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Schweizer Exportwirtschaft trotzt allen Widrigkeiten

Werbeplakat der Neuenburger Firma Tissot in China
Die Uhrenexporte reagieren wenig auf Wechselkurs-Schwankungen. Werbeplakat der Neuenburger Firma Tissot in China. Keystone / Qilai Shen

Die Schweizer Exportindustrie hat die Frankenstärke insgesamt gut überstanden und ist heute robuster aufgestellt gegenüber Wechselkursschwankungen und dem Wirtschaftsgang der Eurozone. Doch die Abhängigkeit von Branchen wie der Pharmaindustrie und einzelnen Grossunternehmen steigt weiter.

Rund 452 Milliarden Franken: So hoch war der Wert der Waren und Dienstleistungen, welche die Schweiz 2018 exportierte. Im Vergleich zur gesamten Produktion der Schweiz ist das etwa ein Drittel. Im internationalen Vergleich gehört die Schweiz damit zu den sehr stark verflochtenen Volkswirtschaften. Deshalb ist sie abhängig von der ausländischen Wirtschaft, und ihre Fähigkeit, auf den Weltmärkten zu bestehen, ist zentral.

«Die starke Entwicklung der Schweizer Warenexporte beeindruckt. Ende 2018 lagen die Warenexporte rund 30% über den Höchstständen vor der Finanzkrise.»

Die Entwicklung der Schweizer Warenexporte kann mit zwei Einflussgrössen erklärt werden: der weltweiten Nachfrage nach Waren und der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Unternehmen.

Während die Nachfrage vom Konjunkturgang der Weltwirtschaft abhängt, wird die Wettbewerbsfähigkeit unter anderem vom Preissetzungsverhalten der Firmen und – insbesondere in der kurzen Frist – vom Wechselkurs bestimmt

Nachfrage-Einbruch nach der Finanzkrise

In den letzten zehn Jahren wurde die Exportwirtschaft sowohl an der Nachfrage- wie auch an der Wechselkursfront stark gefordert. Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/2009 brach die weltweite Nachfrage nach Produkten stark ein. Ab 2009 wertete sich der Schweizer Franken kontinuierlich auf und setzte der Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Exportfirmen immer mehr zu. 

Dann, am 6. September 2011, führte die Schweizerische Nationalbank (SNB) einen Mindestkurs zum Euro ein. Parallel dazu rutschte aber die Eurozone in eine zweite Rezession. Am 15. Januar 2015 entschied die SNB, den Mindestkurs wieder aufzuheben, worauf sich der Schweizer Franken in kürzester Zeit real um rund 13 Prozent gegenüber dem Euro aufwertete. Schliesslich durchlief der Welthandel eine ausgeprägte Schwächephase. Diese dauerte von 2011 bis 2016.

Viele Schweizer Exportunternehmen kamen aufgrund obiger Entwicklungen zumindest zeitweise in starke Bedrängnis. Zwischen 2009 und 2015 wurde dadurch das Schweizer Exportwachstum gehemmt, und es mussten teilweise sehr schmerzhafte Rationalisierungsmassnahmen ergriffen werden.

Grafik Warenexporte
EZV / Die Volkswirtschaft

Trotzdem: Die insgesamt starke Entwicklung der Schweizer Warenexporte beeindruckt. Ende 2018 lagen die Warenexporte auch preisbereinigt rund 30 Prozent über den Höchstständen vor der Finanz- und Wirtschaftskrise.

Hauptsächlich verantwortlich dafür war der kräftige Anstieg der Ausfuhren chemischer und pharmazeutischer Produkte. Stark spezialisierte Güter wie chemisch-pharmazeutische Produkte oder Uhren reagieren bekanntlich nur wenig auf Wechselkursschwankungen.

Zudem führen demografische Trends, wachsende Einkommen und die laufenden Fortschritte im medizinischen Bereich zu einer stetig steigenden Weltnachfrage nach Gesundheitsartikeln und Medikamenten.

Ein weiterer Grund für die hohen Pharmaexporte ist der Handel mit Zwischenprodukten. Denn in der Pharmabranche werden üblicherweise bei der Wirkstofferzeugung über die globalen Wertschöpfungsketten Skalenerträge ausgeschöpft, bevor die Zwischenprodukte in den verschiedenen Absatzländern zu Fertigprodukten weiterverarbeitet werden. Dieses mehrstufige Verfahren generiert viele Grenzüberschreitungen, die in den Aussenhandelsstatistiken auftauchen.

