Geld und Status? Nicht seine Welt
Diese Woche ist Harry Borer 89-jährig gestorben. Der langjährige Besitzer und Geschäftsführer von Rolex hat die Schweizer Uhrenmarke zu dem gemacht, was sie heute ist. In scharfem Kontrast zu allem, was Rolex verkörpert – Status, Geld und Luxus – steht Harry Borers bescheidenes Leben. Er blieb zeitlebens ein einfacher, wacher Bürger, schreibt das Bieler TagblattExterner Link.
Er steht einfach da. Still, leicht nach vorne gebeugt, den Kopf etwas gesenkt. Für aussenstehende Betrachter ist kaum lesbar, was in ihm vorgeht. Harry Borer steht auf der Bühne, und ein ganzer voller Saal klatscht ihm Beifall, entbietet ihm mit einer minutenlagen stehenden Ovation den Respekt für sein unternehmerisches Lebenswerk, aber nicht nur dafür, sondern für sein Leben und Wirken überhaupt. Es ist ein Mittwochnachmittag im März letzten Jahres, als Harry Borer einen Unternehmer-Preis für das Lebenswerk entgegennehmen kann, und der alte Mann, der sich auf der Bühne auf seinen Gehstock stützt, scheint aus einer anderen Zeit, ja aus einer anderen Sphäre zu kommen. Niemand im Saal hat an diesem Tag Zweifel, ob Borer den Preis verdient.
«Der Geruch der Maschinen, das war mir Heimat»
Er hat die Uhrwerkherstellerin Rolex Biel nicht nur durch die sogenannte Uhrenkrise gesteuert, sondern sie ist unter seiner Leitung zu einem Giganten der schweizerischen Uhrenbranche geworden. Kein anderer Hersteller lässt mehr mechanische Uhrwerke zertifizieren, die Firma ist in der Ära Borer von 180 auf 2500 Mitarbeiter angewachsen. Doch als er die Kunde vom Preis erhält, fragt er sich als erstes: «Hab ich das verdient oder nicht?» Im nächsten Satz gibt er den Dank auch schon weiter: «Ich möchte alle meine früheren Mitarbeiter miteinschliessen. Ohne ihre Hilfe wäre dieses Werk nicht zustande gekommen.» Die Firma war ihm Heimat Harry Borer hat schon als Schüler und Student seine Zeit am liebsten in der Firma verbracht. «Der Geruch der Maschinen, das war mir Heimat», sagt er im März 2016.
Diese Heimat, das war die frühere Firma Aegler Biel. Harry Borers Vater Emile hatte in dieser im Jahr 1931 eine bedeutende Entwicklung getätigt: ein Uhrwerk, das sich durch die Bewegung des Handgelenks selber aufzieht. Aegler fertigte die Uhrwerke für die von Hans Wilsdorf gegründete Marke Rolex, und dieses neue Uhrwerk festigte den Siegeszug der Armbanduhr – und jenen von Rolex. 1931 war die Geburtsstunde des Modells Perpetual, der Vorläuferin aller späteren automatischen Uhren. Noch heute tragen die Rolex-Modelle den Begriff Perpetual in ihrem Namen. Wilsdorf blieb kinderlos, er übertrug den Besitz von Rolex einer Stiftung, der die Weltmarke auch heute noch gehört. Die Bieler Fabrik, in der alle Rolex-Uhrwerke hergestellt wurden, blieb unabhängig und im Besitz der Familien Borer und Aegler.
Emile Borer wurde dort Geschäftsführer, Harry Borer übernimmt die Aufgabe im Jahr 1967 nach dem Tod seines Vaters, als sich der Umbruch in der Uhrenbranche bereits ankündigt. Doch Rolex bleibt auch in den folgenden Jahren, die als «Uhrenkrise» in die Schweizer Wirtschaftsgeschichte eingehen, ein Fels in der Brandung. Im März 2016 sagt Harry Borer dem «Bieler Tagblatt»: «Den verhältnismässig leichten Rückgang zwischen 1975 und 1976 haben wir recht gut überwunden.» Und: «Wir kannten keine Krise der automatischen mechanischen Uhr und haben unsere mechanischen Kapazitäten und die Uhrenmacherei auch nie abgebaut.»
