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Religionsfreiheit in der Armee oder wie ein Bild betender Muslime die Schweiz aufrüttelt

Soldaten beten auf einer Wiese
Von den einen bejubelt, von den anderen kritisiert: Das Bild betender Muslime in der Schweizer Armee – so erschienen in der Gratiszeitung 20Minuten – hat eine Debatte losgetreten. zVg

Seit kurzem steht muslimischen Armeeangehörigen in der Schweiz ein Feldseelsorger zur Seite. Ein von ihm organisiertes Gebet hat nun aber eine Polemik losgetreten. Über einen Fall, der zeigt, wie schwer Landesverteidigung und gesellschaftliche Diversität zusammenfinden.

Ende Juni sorgte ein Bild für Wirbel in der Schweiz: Darauf zu sehen sind rund ein Dutzend uniformierte Schweizer Soldaten, die Richtung Mekka beten. Dabei knien sie vorne übergelehnt auf Gebetsteppichen, flankiert von rund zwanzig Armeeangehörige anderer Glaubensrichtungen, die der Zeremonie beiwohnen.

Das Gebet fand anlässlich des muslimischen Opferfests Bayram in der Ostschweiz statt. Eingeladen hatte der erste muslimische Feldseelsorger der Schweizer Armee, Muris Begovic. Einige Armeeangehörige muslimischen Glaubens hätten sich das gemeinsame Gebet gewünscht, kommentierte Begovic das Bild gegenüber dem «Blick».

Die Teilnahme sei freiwillig gewesen, ebenso jene der anderen Armeeangehörigen, die das Gebet mitverfolgten. Es sei in der Armee wichtig, respektvoll mit der religiösen Vielfalt umzugehen.

«Was kommt als Nächstes: Steinigungen?»

Das Bild, das unter anderem vom Online-Nachrichtenportal 20min.ch gezeigt wurde, machte schnell in den sozialen Medien schnell die Runde. Dort gab es nicht nur wohlwollende Kommentare, sondern auch Kritik und Hass.  «So, jetzt ist die Armee definitiv verloren“, twitterte Andreas Glarner, Nationalrat der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP).

Wenig später doppelte er in einem Meinungsartikel in der «Weltwoche» nach: «Das öffentliche Gemeinschaftsgebet von muslimischen Soldaten wird unsere tolerante Gesellschaft in Bedrängnis bringen.“

Was das zu bedeuten hat, spezifizierte Glarners Partei auf TwitterExterner Link: «Was kommt als nächstes? Kinder-Ehen, Scharia-Gerichte, Steinigungen?“

Grundsätzlich verpflichten sich alle Staaten, welche die UNO-Menschenrechtskonvention unterzeichnet haben, dazu, die gemäss Artikel 18. sichergestellte feie Relgionsausübung auch im Rahmen des Militärdienstes sicherzustellen. Wie weit diesem Artikel Rechnung getragen wird, unterscheidet sich jedoch stark von Armee zu Armee.

So verfügt etwa die Deutsche Bundeswehr über christliche und jüdische, jedoch keine muslimischen Seelsorger für die rund 4000 muslimischen Armeeangehörigen. Zwar gab es in den letzten Jahren immer wieder Initiativen dies zu ändern, stand heute scheint eine Umsetzung jedoch unwahrscheinlich.

Anders in den USA. Dort existiert seit 1994 sogar ein halbmondförmiges Abzeichen für muslimische Kaplane. Muslimische Seelsorger sind sowohl in der Armee als auch in der Navy und der Air Force vertreten. Die französischen Streitkräfte, in der Muslime rund 12% ausmachen, verfügen seit 2006 über muslimische Militärseelsorger.

Innerhalb der israelischen Verteidigungsstreitkräfte, dem Militär des Staates Israel, sind auch arabische und darunter muslimische Israelis vertreten, obwohl für diese anders als für drusische und jüdische Israelis keine Militärpflicht gilt. Noch gibt es für sie kein institutionalisiertes muslimisches Angebot zur Religionsausübung.

Die Polemik um ein vermeintlich harmloses Fotos entfachte eine Diskussion, wie etwa der TagesanzeigerExterner Link mittels diverser Tweets von PolitikerInnen von links bis rechts nachzeichnete. Stand heute sind die lautesten Stimmen verstummt, was aber nicht bedeutet, dass das Thema vor den Wahlen im Herbst nicht wieder aufgenommen würde.

Dass diese alarmistische Kritik von der SVP kam, ist keine Überraschung, politisiert die Partei doch immer wieder gegen die Ausübung nicht-christlicher Konfessionen, insbesondere den Islam.

Bekanntestes Beispiel ist die Minarett-Initiative, die 2009 vom Volk angenommen wurde. Seither ist der Bau neuer Minarette in der Schweiz verboten – per Eintrag in derselben Verfassung, die eigentlich die freie Religionsausübung garantiert.

