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Reaktionen aus dem Bundeshaus: «Migration war das grosse Thema»

Die Parteipräsident:innen in der Elefantenrunde im Bundeshaus.
Die Parteipräsident:innen der sechs grossen Parteien sprachen in der Elefantenrunde über die Mobilisierung der Wählenden, Gründe für den Rechtsrutsch und die Zusammensetzung des Bundesrates. Anthony Anex/Keystone

Nach den ersten Hochrechnungen am frühen Sonntagabend fanden sich die Parteipräsident:innen im Bundeshaus zu der sogenannten "Elefantenrunde" ein. Was sind die Reaktionen aus dem Bundeshaus?

Marco Chiesa, Parteipräsident der Schweizerischen Volkspartei (SVP), gab sich trotz dem vorausgesagten Grosserfolg seiner Partei nach den ersten Hochrechnungen bescheiden. «Wir müssen die definitiven Zahlen abwarten», so Chiesa. Die SVP hat vor vier Jahren 12 Sitze verloren, jetzt scheint sie acht Sitze wiedergutzumachen.

Ein Sieg oder nicht? Chiesa ist überzeugt: «Die vorausgesagten Resultate sind ein Auftrag an unsere Partei und an das ganze Parlament.» Die Schweiz habe Probleme mit Migration, illegalen Migrant:innen, mit der grossen Zuwanderung und der Energieversorgung. «Die Wähler:innen haben nun klipp und klar gesagt was sie wollen.»

Der Co-Parteipräsidentin der Sozialdemokratischen Partei (SP), Mattea Meyer, macht der sich abzeichnende Rechtsrutsch Sorgen. «Optimistisch stimmt mich, dass laut Hochrechnungen die SP gestärkt aus dem Wahlkampf herausgehen kann», so Meyer.

Das brauche es auch, um dem rechten Parlament etwas entgegenzusetzen. Die SP wird voraussichtlich auf einen Wähler:innenanteil von 17,5% kommen. Den Absturz der Grünen bedauert sie sehr – «wir wollten und wollen auch in Zukunft gemeinsam die soziale und ökologische Schweiz stärken», sagt die SP Co-Präsidentin.

Was hat das Stimmvolk mobilisiert?

Der Präsident der FDP, Thierry Burkart, ist überzeugt, dass seine Partei trotz Verlust von 0,5 Prozentpunkten auf 14,6% Wähler:innenanteil zwar auf die richtigen und wichtigen Themen im Wahlkampf gesetzt habe. Die Stromversorgungssicherheit, die Finanzierung der Altersvorsorge und unser Wohlstand seien in den nächsten paar Jahren die entscheidenden Themen, hätten im Wahlkampf jedoch nicht verfangen.

«Klar ist: Migration war das grosse Thema», so Burkart. Das zeichne sich nun auch im Wahlresultat der SVP ab. Die FDP kann trotz prognostiziertem Verlust voraussichtlich seine 29 Sitze halten. Sie wird laut Hochrechnungen von der Mitte als drittstärkste Partei im Parlament abgelöst.

Mitte Präsident Gerhard Pfister verspürt eine gewisse Befriedigung, will aber ebenfalls zuerst das definitive Resultat abwarten. «Das Wahlziel war 13,8% Wähler:innenanteil und es sieht ganz danach aus, dass dies gelingt», so Pfister. Die Mitte soll laut Hochrechnungen um 0,8 Prozentpunkte auf 14,6% zulegen. Auf das Überholen der FDP geht Pfister nicht ein. «Wir haben in unserem Wahlkampf versucht, nicht auf andere zu schauen.»

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Die grosse Verliererin

Die Grüne Schweiz wird gemäss Prognosen vom frühen Sonntagabend klar als Verliererin aus den Wahlen 2023 hervorgehen. Parteipräsident Balthasar Glättli versucht trotzdem die positive Seite zu sehen: «Wir haben vor vier Jahren historisch 17 Sitze hinzugewonnen, wenn es so herauskommt, wie es prognostiziert wird, dann können wir zwei Drittel davon retten», so Glättli. Die Grünen verlieren vier Prozentpunkte und kommen so auf einen Wähler:innenanteil von 9,2%. Sie werden voraussichtlich sieben Sitze verlieren.

