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Rückzug aus der Mongolei: Warum die Schweiz ihre Hilfe einstellt

Eine buddhistische Gebetsfahne auf einem Berg nahe der Wüste Gobi
Alles hat ein Ende – auch die Wüste Gobi, die einen Teil der Mongolei umfasst und als eine der grössten Wüstenregionen weltweit gilt. 2023 The Associated Press. All Rights Reserved

Zwei Jahrzehnte arbeitete die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) in der Mongolei, förderte erfolgreich nachhaltige Viehhaltung und Bildung. Per Ende 2024 stellt sie nun ihre Programme ein. Dahinter steht ein Schwenk in der Aussenpolitik.

Ihr Büro in Hauptstadt Ulaanbaatar eröffnet die Deza 2004, drei Jahre, nachdem sie in dem asiatischen Binnenstaat aktiv geworden war. Das Ziel der Schweizer Entwicklungsorganisation: eine nachhaltige Tierhaltung und damit die Ernährungssicherheit fördern.

Die nomadische Viehwirtschaft ist für das Land von grosser kultureller, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Bedeutung. Die Mongolei ist fast 38-mal grösser als die Schweiz und verfügt über 110 Millionen Hektaren Weideland, das sind 70% der gesamten Fläche. Ein intaktes Weideland – in der Mongolei auch als grünes Gold bezeichnet – ist für die Nomad:innen die wichtigste Lebensgrundlage.

Die intensive Nutzung der Weiden und der Klimawandel stellen das Land jedoch vor grosse Herausforderungen. Der Tierbestand, vor allem die Zahl der Kaschmirziegen, ist stark gewachsen.

Dazu trug auch die steigende Nachfrage nach Kaschmirwolle bei. Durch die intensive Nutzung und häufige Übernutzung des Weidelandes verringert sich jedoch die Biodiversität und das Land wird zu Wüste.

Kühe auf einer Weide in der Mongolei
Endlose Weiten und viele Weiden: Aber auch die Mongolei kann sich dem Klimawandel nicht entziehen. Keystone / Qiu Pan

Fussbälle aus Yakleder und neue Kartoffeln

Zusammen mit Nomad:innen, den Behörden und weiteren Partner:innen startete die Deza deshalb 2004 das Projekt «Green Gold and Animal Health». Durch Abkommen mit lokalen Regierungen verpflichteten sich die Nomad:innen, das Land gemeinschaftlich und nachhaltig zu bewirtschaften.

Anhand von Indikatoren wie der Zahl und Art von Pflanzen wurde festgelegt, welche Zonen zum Weiden freigegeben werden, und welche geschont werden müssen. Heute beteiligen sich 92’000 Nomadenfamilien an diesem nachhaltigen Management, das inzwischen die Hälfte des Weidelandes umfasst.

«Die Schweiz hat wesentlich dazu beigetragen, dass dank dieser Anstrengungen innerhalb von 15 Jahren mehr als 20 Millionen Hektaren braches Weideland wiederhergestellt werden konnten – das entspricht fast fünfmal der Fläche der Schweiz», sagt Stefanie Burri, Chefin des Deza-Kooperationsbüros und Konsulin in der Mongolei.

Gleichzeitig habe die Schweiz auch einen Beitrag zur Eindämmung der Wüstenbildung geleistet. Das Projekt ist inzwischen abgeschlossen. Geblieben ist ein weiterer Erfolg davon: ein digitales System zur Nachverfolgung von tierischen Produkten. Damit sollen Informationen zu Hygiene und Lebensmittelsicherheit gewährleistet werden.

Im Rahmen des Projekts wurden landesweit 76 Kooperativen von Nomad:innen gegründet, die ihre Produkte aus nachhaltiger Viehwirtschaft unter der eigenen Marke «Responsible Nomads» vertreiben. Aus Sicht von Burri greift das Konzept. Die international bekannte mongolische Rockband The Hu etwa produziert ihre Fanartikel aus Leder unter dieser Marke.

Das Label setzt auch auf Innovation: Yak-Rinder werden in der Mongolei als Lastentiere genutzt, ihr Fell und Leder gelten als minderwertig. Im Rahmen des Projektes wurde deshalb ein spezieller Kamm entwickelt, um qualitativ gute Yakwolle zu gewinnen und daraus Schals, Pullover oder Decken herzustellen. Und ein neues Start-up in Ulaanbaatar produziert in Handarbeit Fussbälle aus Yakleder.

Mit Blick auf die Ernährungssicherheit unterstützte die Deza ein staatliches Forschungsprojekt dabei, klima-angepasste Kartoffelsorten zu züchten. Statt Kartoffeln aus China zu importieren, produziert die Mongolei heute ihren Bedarf lokal. Dank besserem Saatgut werden auch vermehrt Karotten, Kohl und Randen angepflanzt.

Demokratische Reformen und Stipendien

Für die Jahre 2022 bis 2024 setzt die Deza in der Mongolei noch 8,2 Millionen Franken ein, deutlich weniger als von 2018 bis 2021, als das Budget noch 46,4 Millionen Franken betragen hat.

Mit dem Geld werden Projekte zu Regierungsführung, zum Thema Klimawandel und Umwelt sowie integrativer wirtschaftlicher Entwicklung gefördert. Die Deza trug etwa zu Dezentralisierung und demokratischen Reformen bei.

So erhöhte eine Gesetzesänderung die Finanzkraft lokaler Regierungen, indem nun 40% der Steuereinnahmen in deren Budgets fliessen. Zudem können Bürger:innen Themen und Beschlüsse initiieren, die von den Gemeinderäten diskutiert werden.

