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Vier umstrittene Figuren des Islams in der Schweiz

Die Ausweisung des Genfer Imams Hani Ramadan aus Frankreich erinnert daran, dass gewisse muslimische Prediger auch in der Schweiz für Kontroversen sorgen – manchmal sogar über die Landesgrenzen hinaus. Hier sind vier Beispiele.

Hani Ramadan

Der Lehrer, der die Steinigung verteidigt. Keystone

Er ist eines von sechs Kindern einer ägyptischen Familie. Nachdem der Grossvater mütterlicherseits, Hassan Al-Banna, der Gründer der Muslimbrüderschaft, in Ägypten ermordet worden war, flüchtete die Familie in die Schweiz. Hani Ramadan kam in Genf zur Welt und wurde muslimischer Lehrer und Prediger. Seit 1995 ist er Direktor des umstrittenen Genfer Zentrums für Islam. Er präsidiert auch den Verband der muslimischen Organisationen im Kanton Genf.

Am 10. September 2002 publiziert die französische Tageszeitung Le Monde einen Gastbeitrag Ramadans, der für grossen Wirbel sorgt. Unter dem Titel «La charia incomprise» (Die missverstandene Scharia) versucht der Autor zu zeigen, dass die Steinigung von Ehebrechern nicht so grausam sei, wie man meine. Er will auch weismachen, dass die HIV-Erkrankung eine Strafe Gottes sei. Darauf wird ihm die Stelle als Französischlehrer an einer Genfer Orientierungsschule mit sofortiger Wirkung gekündigt. 2004 kommt eine Rekurskommission zum Schluss, dass die Entlassung zu unrecht erfolgt und rückgängig zu machen sei. Aber Ramadan unterrichtet nicht mehr an der Schule.

Für Empörung sorgt er wiederholt auch mit anti-semitischen Aussagen. Wenige Tage nach den Attentaten in Paris vom 13. November 2015 schreibt er in seinem Blog, der von der Tageszeitung «Tribune de Genève» gehostet wird: «Der Islam hat mit all dem nichts zu tun […]. Wir sollten anfangen, den Mossad [israelischer Geheimdienst] zu überwachen.»

Am 7. April 2017 wird Ramadan in Colmar am Ende einer Konferenz von der französischen Polizei aufgegriffen und des Landes verwiesen. Beamte eskortieren ihn bis zur französisch-schweizerischen Grenze in Basel. Der Grund für die Einreisesperre: Ramadan habe in der Vergangenheit Aussagen gemacht, die eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellten. In den letzten Monaten waren bereits mehrere Konferenzen von Ramadan in Frankreich wegen «Gefährdung der öffentlichen Ordnung» abgesagt worden.

Tariq Ramadan

Brillanter und irritierender Redner. Keystone

Tariq ist Hani Ramadans jüngerer Bruder. Er wurde 1962 in Genf geboren, studierte Islamwissenschaft und französische Literatur an der Universität Genf. Mit 22 Jahren erhält er die Schweizer Staatsbürgerschaft. 1986 heiratet er eine französische Katholikin, die zum Islam konvertiert. Das Paar bekommt drei Kinder und zieht nach Ägypten, wo Tariq seine religiöse Ausbildung fortsetzt.

1992 kehrt die Familie nach Genf zurück. Ramadan macht sich in Frankreich einen Namen durch Auftritte am Fernsehen und eine Reihe von Konferenzen. Er ist redegewandt, hat eine feine aber verständliche Sprache, ist kulturbeflissen und lässt seinen orientalischen Charme spielen. Tariq Ramadan wird zur «Stimme des europäischen Muslims» (Titel eines seiner Bücher), die seine Glaubensgenossen anhält, sich ihrer Minderheits- und Opfermentalität zu entledigen und stattdessen die volle Staatsbürgerschaft einzufordern, aber den Grundsätzen des Islams treu zu bleiben. Bei der zweiten Generation der Einwanderer in den Vorstädten, aber auch bei Intellektuellen und Globalisierungskritikern findet er viel Gehör.

