Projekte in verschiedenen Städten: in Bern, Basel, Genf, Zürich. Für die Polizei bedeutet dies allerdings, dass sie an ihren Strukturen nichts zu ändern braucht. Dialog ist gut, aber nicht, wenn es sich um eine Farce handelt. In der Schweiz gibt es keinen wirksamen Dialog. Die Dialoge werden als Marketing-Argument genutzt. Die Polizei hat bisher keine eigentlichen Ausbildungsmassnahmen oder systematischen Kontrollen eingeführt, um diskriminierende Praktiken zu verhindern. Hier gibt es nicht genügend Druck auf die Polizei, damit diese einen symmetrischen Dialog einführt.

swissinfo.ch: Sollten sich die antirassistischen Bewegungen der Schweiz von jenen der USA inspirieren lassen?

T.N.: Die Zivilgesellschaft muss sich von dem inspirieren lassen, was in anderen Ländern geschieht. In der Schweiz ist die antirassistische Bewegung schwach und hat keine strategische Macht. Das Problem hat einen historischen und einen soziologischen Grund. Die Schweiz ist ein reiches Land, das keine grossen Probleme mit Armut, rassistischer Segregation oder systematischer Polizeigewalt hat. Deshalb hat sie auch keine antirassistische Kultur entwickelt. Es gibt keinen Druck und keine Vorbilder, welche die Leute dazu bringen, sich zu organisieren, um gegen den strukturellen Rassismus zu kämpfen. Das muss noch umgesetzt werden.

Dekade für Personen afrikanischer Herkunft

Die Décennie internationale des personnes d’ascendance africaineExterner Link (internationales Jahrzehnt der Personen afrikanischer Herkunft), die von der UNO von 2015 bis 2024 proklamiert wurde, hat zum Ziel, die Rechte der Menschen afrikanischer Herkunft zu schützen und zu fördern und deren Beitrag zur Bereicherung anderer Kulturen anzuerkennen.

In der Schweiz hat der Rat der afrikanischen Diaspora Aktionen zur Sensibilisierung der Bevölkerung gegenüber Rassismus veranlasst. «Das Problem beginnt bei den Eliten, in den politischen Reden, die manchmal Hass schüren», sagt Celeste Ugochukwu, Präsident der Organisation.

Die Eidgenössische Kommission gegen RassismusExterner Link (EKR) hat an der Universität Zürich eine Studie in Auftrag gegeben, um das Rassismus-Problem gegenüber Schwarzen in der Schweiz zu analysieren. Für die Erhebung «Zusammenleben in der SchweizExterner Link» arbeitet die EKR mit dem Bundesamt für Statistik zusammen. Die Fachstelle für Rassismusbekämpfung führt eine komplementäre Studie mit der Universität Neuenburg durch. «Wir werden alle diese Informationen im Frühling des nächsten Jahres im Rahmen eines Kolloquiums vorstellen und in Zusammenarbeit mit dem Rat der afrikanischen Diaspora einen Aktionsplan erarbeiten», sagt EKR-Präsidentin Martine Brunschwig Graf, . «In der Schweiz fehlt es an nachhaltigen Zahlen. Es ist wichtig, dass man auf Basis konkreter Daten diskutieren kann», sagt sie.   

(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

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