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Frau im Islam: Sklavin oder Königin? 4 heikle Fragen

Musliminnen warten auf den Beginn der Jahreskonferenz des Islamischen Zentralrates Schweiz in Freiburg. Keystone

In Schweizer Medien wird oft ein negatives Bild der Frau im Islam gezeichnet: Frauen gelten als unterdrückt und diskriminiert. Doch was sind lokale Traditionen und was gehört wirklich zum Islam? swissinfo.ch hat drei Schweizer Konvertitinnen zu heiklen Themen befragt.

Wenn in der Schweiz über den Islam und die Rolle der Frauen debattiert wird, kommen regelmässig die Themen Kopftuch, Gleichberechtigung, Polygamie und Mädchenbeschneidung auf den Tisch. Bei diesen Themen prallen Schweizer Kultur und fremde Traditionen besonders heftig aufeinander. 

Doch wie werden Frauen im Islam beziehungsweise gemäss Koran wirklich behandelt – unabhängig von Kultur, Tradition und politischem IslamExterner Link? swissinfo.ch hat drei Frauen getroffen, die eine besondere Perspektive auf diese Frage haben: Schweizerinnen, die zum Islam konvertiert sind und sowohl die Schweizer Kultur als auch die islamische Religion kennen. 

Barbara Veljiji, Natalia Darwich und Nora Illi sind praktizierende Musliminnen. Nora Illi ist Frauenbeauftragte im radikal-islamischen Verein «Islamischer Zentralrat SchweizExterner Link» (IZRS). Natalia Darwich ist Schiitin, die anderen beiden Frauen Sunnitinnen. Alle drei Frauen kennen den Koran gut und legen ihn ziemlich wörtlich aus. Kulturell scheinen sich die drei Frauen hingegen mit Schweizer Werten zu identifizieren, insbesondere mit der Emanzipation der Frauen. Sie unterscheiden klar zwischen Religion und Kultur.  Was denken sie zu den heiklen Punkten?

  • Kopftuch

Nicht alle drei Frauen trugen von Beginn an eine Verschleierung. Darwich und Veljiji trugen in den ersten Jahren nach der Konversion nur zum Beten eine Kopfbedeckung. Die Frauen sind sich jedoch einig, dass der Koran ein Kopftuch für Frauen vorsieht. Inzwischen tragen sie alle eine Kopfbedeckung – Nora Illi sogar einen Gesichtsschleier, wobei sie jeweils betont, dass dies nicht obligatorisch ist. Natalia Darwich kündigte ihre Arbeitsstelle, bevor sie den Schritt zum Kopftuch wagte.

Mit gutem Grund: Nora Illi wird fast täglich wegen ihrem Gesichtsschleier beschimpft oder angerempelt. Auch Darwich kennt böse Blicke. Dass das Kopftuch ein Symbol der Frauenunterdrückung sein soll, verstehen die drei Konvertitinnen nicht. Alle drei Frauen sind sich einig darüber, dass die Frau ganz allein entscheide, ob und wann sie ein Kopftuch trage. Ehemann, Vater oder Bruder hätten dabei nichts mitzureden. «Das ist eine Sache zwischen Gott und mir», sagt Darwich.

  • Gleichberechtigung

Einigkeit herrscht über die Nichtgleichheit der Geschlechter: «Mann und Frau sind gleichberechtigt und gleichwertig, aber nicht gleich», betont Darwich. Auch Illi findet: «Mann und Frau sind nicht gleich, nur die Frau kann Kinder bekommen und stillen.»

Dass gemäss Koran der Mann der Ernährer ist und die Frau sich um die Familie kümmert, darüber sind sich die drei Frauen ebenfalls einig – sogar Veljiji, die selbst ein anderes Modell lebt: Seit der Geburt der Kinder ist sie die Ernährerin der Familie, und ihr Ehemann der Hausmann. Die drei Frauen erklären: Gemäss Koran sei nur der Mann verpflichtet, zu arbeiten, die Frau dürfe zwar arbeiten, müsse aber nicht.

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Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Barbara Veljiji steigt die Treppen hoch in eine behagliche Bauernstube. Im Ofen knistert ein Feuer, die Veljijis heizen mit Holz. Barbara Veljiji wohnt mit ihrem albanischen Ehemann, den drei Söhnen, der Schwiegertochter und der Mutter im ehemaligen Bauernhof der Eltern im Berner Seeland. Veljiji konvertierte 1992 mit 23 Jahren zum Islam. «Für mich ist der…

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  • Polygamie

Beim Thema Polygamie gehen die Meinungen der Frauen auseinander. «Ich könnte das nicht!» sagt Veljiji. «Islam hin oder her.» Nora Illi hingegen ist überzeugt: «Der Islam sieht vor, dass Männer bis zu vier Ehefrauen haben können.» Der Mann müsse aber gerecht sein und bei jeder Frau gleich viele Nächte verbringen. Ob ihr eigener Mann eine Zweitfrau hat, will sie gegenüber swissinfo.ch weder bestätigen noch dementieren. Das sei privat.

  • Mädchenbeschneidung

Für Darwich ist die Mädchenbeschneidung ein Brauchtum, das sich zufällig in moslemischen Ländern etabliert hat. «Man meint daher, es sei islamisch, aber das stimmt nicht.»

Illi sieht dies anders: «Es gibt die Mädchenbeschneidung im Islam, sie ist aber nicht obligatorisch.» Die extremen Formen, beispielsweise die Pharaonische Beschneidung, sind hingegen auch laut Illi kulturell bedingt. Der Islam sehe eigentlich nur eine Ritzung der Klitorisvorhaut vor – analog der Jungenbeschneidung.

Wie werden Frauen im Islam behandelt? Das ist die letzte Frage von swissinfo.ch an die drei Frauen. «Wie eine Perle», antwortet Illi. «Wir sind Königinnen», meint Veljiji. Und Darwich sagt aus dem historischen Blickwinkel: «Vor dem Islam war die Frau nichts wert.»

Islam hat ein schlechtes Image

Berichte über die sexuelle Versklavung von Mädchen und Frauen durch den Islamischen Staat (IS), solche über sexuelle BelästigungenExterner Link von Frauen durch moslemische Asylbewerber in Deutschland sowie die Kopftuchpflicht im IranExterner Link haben die schweizerische Öffentlichkeit erschüttert und das Bild von einem frauendiskriminierenden Islam verfestigt. Auch dass zwei syrische Jugendliche ihrer Lehrerin in der Schweiz die Hand nicht schütteln wollten, wurde in Schweizer Medien und Politik als Diskriminierung der Frau verstanden.

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