«Protzen ist oft nur eine Tarnung von Schwächen»
Im Jahr 2004 verkaufen die Familien Borer und Aegler ihr Unternehmen an das Genfer Stammhaus. Allfällige Befürchtungen, wonach Kapazitäten von Biel nach Genf verlagert würden, verfliegen wieder – Harry Borer hat in Verhandlungen darum gekämpft und in dieser intensiven Phase eine erste Anfrage zur Verleihung des Bieler Ehrenbürgerrechts abgelehnt. Man solle doch einstweilen den verdienten Nicolas G. Hayek ehren, bescheidet er der Stadt. Der Verkaufspreis des Bieler Werks wird auf 2 bis 2,5 Milliarden Franken geschätzt, die Familie Borer ist steter Gast auf den Reichstenlisten der Schweiz. Doch Harry Borer liegt es fern, diesen Reichtum allzu offensiv zur Schau zu stellen. Dem «Bieler Tagblatt» sagt er 2016: «Erfahrungsgemäss weiss man, dass zu viel Protzen oft nur eine Tarnung von Schwächen ist. Für mich galt immer: Lieber mehr sein als scheinen. Und auch meine Familie hielt es immer so.»
Mehr als ein Geschäftsführer
Harry Borer und seine Familie kümmern sich aber nicht nur um das Wohl des Unternehmens und seiner Mitarbeiter, sondern auch um das Gemeinwesen. Ein einschneidender Punkt ist der Tod seiner erstgeborenen Tochter Beatrice. Bevor sie ihr Medizinstudium aufnehmen kann, erkrankt sie an Leukämie und stirbt. Borers gründen die BeatriceBorer-Stiftung für Krebsforschung. In der Region bekannter ist die Stiftung Vinetum. Borers Tochter Franziska Borer-Winzenried präsidiert sie, sein Sohn Daniel Borer ist Mitglied des Stiftungrats. Die Stiftung unterstützt so unterschiedliche Anliegen wie Kunstvermittlung, das Kinderspital, das Frauenhaus, die Gassenküche, eine Bienenprofessur an der Universität Bern, Soforthilfe nach einer Überschwemmung im Berner Oberland oder auch die Kulturfabrik Lyss sind seither unterstützt worden.
Doch auch im Unternehmen Rolex hat die «altmodische Einstellung» (Harry Borer), wonach ein Patron mehr als nur ein Geschäftsführer sei, Borers Amtszeit überlebt. Als Mäzenin finanziert die Uhrenmarke etwa die Campus Hall im künftigen Campus Technik der Fachhochschule, und damit ein Projekt, das der Allgemeinheit zugutekommt.
Mahlzeiten mit den Arbeitern
Harry Borer meidet zeitlebens den Auftritt in der Öffentlichkeit, er gibt kaum Interviews, er tritt nicht in den Medien auf, man sieht ihn wenig an gesellschaftlichen Anlässen. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass er sich auch im Betrieb unnahbar gibt, im Gegenteil. Mittags, so wird kolportiert, setzt er sich am liebsten irgendwo zwischen die Mitarbeiter, um Dinge zu erfahren, die ihm auf Kaderebene nicht mitgeteilt würden. Viele Verbesserungen im Betrieb seien auf solche spontanen Gespräche zurückzuführen, verrät er. 2012 dann passt es. Harry Borer wird Ehrenbürger der Stadt Biel. 85 Jahre alt ist er da. Nach all den Laudatien und lobenden Ansprachen sagt er: «Ich habe nur meine Arbeit getan.»
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch