Banken haben punkto Diversity noch viel zu tun
Dass der Ivorer Tidjane Thiam Anfang Jahr als Chef der Credit Suisse zurücktreten musste, habe auch mit Rassismus zu tun, impliziert ein Artikel der New York Times. Tatsache ist: Thiam war der einzige Chef einer Grossbank mit dunkler Hautfarbe. Es stellt sich die Frage: Wie geht die Bankenwelt – insbesondere die Credit Suisse – mit dem Thema Diversity um?
In ihren Geschäftsberichten weisen die meisten Grossbanken darauf hin, wie wichtig ihnen Diversity und das Fördern von Minderheiten seien. Zu diesem Schluss kommt eine Auswertung des Headhunters DHR International. Unter Diversity versteht man die Vielfalt der Mitarbeitenden bezüglich unterschiedlicher Faktoren wie Geschlecht, Herkunft, Ethnie, sexueller Orientierung, Alter, Religion und so weiter.
Der Abgang von Tidjane Thiam als Bankchef der Credit Suisse ist zwar schon eine Weile her. Ziemlich genau acht Monate später sorgt er aber erneut für Schlagzeilen. In einem ausführlichen Artikel Externer Linkrollt die New York Times die Frage auf, ob auch rassistische Motive Auslöser für Thiams Kündigung waren.
Eine eindeutige Antwort gibt die US-Zeitung zwar nicht. Der Artikel von Anfang Oktober lässt aber zumindest zwischen den Zeilen keinen Zweifel: Thiams Hautfarbe hat eine Rolle gespielt. Die Zeitung verweist etwa auf Darbietungen an der Geburtstagsfeier von CS-Verwaltungsratspräsident Urs Rohner, die Thiam offenbar als rassistisch aufgefasst hatte. Die Bank hat sich diese Woche auf Anfrage der Zeitung Guardian für die Vorfälle entschuldigtExterner Link.
Der heute 58-jährige Ivorer verliess die Grossbank im Februar, nachdem aufgeflogen war, dass die Bank mehrere Topmanager beschatten liess.
Trotzdem habe sich nicht viel bewegt, sagt Anina Cristina Hille, die an der Hochschule Luzern zum Thema Diversity forscht. Dabei seien die Arbeitgeber in der Schweiz, gerade die Grossbanken, durchaus engagiert. Aber letztlich sei Diversität halt ein Problem, für dessen Lösung es neben den Arbeitgebern auch die Politik und die Gesellschaft brauche.
Fokus auf Genderfrage
Beim Thema Vielfalt konzentrierten sie die Banken (aber nicht nur sie) bisher stark auf die Geschlechtergerechtigkeit. «Wenn man heute über Diversity spricht, denken die meisten an Gender», sagt Hille. «Wohl deshalb, weil Gender einerseits politisch in den letzten Jahren ein grosses Thema war; und andererseits, weil es die Hälfte der Bevölkerung betrifft», vermutet die Forscherin.
Kein Wunder also, dass sich in dem Bereich am meisten getan hat. Eine Studie des Beratungsunternehmens Oliver Wyman kam Ende letztes Jahr zum Schluss, dass die wohlwollenden Worte der Banken dank harter Arbeit und Engagement endlich reale Folgen hätten. Immerhin seien heute 20 Prozent der Geschäftsleitungsmitglieder weiblich. Frauen sind damit in der Führung aber immer noch klar untervertreten. Denn mehr als die Hälfte des gesamten Bankenpersonals ist weiblich.
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Wenige Strukturen zur Förderung von Minderheiten
Im Schatten der Genderfrage steht die Förderung von Minderheiten: In einer Umfrage der Hochschule Luzern gaben 92 Prozent der befragten Schweizer Unternehmen an, ihr Diversity Management umfasse das Thema Geschlecht. Nur bei 49 Prozent fiel auch der Aspekt Ethnie darunter.
Noch extremer ist die Schere bei den greifbaren Massnahmen. 54 Prozent der Unternehmen gaben an, bei ihnen gebe es spezielle Netzwerke und Gruppen zur Förderung von Frauen. Nur 9 Prozent verfügen über vergleichbare Strukturen zur Förderung ethnischer Minderheiten.
Die Credit Suisse steht gut da
Und wie steht es nun speziell um die Credit Suisse? In der Genderfrage steht sie im Branchenvergleich gut da: Im Verwaltungsrat sind 3 von 13 Personen Frauen. Das entspricht genau dem Branchendurchschnitt. Überdurchschnittlich weiblich ist dagegen die Geschäftsleitung besetzt. Der Frauenanteil erreicht bei der Credit Suisse 27 Prozent. Insgesamt sind 22 Prozent des höheren Kaders Frauen – über die gesamte Branche sind es gemäss Erhebung der Skema Business School weniger als 17 Prozent.
Hille untersucht regelmässig, wie verschiedene Schweizer Unternehmen Diversität in einem breiteren Sinn angehen. In ihrer Online-Umfrage beantworten die teilnehmenden Betriebe dafür rund 50 Fragen zur allgemeinen Organisation des Unternehmens, zu ihrem Diversity Management und zur Zusammensetzung ihres Personals hinsichtlich Alter, Geschlecht, Nationalität, Religion und Gesundheit/Behinderung. Das Kondensat daraus ist der Diversity Index, der letztmals 2018 publiziert wurde. Die Credit Suisse lag damals vor der IKEA und dem Paul Scherrer Institut auf Rang eins.
Die zweite Schweizer Grossbank, die UBS, hat zuletzt 2014 an der Umfrage teilgenommen und es nicht in die Top 10 geschafft. Die CS lag damals auf Platz 4.
Für Hille ist das gute Abschneiden der CS keine Überraschung. Aus ihrer Erfahrung weiss sie, dass international tätige Grossunternehmen in der Regel bewusster mit Diversity umgehen. «Gleichberechtigung allein zieht in der Wirtschaft zwar nicht. Wenn man aber auf die Vorteile von Diversity hinweist – zum Beispiel, dass dank Diversity das Arbeitskräftepotenzial besser genutzt werden kann – sprechen die Unternehmen gut darauf an.»
Noch viel zu tun
Was die Schweizer Banken am Ende des Tages unternehmen, darüber sind sie allerdings niemandem Rechenschaft schuldig. Anders in den USA, dem Mutterland von Diversity-Debatte und Black-Lives-Matter-Bewegung: Grossunternehmen sind dort verpflichtet, den Behörden Daten vorzulegen zur Diversität ihrer Belegschaft. In der Schweiz gibt es kein vergleichbares Instrument.
Die Washington Post hat letztes Jahr die verfügbaren Daten der Finanzinstitute ausgewertet und kommt zum unmissverständlichen Schluss: «Banken haben Mühe, die Anzahl Schwarzer in Führungspositionen zu erhöhen.»
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt ein Bericht des Financial Services Committee des US-Repräsentantenhauses: US-Grossbanken seien nach wie vor fest in den Händen weisser Männer. Es gebe noch viel zu tun.
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