Ist das deutliche Nein dennoch ein Sparauftrag an die SRG?
Erstaunlich am Abstimmungsergebnis ist das sehr deutliche Nein von über 70%. Die Gegner der Initiative zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren interpretieren es als Bekenntnis zum Service Public der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG. Die Initianten rühmen sich, die "Zwangsgebühren enttabuisiert zu haben".
Gestritten wird nun, ob das Resultat als Sparauftrag gewertet werden kann.
«Die Stimmbevölkerung will am öffentlichen Rundfunk festhalten.» Doris Leuthard
Ein Nein-Stimmenanteil von über 70% gelte bei Volksinitiativen als «eine Klatsche», sagt Medienministerin Doris Leuthard, und sei ein Hinweis an die Initianten, dass man nicht sofort wieder mit neuen Forderungen kommen sollte.
«Die Stimmbevölkerung will am öffentlichen Rundfunk festhalten. Der Service Public soll beibehalten werden. Die Öffentlichkeit ist bereit, dafür einen Beitrag zu entrichten und erwartet weiterhin einen Dienst an der Gesellschaft für alle, auch für Minderheiten», so Leuthard.
Das Stimmvolk wolle keinen Wechsel in eine rein kommerzielle Radio- und Fernsehwelt. In einem kleinen Land mit vier Sprachregionen könne dies der Markt allein nicht realisieren.
Wie geht es laut Medienministerin weiter? Ein Teil der Bevölkerung wünsche eine Anpassung der Gebühren. Bereits beschlossen worden sei, dass die Abgabe ab 2019 von 451 auf 365 Franken sinken werde. Die SRG bekomme neu einen Gebührendeckel, der bereits ab 2019 auf 1,2 Mrd. Franken festgelegt wurde. «Die SRG muss also bereits im nächsten Jahr sparen.»
Der Bundesrat werde die neue Konzession befristet erteilen. «Darin halten wir fest, dass die SRG mindestens 50% der Gebühr für Information investieren und im Bereich der Unterhaltung sich klar von Privaten unterscheiden müsse.»
Mitte des Jahres wolle die Regierung ein Gesetz zum digitalen Service public in die Vernehmlassung schicken, sagt Leuthard. Das Online-Werbeverbot werde bleiben und gesetzlich verankert.
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Deutliches Nein zu «No Billag»-Initiative
Gegner triumphieren
Martin Candinas, Nationalrat der Christlichdemokratischen Volkspartei CVP und engagierter Kämpfer gegen «No Billag», feiert das Ergebnis als Triumph. «Es ist schön, dass die Schweizer Stimmbevölkerung hinter der SRG steht», sagte er im Deutschschweizer Radio SRF.
Zusammen mit der CVP profilierte sich vor allem die Sozialdemokratische Partei (SP) als Gegnerin der Initiative. «Die Leute wollen weiterhin ein parteipolitisch- und wirtschaftlich unabhängiges Radio und Fernsehen», sagte SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher. «Es braucht weiterhin einen grossen, schweizweit tätigen Player wie SRF. Es braucht aber auch starke regionale Berichterstattung. Wir müssen uns Gedanken machen, wie sich der Journalismus in Zukunft finanzieren lässt und offen für neue Finanzierungsmöglichkeiten sein.
Laura Zimmermann, Co-Präsidentin der Operation Libero, eines der Nein-Komitees, bezeichnet das Resultat als Quittung für eine «radikale Initiative, die eine wichtige Säule der Gesellschaft angegriffen hatte. Für die Demokratie ist es wichtig, einen starken Service Public zu haben».
Der Kampf sei noch nicht vorbei, sagte Diego Yanez vom Verein «Nein zum Sendeschluss». «Die SRG muss und will sich verändern. Zuerst muss man nun definieren, was zum Auftrag gehört, was die SRG leisten soll? Erst danach muss der Finanzrahmen diskutiert werden.»
SRG enttabuisiert?
Die Initianten geben sich trotz der herben Niederlage als Sieger. Er fühle sich bestärkt, sagt No-Billag-Mitinitiant Olivier Kessler: «Die Diskussion war gerechtfertigt. Die Zwangsgebühren wurden enttabuisiert. Ein signifikanter Teil der Bevölkerung ist mit den Zwangsgebühren nicht einverstanden. Die Politik sollte diesen Leuten entgegenkommen.»
Die Schweiz sei wohl das einzige Land der Welt, in dem die Bürgerinnen und Bürger über die Gebühren für das öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen abstimmen können. «Unser Projekt hat einen grossen Gewinner: Das ist die direkte Demokratie.»