Aber es gibt auch Skeptiker, die hinter der schönen Gestalt eines ägyptischen Prinzen einen gefährlichen Islamisten zu sehen glauben. 2003 dreht der Wind, als er im Internet einen Artikel publiziert, den zuvor zwei grosse Tageszeitungen zurückgewiesen haben und in dem eine Reihe jüdischer Intellektueller aufgeführt werden, die laut Ramadan gegenüber Israel zu willfährig sind. Im darauf folgenden Jahr darf er nicht in die USA einreisen, obwohl er dort eine Stelle als Lehrbeauftragter an einer katholischen Universität erhalten hätte. Deshalb lässt er sich in England nieder, wo er in Oxford einen Lehrstuhl für Islamwissenschaft erhält, der von Katar finanziert wird.

Anfang 2016 kündigt er an, die französische Staatsbürgerschaft zu beantragen. Aber der damalige Premierminister Manuel Valls widersetzt sich dem Vorhaben entschieden. Ein Zeichen dafür, dass Tariq Ramadan immer noch polarisiert, obwohl er am Fernsehen nicht mehr so oft zu sehen ist. 

Nicolas Blancho

Stimme der unheimlichen Konvertiten. Keystone

Er ist Gründer und Präsident des Islamischen Zentralrats der Schweiz (IZRS), einer Organisation salafistischer Ausrichtung. Die Organisation wurde nach dem Ja des Schweizer Stimmvolks zu einem Bauverbot für Minarette ins Leben gerufen. Der heute 34-jährige Berner mit rotem Vollbart konvertierte im Alter von 16 Jahren zum Islam. Inzwischen gehört er zu den umstrittensten Figuren des fundamentalistischen Islams in der Schweiz. 2006 sorgte er mit der Organisation von Manifestationen gegen Mohammed-Karikaturen und gegen Charlie Hebdo für Schlagzeilen.

Obwohl er nur rund 1% der Muslime in der Schweiz vertritt – vor allem Konvertiten und Ausländer der zweiten und dritten Generation, taucht der IZRS regelmässig in den Medien auf. Als Meister in der Kunst der Viktimisierung, mit Provokationen und Selbstinszenierungen zieht Nicolas Blancho immer wieder TV-Kameras an, hält doppeldeutige Reden über Steinigungen oder den Dschihad. Seine Medienpräsenz ruft den Zorn zahlreicher islamischer Organisation der Schweiz wach, für die der IZRS und dessen fundamentale Ausrichtung zu einem Klima des Misstrauens gegenüber Muslimen in der Schweiz beitragen.

Blancho ist mehr als ein simpler Agitator. Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) behält den IZRS besonders gut im Auge, insbesondere wegen dessen intransparenter Finanzierung und Nähe zu dschihadistischen Kreisen. Im Dezember 2016 eröffnet die Bundesanwaltschaft gegen Blancho und zwei weitere Vorstandsmitglieder des IZRS eine Untersuchung wegen islamistischer Propaganda. 

Nora Illi

Vom Punk zur Niqab. Keystone

Unter den Konvertitinnen und Konvertiten der Schweiz hat Nora Illi am meisten Medienpräsenz. Nicht nur, weil sie einen Gesichtsschleier trägt, sondern auch weil sie sich öffentlich zugunsten der Polygamie ausspricht, nachdem Gerüchte kursieren, dass der Vater ihrer fünf Kinder eine zweite Frau habe.

Bevor sie ihr Gesicht hinter einem Schleier versteckt, führt sie als junge Frau im Kanton Zürich ein unauffälliges Leben.

Sie nimmt an Festen teil, hört Punk, interessiert sich für Buddhismus, ernährt sich vegetarisch. Auf einer Reise nach Dubai im Alter von 18 Jahren hört sie den Gebetsruf des Muezzins und empfindet dies als Erleuchtung. Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz folgt sie 2002 dem Beispiel ihres Freundes und künftigen Ehemanns, Qaasim Illi, und konvertiert zum Islam.

Das Paar ist sehr aktiv im IZRS von Nicolas Blancho, der wegen seiner Verbindungen zu salafistischen Extremisten und Hasspredigern für Kontroversen sorgt. Am 1. Juli 2016, als im Kanton ein Gesetz in Kraft tritt, das eine Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum verbietet, reist Nora Illi ins Tessin, um sich vor Medienleuten zu exponieren und die Affäre vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu tragen.

(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

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