Rolex brach mit der Bucherer-Übernahme ein Tabu
Uhrenliebhaberinnen und -liebhaber in aller Welt haben die Übernahme des Schweizer Uhren- und Schmuckhändlers Bucherer durch die Luxusmarke Rolex mit grosser Überraschung aufgenommen. Wer jedoch mit der Industrie vertraut ist, sieht die Logik in der Transaktion. Eine Analyse von Masayuki Hirota, Chefredaktor des Branchenmagazins Chronos Japan.
Der Deal ist in der Uhrenbranche in aller Munde: Rolex, einer der weltweit grössten Hersteller von Luxusuhren mit einem Jahresumsatz von acht Milliarden Franken, kauft den Händler Bucherer, der über mehr als 100 Geschäfte verfügt, hauptsächlich in Europa und den USA, und jährlich mehr als 1,8 Milliarden Franken umsetzt.
Unter Insidern hat die Übernahme allerdings nicht gross überrascht: Gisbert L. Brunner, ein weltweit renommierter Uhrenjournalist, schrieb im Uhrenmedium UhrenkosmosExterner Link, ihm seien «derartige Verkaufsgerüchte schon seit längerem immer wieder zu Ohren gekommen».
Bucherer wird derzeit vom 87-jährigen Jörg Bucherer in der dritten Generation der Gründerfamilie geführt. Allerdings hat er keine direkten Erben. Eine Übernahme durch die Firma Rolex, die ebenfalls in der Schweiz ansässig ist, schien naheliegend. Mit der Übernahme hat Rolex jedoch ein langjähriges Tabu gebrochen.
Ein Richtungswechsel der Rolex-Strategie
Das 1924 gegründete Unternehmen Rolex hat seinen Erfolg durch eine konsequente Arbeitsteilung erreicht: Die Konzeption und Planung der Uhren erfolgt durch Rolex Genf, während die Herstellung der Uhrwerke Rolex Bienne (Aegler) in Biel übernimmt und der Verkauf Einzelhändlern in aller Welt obliegt.
Obwohl Rolex Genf seine Produktionsstruktur durch die Übernahme der Hersteller, darunter auch Rolex Bienne, konsolidiert hat, distanzierte sich das Unternehmen bislang nach wie vor von einem eigenen Vertriebsnetz.
Stattdessen hatte das Unternehmen durch die Zusammenarbeit mit führenden Einzelhändlern wie Bucherer ein starkes Verkaufsteam aufgebaut. Das einzige direkt geführte Geschäft befindet sich in Genf, während die anderen Rolex-Geschäfte von lokalen Einzelhändlerinnen und -händlern betrieben werden.
Dank dieses Geschäftsmodells, das auf der Trennung von Produktion und Verkauf beruht, muss Rolex keine übermässigen Lagerbestände führen. Dies ist ein Vorteil gegenüber den Konkurrenten, die auf eine Struktur mit Direktvertrieb setzen, was zu riesigen Lagerbeständen führt.
Rolex hingegen hat seine Einzelhändlerinnen und -händler stark geschützt, um sich deren Loyalität zu sichern. Mit der Übernahme von Bucherer verfügt Rolex nun über ein eigenes Vertriebsnetz – ein Richtungswechsel.
Es gab Anzeichen für den Deal
Die Übernahme von Bucherer war zwar in jüngster Zeit nur ein Gerücht, aber zwei substanzielle Anzeichen waren da: Zum einen verkaufte Bucherer bereits zertifizierte Rolex-Uhren aus zweiter Hand, was umstritten war, aber auf eine Stärkung der Beziehungen zwischen den beiden Unternehmen hindeutete.
Zum anderen teilte Carl F. Bucherer vor der Übernahme mitExterner Link, dass es seine Kollektionen auf drei zusammenlegt und die Anzahl der Modelle auf 120 reduziert.
Zudem werde das weltweite Vertriebsnetz auf die Schlüsselmärkte USA, Schweiz, Europa, China, Japan, Indien und den Mittleren Osten konzentriert, während die Gesamtzahl der Läden um rund 40% reduziert werde.
Es ist naheliegend, dass die Neuausrichtung des erfolgreichen Unternehmens Carl F. Bucherer mit der Übernahme durch Rolex einherging. Zumindest würde eine klassische Umstrukturierung des Sortiments die Wahrscheinlichkeit verringern, dass die Bucherer-Kollektionen die gleiche Kundschaft wie die von Rolex und ihrer Schwesterfirma Tudor ansprechen. In aller Stille bereiteten die beiden Unternehmen die Übernahme vor.