Ähnlich äussert sich Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands, der einzigen grossen Wirtschaftsorganisation, welche die Initiative unterstützte. Die Ablehnung habe ihn nicht überrascht. «Es gab klare Zugeständnisse, dass es Handlungsbedarf gibt. Die Diskussionen waren sehr wichtig und nützlich. Ich hoffe, dass sich die SRG zu mehr Bescheidenheit durchringt.»
Der Gewerbeverband werde sich weiterhin dafür einsetzen, dass die Doppelbesteuerung für Unternehmen wegfalle, dass sich die SRG nicht weiter ausdehne. «Wenn sie [die SRG] davon träumt, in den Online-Bereich vorzudrängen, wäre das der falsche Weg», sagte Bigler im Gespräch mit Radio SRF.
Als einzige grössere Partei hatte die Schweizerische Volkspartei (SVP) die Initiative unterstützt. SVP-Nationalrätin Natalie Rickli bezeichnete die Initianten als Sieger der Abstimmung: «Ich fühle mich bestärkt. Die Gegner haben so viele Konzessionen gemacht, dass sich die SRG verändern werde. Wir werden sie an ihren Worten messen. Jetzt müssen auch Taten folgen. Die SRG muss abspecken. In den nächsten zwei-drei Jahren führen wir eine vertiefte Diskussion. Jetzt müssen die Gebühren runter.»
Das Nein zur Initiative interpretiert der Verband der Schweizer Regionalfernsehen Telesuisse als klares Bekenntnis der Bevölkerung zu einem medialen Service public auf nationaler und regionaler Ebene. Nun müssten die Regionen gestärkt und die SRG sinnvoll beschränkt werden.
«Der Service public muss breiter abgestützt werden», schreibt Telesuisse in einer Mitteilung. Dies habe die hitzige und emotionale Debatte im Abstimmungskampf gezeigt.
Auch im Hinblick auf eine mögliche «Gebührenhalbierungs-Initiative» der SVP sei es von höchster Priorität, die Kritik an der kontinuierlichen Ausbreitung der öffentlich-rechtlichen Sender ernst zu nehmen.
100 Millionen einsparen
Die SRG habe die Kritik jener gehört, die Ja zur Initiative stimmten, sagte SRG-Generaldirektor Gilles Marchand. Für die SRG (zu der auch swissinfo. ch gehört) sei diese Abstimmung «ein starkes Signal für den öffentlichen Dienst, die privaten regionalen Radio- und Fernsehstationen und die Schweizer Gesellschaft, so Marchand.
«Die Abstimmung war keineswegs eine Selbstverständlichkeit», sagte er. Die SRG müsse sich reformieren und effizienter werden. Drei wichtige Punkte stünden nun an: Die SRG müsse sparen, das werde nicht einfach sein, sei aber wichtig. Konkret:
Aufgrund der Gebührensenkung, der durch den Bundesrat vorgenommenen Plafonierung der Einnahmen sowie durch stetig sinkende Werbeerlöse werde die SRG einen Spar- und Reinvestitionsplan in der Höhe von 100 Millionen Franken umsetzen. Sie werde bei der Infrastruktur, in der Verwaltung, in der Technik, den Immobilien, den Produktionsprozessen und in der Distribution sparen und effizienter werden.
Dann müsse sich die SRG etwas mehr auf ihre Prioritäten in den Bereichen Information, Kultur und Digital fokussieren.
In der Debatte habe sich gezeigt, dass das Publikum die klare Unterscheidbarkeit von TV-Angeboten privater und öffentlicher Anbieter schätze. Deshalb verzichte die SRG künftig darauf, die abendlichen Spielfilme durch Werbung zu unterbrechen.
Als dritter Punkt nennt Marchand die Zusammenarbeit mit den privaten Medien. Zusammen sei man stärker. Der Wettbewerb sei heute nicht national, sondern international.
Das Schweizer Syndikat Medienschaffender (SSM), zeigt sich erleichtert vom klaren NEIN. «Die Schweizer Stimmberechtigten haben ein deutliches Signal für einen unabhängigen, ausgewogenen, fairen und professionellen Journalismus gegeben», teilt das SSM mit. «Vor allem konnten damit an die 13’000 Arbeitsplätze gerettet werden.»
Verleger fordern Gesetzesrevision
Für den Verband Schweizer Medien (VSM) ist die Diskussion über die SRG nicht vom Tisch. Die Organisation der privaten Medien fordert eine «trennscharfe Definition des Service-Public-Auftrags der SRG». Das klare Resultat zu einer Radikallösung dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass grosser Handlungsbedarf bestehe. Die SRG dürfe nicht weiter expandieren, sondern sich klar auf Information fokussieren. «Die Politik muss sehr schnell und vertieft eine Revision des Radio- und TV-Gesetzes angehen.»
SWI swissinfo.ch ist ein Unternehmen der SRG und wird zur Hälfte ebenfalls durch die Billag-Gebühr finanziert.
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