Man könne nicht zufrieden sein damit, aber es sei eine gute Basis, um für den Klimaschutz zu kämpfen. «Man hat uns vorgeworfen, dass wir zu fest auf die Themen des Klimaschutzes gesetzt haben und dass wir keine Antworten zu anderen Themen hätten», so Glättli. Das stimme, sie hätten da zwar Antworten gehabt, diese jedoch zu wenig ins Zentrum der Kampagne gesetzt.

Versöhnliches Händeausstrecken

Glättli gesteht die grosse Niederlage ein. Hofft jedoch, dass die vergangene Legislatur nicht eine verlorene werde und will deshalb die Hände für eine gute Zusammenarbeit mit den anderen Parteien ausstrecken. «Unser Angebot ist, konstruktiv Lösungen zu suchen», sagt der Grüne Parteipräsident.

«Das Wahlkampf-Ende bringt etwas Positives», so FDP-Präsident Burkart. Es bringe die Chance mit sich, dass die Parteien nun wieder ein bisschen besser zusammenarbeiten im Parlament. Die FDP wolle auch die Hand ausstrecken in Richtung der bürgerlichen Kolleg:innen im Bereich Asyl. Burkart bittet die SVP jedoch um Kompromissbereitschaft und die anderen Parteien darum, beim Thema Migration mitzuhelfen, Lösungen zu suchen. «Denn das treibt die Bevölkerung um.»

Nicht nur Migrationsproblematik

Auch der Präsident der grünliberalen Partei, Jürg Grossen, sieht das Gute im Ende des Wahlkampfs. «Jetzt ist unsere Aufgabe, uns mit der kommenden Legislatur zu beschäftigen», so Grossen. Die GLP werde sich engagieren, dass das Parlament wieder gemeinsame Lösungen finde.

Die GLP, sechsgrösste Partei im Parlament, verliert 0,6 Prozentpunkte und hat neu einen Wähler:innenanteil von 7,2%. Sie verliert voraussichtlich fünf Sitze. Parteipräsident Grossen ist über das Resultat seiner Partei enttäuscht. «Doch wir haben noch Chancen auf einen Ständeratseinzug im Kanton Zürich», so Grossen.

In den nächsten Monaten gebe es neben der Asylpolitik noch viele andere wichtige Themen in der Schweiz, die anstehen würden, ist SP-Co-Präsidentin Meyer überzeugt. Rentenabbau, steigende Krankenkassenprämien, Milliardenausbau der Autobahn, Einschränkung des Mietrechts – «das sind die Vorlagen, über die wir in den nächsten Monaten abstimmen werden», so Meyer.

Auswirkung auf die Bundesratszusammensetzung?

Wie immer nach den Wahlen ist auch die sogenannte Zauberformel – die Zusammensetzung des Bundesrats – ein grosses Thema. Ein Thema, über das die Parteipräsident:innen nicht gerne zu sprechen scheinen.

Der Bundesrats-Traum scheint nach dem Wahlresultat der Grünen geplatzt. «Rein arithmetisch ist der Anspruch auf einen Bundesratssitz immer noch legitim», ist Glättli überzeugt. Aber nach diesem Resultat werde es politisch schwierig. Die Grünen würden in der Fraktion die Lage analysieren und einen allfälligen Angriff auf einen Bundesratssitz noch besprechen.

Für die GLP sei das auch kein Thema. Die Partei von Jürg Grossen habe das Ziel von 10% Wähler:innenanteil klar verfehlt. Dies und der Einzug in den Ständerat seien Kriterien gewesen für einen möglichen Anspruch eines Bundesratssitzes. Klar sei jedoch: «Die Zauberformel hat schon lange ausgezaubert, schon lange», so Grossen. Die FDP und die SP seien klar übervertreten im Bundesrat. «Ich wünsche mir immer noch, dass wir dieses Thema breiter diskutieren würden.»

Die FDP halte es wie die Mitte, bestehende Bundesräte würden nicht abgewählt. Für die SP ist die Zusammensetzung im Moment ebenfalls kein Thema. «Wir haben viele gute Kandidaturen für den freiwerdenden Sitz, die wir für die Wahl im Dezember präsentieren werden können», sagt Meyer.

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