Eine Milliarden-Transaktion
Der Übernahmepreis wurde nicht genannt. Ein mit der Materie vertrauter Financier sagte jedoch, dass der Wert der Übernahme von Bucherer durch Rolex viel höher sei als der Betrag, den Rolex Genf für Rolex Bienne bezahlt habe. Mit anderen Worten: Die Transaktion dürfte sich auf mindestens fünf Milliarden Franken belaufen.
Die von mehreren Beobachtenden der Uhrenindustrie geschätzten Gründe für die Bereitschaft von Rolex, eine neue Richtung einzuschlagen und so viel Geld auszugeben, lassen sich in wenigen Worten zusammenfassen: Rolex ist ein grosser Akteur in der Uhrenindustrie und hat das Potenzial, dies auch in Zukunft zu bleiben.
Zum einen wollte Rolex die guten Verkaufsstandorte nicht aufgeben: Bucherer verfügt heute über mehr als 100 Geschäfte an Toplagen in Europa und den USA. Die besten davon sind für Rolex und Tudor reserviert. Wenn Bucherer von einem anderen Unternehmen übernommen worden wäre, hätte Rolex möglicherweise seine erstklassigen Standorte verloren.
Und selbst wenn Rolex nicht hätte umziehen müssen, wäre der Konkurrenzdruck durch andere Hersteller von Luxusuhren innerhalb der Geschäfte womöglich gestiegen.
Nur die besten Lagen zählen
Wer derzeit ein Uhrengeschäft im Luxussegment sucht, will dies nur an den allerbesten Lagen tun. Das gilt für die USA, das Vereinigte Königreich, Mexiko, Japan und China.
Angesichts des harten Wettbewerbs zwischen den Unternehmen um Flächen ist es somit nachvollziehbar, dass Rolex seine Präsenz in den Geschäften von Bucherer an den besten Standorten in Europa und den USA beibehalten will.
Zum anderen dürfte es Jörg Bucherer ein Anliegen gewesen sein, die Unabhängigkeit und Integrität von Bucherer zu erhalten. Durch die globale Präsenz, die Marktposition von Rolex und die enge Beziehung zum Luxusuhren-Hersteller dürfte dies gelingen.
In der Mitteilung von RolexExterner Link heisst es, dass «mit dieser Akquisition die Genfer Uhrenmarke den Erfolg der Firma Bucherer sowie die enge, seit 1924 bestehende Partnerschaft zwischen den beiden Unternehmen fortsetzen will».
Was die Alternative gewesen wäre, deutet der oben erwähnte Financier an: «Wäre Bucherer öffentlich zum Verkauf angeboten worden, hätten Einzelhändler aus dem Nahen Osten und Asien sowie Investmentfonds die Hand gehoben. Und in Anbetracht der Standorte von Bucherer hätte ein Kauf sofort rentiert.»
Wird die Übernahme von Bucherer durch Rolex die Uhrenindustrie nun nachhaltig verändern? Die Schlussfolgerung ist wohl: Nein. Rolex selbst stellt in seiner Mitteilung klar, dass «die erfolgreiche Zusammenarbeit von Rolex mit den übrigen offiziellen Fachhändlern seines Vertriebsnetzes unverändert fortgesetzt wird».
In Anbetracht der von Rolex verfolgten Politik, der Trennung von Herstellung und Vertrieb, ist es unwahrscheinlich, dass Rolex nach der Übernahme eine grössere Veränderung in seinem Einzelhandelsgeschäft vornehmen wird.
Die Übernahme von Bucherer durch Rolex hat den Konkurrenten jedoch einmal mehr vor Augen geführt, wie wichtig der Standort ist: Mit der Ausbreitung des E-Commerce sind die Offline-Geschäfte gezwungen, sich qualitativ zu verändern.
Konkret: Wer in der realen Welt ein Geschäft eröffnen will, braucht einen besseren Ort, eine bessere Lage. Zwar wird es nur wenige spürbare Veränderungen geben, aber der Kampf zwischen den Luxusmarken um gute Standorte wird noch härter werden.
Editiert von Reto Gysi von Wartburg, Übertragung aus dem Japanischen ins Deutsche von Tomoko Muth
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