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Diverse andere Exportarten entwickelten sich ab 2008 hingegen schwächer. Dies betrifft etwa die Maschinenindustrie und insbesondere kleinere Branchen wie die Papier- und Textilindustrie. Dort ist die Abhängigkeit gegenüber Konjunktur und Wechselkursschwankungen grösser.

2017, im Zuge des weltweit synchronen Konjunkturaufschwungs, konnten aber praktisch alle Exportbranchen wieder stark zulegen. Ob es in diesem Tempo weitergehen kann, ist fraglich angesichts der jüngsten Schwächetendenzen der Weltwirtschaft und der zahlreichen Risiken wie etwa des internationalen Handelsstreits.

Industrie bleibt wichtige Wachstumsstütze

Die Schweizer Exportwirtschaft ist insgesamt gut aufgestellt. Da die wichtigsten Industriesektoren der Schweiz, insbesondere die Pharma-, die Uhren- und die Maschinenindustrie, den mit Abstand grössten Teil ihrer Produktion exportieren, hängt auch die gesamte Industriewertschöpfung der Schweiz stark vom Ausland ab.

Umfragen der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) deuten darauf hin, dass sich die Ertragslage in der Industrie im Verlauf der Jahre 2017 und 2018 massiv verbessert hat und 2018 so gut dastand wie zuletzt vor der Finanz- und Wirtschaftskrise. Dementsprechend war es auch die Industrie, welche dank dem hohen Exportwachstum die Konjunkturerholung in der Schweiz zwischen 2017 und 2018 anführte.

Der Anteil der Industrie am Schweizer Bruttoinlandprodukt betrug im 4. Quartal 2018 18 Prozent und liegt damit nur leicht unter dem Stand von Ende der Neunzigerjahre. Damit ist der Industrieanteil in der Schweiz nach wie vor höher als in Frankreich, Italien, dem Vereinigten Königreich oder den USA.

In diesen Ländern hat sich die Bedeutung der Industrie für die gesamte Wertschöpfung in den letzten 20 Jahren deutlich stärker reduziert. Dasselbe gilt für den Anteil der Industrie an der Gesamtbeschäftigung: 2008 lag dieser Anteil in der Schweiz bei 19 Prozent. Kurz nach der Aufhebung des Mindestkurses betrug er noch 16 Prozent. Seither ist er in etwa konstant geblieben.

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Von einer breiten Deindustrialisierung während der letzten zehn Jahre kann also in der Schweiz keine Rede sein. Allerdings befindet sich jede Volkswirtschaft in einem steten Wandel.

So haben die konjunkturelle Schwäche in Europa und die zwischenzeitliche Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit aufgrund der Frankenstärke zwei Entwicklungen begünstigt: erstens einen Strukturwandel hin zu weniger konjunktur- und wechselkurssensiblen Exportgütern und zweitens eine Diversifikation in neue Exportmärkte.

Stärkere Konzentration auf wenige Branchen

Die ausserordentlich positive Entwicklung der pharmazeutischen Exporte hatte unweigerlich eine verstärkte Konzentration der gesamten Warenexporte zur Folge: Heute stammt rund die Hälfte aller Warenexporte aus der Pharmaindustrie.

Zum Vergleich: 2005 waren es noch 36 Prozent. Die übrigen Branchen reduzierten ihren Anteil entsprechend; insbesondere die Maschinen, Apparate und Elektronikprodukte verloren an Gewicht. Um zu zeigen, wie sich die Konzentration der Exporte entwickelt hat, kann man den sogenannten Herfindahl-Index verwenden.

Eine Zunahme des Indexes bedeutet eine erhöhte Konzentration. Ein Beispiel: So haben sich etwa die Warenexporte zwischen 1995 und 2016 immer stärker auf einzelne Produktkategorien konzentriert.

Grafik Herfindahl-Index
Lesebeispiel: Je höher die Konzentration nach Branchen, desto ungleicher sind die Grössenverhältnisse der Exportbranchen. So hat etwa die Pharmabranche ein zunehmendes Gewicht am gesamten Exportvolumen. EZV / Die Volkswirtschaft

Berechnet man den Index jedoch ohne die chemischen und pharmazeutischen Produkte, so sind die Warenexporte ungefähr gleich stark diversifiziert wie vor gut 20 Jahren. Seit 2016 ist die Konzentration stabil geblieben. Das ist vor allem auf die gute Weltkonjunktur zurückzuführen, die den meisten Exportbranchen gleichermassen Auftrieb verliehen hat.