Ein armeehistorischer Moment

Was in dem Wirbel um das Foto der betenden Soldaten fast unterging: Das Bild zeigt nicht irgendein muslimisches Gebet der Schweizer Armee, sondern dass aller erste seiner Art.

Als «historisch“ bezeichnete etwa der BlickExterner Link das Gebet und wies darauf hin, dass noch bis vor wenigen Jahren allein Angehörige christlicher Glaubensrichtungen als Seelsorger innerhalb der Schweizer Armee arbeiten durften.

Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass die Armeeseelsorge bereits 1883 auf einen Bundesratsbeschluss hin institutionalisiert worden war.

Laut Armeesprecher Stefan Hofer haben sich die Angebote der Armeeseelsorge «im Laufe der Jahrzehnte laufend weiterentwickelt, um den Entwicklungen in der Schweizer Gesellschaft gerecht zu werden». Das schliesse auch die Berücksichtigung anderer Religionen ein.

Auch wenn sich immer weniger junge Menschen in der Armee einer Religionsgemeinschaft zugehörig fühlten, seien spirituelle Fragen nach wie vor präsent. So sei der erste muslimische Feldseelsorger Muris Begovic zwar ausgebildeter Imam, stehe aber innerhalb seiner Truppe allen Armeeangehörigen unabhängig ihres Hintergrunds zur Seite.

Als Beispiel für diese Arbeit nennt Hofer die seelische Unterstützung während der Coronapandemie, als tausende Soldaten ohne Wochenendurlaube in den Kasernen bleiben mussten, während zusätzlich wiederum Tausende mobilisiert wurden, um die zivilen Behörden bei der Bekämpfung der Pandemie zu unterstützen.

Armeeseelsorger hinter einem Brunnen
Fototermin mit der diversifizierten Seelsorge der Schweizer Armee im Jahr 2022: Daniele Scarabel hat einen freikirchlichen, Muris Begovic einen muslimischen und Jonathan Schoppig einen juedischem Hintergrund (von links). © Keystone / Urs Flueeler

«Die Armeeseelsorger gingen auf diese Soldaten zu, um sie moralisch zu unterstützen und ihnen einen Raum zu bieten, in sie vertrauensvoll loswerden konnten, was belastete“, sagt Hofer.

«Diese nicht wertende Aufnahme aller Soldaten, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Geschlechtsidentität, ihrer sexuellen Orientierung und ihrem Glauben hat viele berührt und viel Gutes bewirkt.“

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Die positiven Erfahrungen während der Pandemie hätten massgeblich mitgeholfen, dass die Armeeführung sich entschloss, die Anzahl der Stellen für die Armeeseelsorge von 170 auf rund 240 zu erhöhen.

Nebst Begovic haben 2022 auch zwei Vertreter des jüdischen Glaubens ihren Dienst angetreten. Mit weiteren Religionsgemeinschaften ist die Armee zudem im Gespräch.

Zahlen dazu welche zusätzlichen Feldseelsorger besonders gut die konfessionelle Zusammenstellung der Schweizer Armee repräsentieren würden, gibt es nicht: Denn seit 1995 sammelt die Armee keine Daten mehr über die Religionszugehörigkeit ihrer Angehörigen.

In der Gesamtbevölkerung stellen die Muslim:innen mit 5,7 Prozent die grösste Religionsgemeinschaft hinter den christlichen Religionen und der wachsenden Gruppe der Konfessionslosen. Der Anteil der Zugehörigen der jüdischen Religion verharrt seit Jahren bei 0,2 Prozent.

Die Dienstpflicht geht der Religionsfreiheit vor

«Der konstruktive Umgang mit einer zunehmenden Diversität ist für unsere Gesellschaft essenziell. Das gilt auch für die Armee, die aus unserer Sicht auf dem richtigen Weg ist“, sagt Katja Joho von Iras Cotis.

Der Verein versteht sich als nationales Netzwerk der im interreligiösen Dialog engagierten Organisationen.  Zweck ist es, durch Austausch, Dialog und Zusammenarbeit zwischen Menschen mit unterschiedlichem religiösem und kulturellem Hintergrund den Religionsfrieden in der Schweiz zu fördern.

Die Armeeseelsorge ist gemäss Einschätzung des Vereins seit Jahren darum bemüht, die religiöse Vielfalt der Gesellschaft zu beachten. Das Bemühen entspricht Artikel 15 der Bundesverfassung, der die Glaubens- und Religionsfreiheit festschreibt.

 «Die Ausübung dieser Freiheit darf aber nicht von den Dienstpflichten entbinden, und sie darf auch nicht den Dienstbetrieb beeinträchtigen“, sagt Armeesprecher Stefan Hess. Die Möglichkeit etwa einen Gottesdienst innerhalb der Truppe zu organisieren, werde daher nach fixen Kriterien beurteilt, wobei die endgültige Entscheidung beim Kommandanten liege.

Und: «Die dienstlichen Pflichten haben Vorrang vor persönlichen Anliegen, auch wenn diese den Bereich der Ausübung der Religion betreffen.“

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