Seit 2017 unterstützt die Schweiz das Sekretariat des mongolischen Parlaments (Grosser Hural) mit Schulung und der Förderung der parlamentarischen Aufsicht. Das Sekretariat bietet in allen Phasen der Gesetzgebung eine Beratung an.

«Die Zusammenarbeit zwischen dem Sekretariat des Grossen Hural und der Deza haben deutlich zur Stärkung der parlamentarischen Demokratie in der Mongolei beigetragen», sagt Luvsandorj Ulziisaikhan, Generalsekretärin des mongolischen Parlaments. Zudem habe die Beteiligung der Bürger:innen am demokratischen Prozess zugenommen und die lokale Regierungsführung sei verbessert worden.

Die Deza hatte einen Austausch und gegenseitige Besuche der mongolischen und der schweizerischen Parlamentsdienste angeregt. Die Besuche werden, so der Plan, auch nach 2024 fortgesetzt werden.

Ein weiterer Tätigkeitsbereich der Deza ist die Unterstützung für die Berufsbildung und die Gründung von Start-ups. Seit Jahren arbeitet sie auch mit der mongolischen NGO Zorig Foundation (ZF) zusammen, die benachteiligten Student:innen Stipendien gewährt. Von den über 2900 vergebenen Stipendien – 60% an Frauen – finanzierte die Deza fast die Hälfte.

«Die hohe Beschäftigungsquote der Stipendiaten bestätigt, dass sich die Investition in begabte junge Menschen, denen das Geld für eine Hochschulausbildung fehlt, nachhaltig auf deren berufliche Laufbahn und Lebensunterhalt auswirkt», sagt die Direktorin der Stiftung, Tsolmon Bayar.

Ignazio Cassis und zwei mongolische Lehrlinge
Ignazio Cassis zu Besuch an einer polytechnischen Schule in Ulaanbaatar, 2018. Keystone / Byamba-ochir Byambasuren

Ein Shift in der Schweizer Aussenpolitik

Die Strategie der Deza für die Jahre 2021-2024 sieht vor, mehr Gewicht auf Länder in fragilen Kontexten zu legen. Als Resultat hat die Schweiz entschieden, ihre bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mit elf von insgesamt 46 Ländern per Ende 2024 abzuschliessen, darunter mit der Mongolei.

Kritiker:innen in der Schweiz sehen darin einen Paradigmenwechsel, von einer humanitär zu einer aussenpolitischen motivierten Entwicklungszusammenarbeit, die Einfluss auf die Migrationsströme entfalten soll.

In der Mongolei werden die Ressourcen sukzessive reduziert. Inzwischen arbeiten noch 12 Angestellte der Deza vor Ort, vor drei Jahren waren es 28. Die Organisation übergibt ihre Projekte an die nationale oder an lokale Regierungen sowie an Forschungsinstitute und Universitäten.

Alle Partner:innen waren jeweils in die Projekte eingebunden worden und leisteten einen finanziellen Beitrag oder stellten Räumlichkeiten zur Verfügung. Dies zahlt sich nun aus: die Projekte sollen auch nach dem Rückzug der Deza weitergeführt werden. «Wichtig ist, dass Gesetze erlassen werden, damit auf lokaler Ebene Budgets für die Projekte vorhanden sind», sagt Burri.

Wirtschaftlicher Reformbedarf

Die Schweiz wird indirekt weiterhin in der Mongolei vertreten sein und etwa mit der Asiatischen Entwicklungsbank, der Weltbank sowie Uno-Organisationen wie dem Entwicklungsprogramm (UNDP) zusammenarbeiten.

«Das grösste Problem, das auf die Mongolei zukommt, ist der Klimawandel», sagt Burri. Die Versteppung des Landes sei zunehmend sichtbar. Die Hälfte der 3,5 Millionen Einwohner:innen lebt heute in der Hauptstadt Ulaanbaatar, die Jugendarbeitslosigkeit ist mit 19% hoch und das Land ist stark verschuldet.

Zwei Frauen und ein Kind auf einer Aussichtsplattform über Ulaanbaatar
Rund die Hälfte der 3,3 Millionen Einwohner:innen der Mongolei leben in der Hauptstadt Ulaanbaatar. Die Urbanisierung stellt die traditionell nomadisch lebende Bevölkerung teilweise vor grossen Problemen. Keystone / Wu Hong

Die Mongolei ist noch sehr auf den Export seiner Rohstoffe ausgerichtet. Den Grossteil der Einnahmen generiert sie durch den Abbau von Kohle, Kupfer, Uran, Gold und künftig auch seltenen Erden. Allein in die Schweiz exportiert die Mongolei jährlich Gold für eine Milliarde Franken.

Die Regierung fördert zurzeit die Verarbeitung von Produkten. Das Land will auch die Infrastruktur für Solar- und Windenergie ausbauen und damit bis 2050 die Kohle als Energieträger ersetzen.

Beziehungen zur Schweiz bleiben

Im nächsten Jahr werden die Schweiz und die Mongolei das 60-jährige Bestehen ihrer diplomatischen Beziehungen feiern. Die langjährige Zusammenarbeit hat aus Sicht von Burri Vertrauen geschaffen und bietet die Möglichkeit für neue gemeinsame Aktivitäten: «Eine Etappe geht zu Ende und neue Türen öffnen sich.»

So plant etwa das Museum Rietberg in Zürich mit dem mongolischen Kulturministerium eine Ausstellung für 2025 über die Urbanisierung der Mongolei im Mittelalter. Und das Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP) will in Ulaanbaatar einen regionalen Hub für die Ausbildung von Verteidigungsattachés schaffen.

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