Superstar-Firmen dominieren Warenexporte

Die Warenexporte hängen stark von wenigen Unternehmen ab. So machen Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten zwar rund 60 Prozent der exportierenden Firmen, aber nur rund 5 Prozent der Exporte aus. Umgekehrt machen Grossunternehmen mit über 249 Beschäftigten nur rund 2 Prozent aller Exportunternehmen aus, sie sind aber für mehr als die Hälfte der Exporte verantwortlich (53%).

Bei den pharmazeutischen Produkten ist diese Konzentration besonders extrem. Die fünf wichtigsten Unternehmen in dieser Branche bestreiten mit fast 60 Milliarden Franken an Exporten ungefähr 90 Prozent aller Pharmaexporte.

Grafik Exportvolumen 5 führender Exportunternehmen
EZV / Die Volkswirtschaft

In den anderen Exportsektoren spielen die fünf führenden Unternehmen ebenfalls eine wichtige Rolle, doch ihr Anteil liegt deutlich tiefer. Zum Beispiel im Maschinen- und Elektroniksektor: Dort sind insgesamt rund zehn Mal mehr Exportunternehmen tätig als in der Pharmabranche. Und diese haben im Schnitt deutlich weniger Beschäftigte und generieren tiefere Exportvolumen als die Pharmaunternehmen.

Aufgrund des Stellenwerts der Pharmaprodukte für die Gesamtexporte sind die grossen Pharmaunternehmen wichtige Treiber für den gesamten Schweizer Aussenhandel. Das Phänomen, dass nur wenige Firmen den Aussenhandel dominieren, ist allerdings keineswegs auf die Schweiz begrenzt.

Bessere Diversifikation nach Handelspartnern

Ein anderes Bild zeigt sich bei den Absatzländern: Hier hat die Konzentration der Schweizer Warenexporte abgenommen. Dies gilt sowohl für die einzelnen Branchen als auch für die Warenexporte insgesamt. Mit anderen Worten: Die Schweizer Exporte sind heute gleichmässiger über die Länder verteilt.

Der Anteil des nach wie vor grössten Absatzmarktes, des Euroraums, betrug 2018 44 Prozent. 1995 waren es noch 55 Prozent. Gleichzeitig haben nicht zuletzt die USA und China als Absatzländer an Wichtigkeit gewonnen. So sank der Herfindahl-Index nach Handelspartnern, berechnet zwischen 1999 und 2013, kontinuierlich. 

Die Frankenstärke gegenüber dem Euro und die lange konjunkturelle Schwäche des Euroraums haben diesen Prozess seit der Finanz- und Wirtschaftskrise noch begünstigt. Die leichte Zunahme der Konzentration seit 2016 lässt sich durch den globalen Wirtschaftsaufschwung von 2017 und 2018 erklären, als sich die Exporte in wichtige Absatzländer wie Deutschland oder die USA besonders dynamisch entwickelt haben.

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Die ausgewogenere geografische Verteilung der Exporte macht die Schweizer Exportwirtschaft robuster: Sie mindert die Abhängigkeit gegenüber Nachfrageschocks bei einzelnen Handelspartnern und reduziert die Auswirkungen einer Frankenaufwertung gegenüber einer einzelnen Fremdwährung. Die Schweizer Wirtschaft wurde so widerstandsfähiger bei Wechselkursschwankungen.

Die Schweizer Exportindustrie hat die Phase seit der Finanz- und Wirtschaftskrise dementsprechend gut gemeistert. Gemessen am Wertschöpfungs- und Beschäftigungsanteil hat bislang keine beschleunigte, breite Deindustrialisierung stattgefunden.

Hingegen wurde der Strukturwandel hin zu weniger wechselkurssensitiven Exporten – insbesondere pharmazeutischen Produkten – und zu neuen Exportmärkten begünstigt.

Die stärkere Konzentration auf wenige Exportbranchen und Unternehmen bedeutet zwar einerseits eine höhere Abhängigkeit von branchenspezifischen Entwicklungen. Andererseits sind die Exporte aber stärker diversifiziert gegenüber einzelnen Wirtschaftsräumen und deshalb weniger abhängig vom Wechselkurs.

*Ronald Indergand ist Leiter des Ressorts Konjunktur im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Vincent Pochon ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im gleichen Ressort. «Die Volkswirtschaft»Externer Link ist die Plattform für Wirtschaftspolitik des Seco und des Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF).

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