Rolex, Patek Philippe oder Audemars Piguet: Knappes Gut Schweizer Luxusuhr
Bestimmte Uhrenmodelle der Luxusmarken sind in den offiziellen Geschäften kaum mehr zu kaufen. Will man trotzdem eine, muss man jahrelang auf Wartelisten ausharren. Das wiederum fördert die Spekulation und den Graumarkt.
Heutzutage reicht es nicht mehr aus, 14’500 Schweizer Franken locker in der Tasche zu haben, um eine legendäre Rolex Daytona zu erwerben. Die offiziellen Verkaufsgeschäfte nehmen das Geld nicht einmal entgegen. Interessierte können nur noch ihren Namen auf eine Warteliste setzen lassen.
«Ich bin auf einer dieser berühmten Listen eingetragen», sagt ein Genfer gegenüber dem Westschweizer Fernsehen RTS. Man hat mich gewarnt, dass ich zwischen drei und sechs Jahren warten müsse.» Der 30-Jährige zählt jedoch bereits zu den treuen Kunden: Er besitzt bereits drei Uhren von Rolex, der Marke mit der Krone.
Im Internet sind die Foren der Sammler:innen voll von frustrierten Kommentaren. Die Schreibenden verdächtigen die grossen Uhrenhersteller, bestimmte Modelle bewusst knapp zu halten, um die Preise künstlich in die Höhe zu treiben.
Die neuen Spekulant:innen
«Diese Situation lässt sich in erster Linie durch einen massiven Anstieg der Nachfrage erklären», sagt Olivier R. Müller. Der Gründer der Beratungsfirma LuxeConsult ist einer der führenden Experten für den Uhrenmarkt.
«Mit der Covid-Krise haben sich neue Kund:innen für Uhren begeistert. Die Hersteller konnten mit den Bestellungen nicht Schritt halten», erklärt er.
Rolex produziert derzeit über eine Million Uhren pro Jahr. Die Produktion soll in den nächsten Jahren mit dem Bau einer neuen Fabrik im Kanton Freiburg weiter gesteigert werden.
«Ein zusätzlicher Faktor ist, dass viele Spekulant:innen auf den Uhrenmarkt drängen. Diese Leute, die sogenannten ‹Flipper›, kaufen neue Uhren mit dem einzigen Ziel, sie mit Gewinn weiterzuverkaufen. Das wirkt sich auf den gesamten Markt aus», sagt Müller.
Auf dem Höhepunkt der Spekulation im Jahr 2022 konnten bestimmte Modelle von Rolex, Patek Philippe oder Audemars Piguet, die in einem offiziellen Geschäft gekauft worden waren, anderswo für mehr als das Drei- bis Vierfache ihres Kaufpreises weiterverkauft werden.
Seit einigen Monaten haben sich die Preise jedoch stabilisiert. «Derzeit wird eine klassische Rolex Daytona auf dem Sekundärmarkt ’nur› für das Doppelte des Ladenpreises weiterverkauft», so Müller.
«Trittbrettfahrer»
Zum Sekundärmarkt zählt man den Handel mit getragenen Uhren, aber auch den Graumarkt. Dessen Entwicklung wird auch durch die Frustration der Kund:innen über die Knappheit bestimmter Modelle im offiziellen Handel genährt.
So bieten Zwischenhändler neue, ungetragene Uhren zum Wiederverkauf an und berechnen für ihre Dienste eine «Gebühr», die natürlich der Seltenheit der gewünschten Modelle entsprechend hoch ausfällt.
Diese unabhängigen Händler haben Zugang zu Uhren, die Normalsterblichen verwehrt sind. Sie nutzen mehr oder weniger ethische Mittel, um Wartelisten zu umgehen. «Brieföffner», nennt sie Olivier R. Müller.
Deals
Manchmal kaufen diese Zwischenhändler:innen bei Spekulant:innen ein, die ihre Waren über das Internet weiterverkaufen. Oder dann aber auch direkt im offiziellen Einzelhandel, ohne dass sie davor auf einer Warteliste alt werden. Manchmal handeln sie Sonderkonditionen aus, indem sie sich bereit erklären, «Ladenhüter» zu übernehmen. Als «Bonus» für diese Käufe erhalten sie einige der seltenen Uhrenmodelle.
Solche Deals sind nicht zum Nachteil der offiziellen Einzelhändler:innen. Sie können so den Ausverkauf von Uhren vermeiden, denn dieser könnte das Luxusimage der Marken beschädigen, so die Befürchtung.
Ein Mann, der auf dem Graumarkt tätig ist, erklärte RTS auch, dass Mittelspersonen skrupellosen Ladenangestellten gar Schmiergelder anbieten würden. So kämen sie in den Besitz seltener Modelle. Diese Praxis ist selbstverständlich strafbar.
Hersteller sprechen sich frei
Das Thema Graumarkt ist für die grossen Uhrenkonzerne ein heisses Eisen. Jean-Daniel Pasche, der Präsident des Verbands der Schweizer Uhrenindustrie, hat eine Interviewanfrage zum Thema abgelehnt.
Angesichts der steigenden Preise für Uhren auf dem Sekundärmarkt haben die Hersteller die Preise im Geschäft angepasst – nach oben natürlich. Uhren von Rolex oder Audemars Piguet sind innert weniger Jahre zwischen 10 und 30% teurer geworden.
Rolex weist jedoch jeden kausalen Zusammenhang zurück. In einer E-Mail begründet das Unternehmen den Preisanstieg mit einer höheren Qualität der Uhren und Währungsschwankungen.
Das Waadtländer Unternehmen Audemars Piguet schreibt: «Den Graumarkt gab es schon immer. Das Phänomen geht weit über die Uhrenindustrie hinaus. Es handelt sich nicht um einen Kampf, sondern vielmehr um eine Integration in unser Denken. Bestimmte Indikatoren wie der Preis bestimmter Uhren auf dem Secondhand-Markt können den Gesundheitszustand einer Marke widerspiegeln. Man sollte sie also als solche nutzen».
Graumarkt füllt das Vakuum
In einem Wirtschaftssektor, der sich im Umbruch befindet, ist der Sekundärmarkt aber weit mehr als nur ein Indikator für den Zustand der Uhrenhersteller: Im Jahr 2022 erzielte er einen Umsatz von 25 Milliarden Franken, während der Primärmarkt 52 Milliarden Franken umsetzte.
Seine Bedeutung nimmt stetig zu, und sein Umsatz könnte bald jenen der vonUhrenherstellern und ihren offiziellen Einzelhändlern verkauften Uhren übersteigen.
Übertragung aus dem Französischen: Renat Kuenzi
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