Countdown in Georgien: Der Einfluss der Schweiz schwindet
Georgien gerät zusehends unter die Kontrolle des kremlnahen Oligarchen Bidzina Iwanischwili. Sein Gegner Micheil Saakaschwili scheint erledigt. Die Schweiz spielte in Georgien eine wichtige Rolle. Aber hat sie noch Einfluss?
Es war eine Geste, die man in dieser Weltregion nicht kannte: Zwei politische Kontrahenten reichten sich vor laufenden Kameras die Hand und zogen sich dann zurück, um die Machtübergabe zu regeln.
Der eine, Präsident Michail Saakaschwili hatte gerade die Wahl verloren. Der andere, Bidzina Iwanischwili, hatte mit seiner Partei «Georgischer Traum» die Zukunft des Landes in der Hand.
Das Ereignis vom November 2012 gilt noch heute als Verneigung gegenüber der Demokratie. Es war eine dieser Taten, die Michail Saakaschwili im Westen so bekannt machten.
Georgien ist untrennbar mit diesem Politiker verbunden, seit er 2003 die Rosenrevolution gegen eine korrupte, neosowjetische Regierung anführte. 36 Jahre alt war er da.
Der neue, Bidsina Iwanischwili: Sein Vermögen beträgt 2012 laut Forbes 6,4 Milliarden Dollar, das Staatsbudget Georgiens 5,7 Milliarden. Er übernimmt das Land.
Reformer, Liebling des Westens
Saakaschwili emigriert nach Amerika. In Georgien wird er des Amtsmissbrauchs beschuldigt und auf eine internationale Fahndungsliste gesetzt.
Dann, 2015, wird Saakaschwili Gouverneur der ukrainischen Region Odessa. Er erhält die Staatsbürgerschaft der Ukraine. Dort ist er willkommen, denn er hat den Ruf eines radikalen, durchaus neoliberalen Reformers.
In seiner Präsidialzeit von 2004 bis 2013 hat er in Georgien die Korruption eingedämmt und sein Land weit oben auf der Landkarte westlicher Investoren platziert. Er hat Georgien auf Marktwirtschaft getrimmt.
Das wollte die Ukraine auch. Und so wurde Saakaschwili zum Berater des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, der mit der Ukraine auch sonst ähnliche Ziele verfolgte wie Saakaschwili zuvor mit Georgien: Annäherung an Europa und die Nato, Marktöffnung, kurz: Auf in den Westen.
Fatale Rückkehr
2021 kehrt Saakaschwili überraschend nach Georgien zurück – und wird gleich festgenommen. Tausende Georgier rufen auf Strassen von Tiflis «Mischa, lass Mischa frei!» Die Aufnahmen des Ex-Präsidenten im Klammergriff von zwei unsicher wirkenden Polizisten in Schutzmasken gehen um die Welt.
Ukrainischer Präsident ist inzwischen Wolodymyr Selenskyj. Er verlangt Erklärungen. Doch Saakaschwili bleibt in Haft. Er tritt in einen Hungerstreik.
So verlässt Michail Saakaschwili die Weltbühne, die er so perfekt bespielt hatte: Präsident einer aufstrebenden Nation, Liebling des Westens, Dauergast im Weissen Haus, der geschliffen Englisch sprach, weil er in den USA studiert hatte. Die US-Senatoren Hillary Clinton und John McCain hatten ihn für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen – obwohl er durchaus auch Proteste niederschlagen liess.
US-Präsident George W. Bush nannte sein Land das «Leuchtfeuer der Freiheit», für Joe Biden war er der «George Washington Osteuropas».
Inzwischen hat man ihn in die Vivamedi-Klinik am Stadtrand der Hauptstadt Tiflis verlegt. Letzte Bilder zeigen einen verwirrten, mageren Mann, der die Zuckungen seiner Gliedmassen nicht mehr kontrollieren kann und auf den drei Schritten von der Toilette zurück ins Bett elendiglich zusammenbricht.
Arsen und Quecksilber
Eine georgische Nichtregierungsorganisation, die sich um Folteropfer kümmert, schliesst in einem BerichtExterner Link auf eine Schwermetall-Vergiftung. Er schwebe in Lebensgefahr, steht in einem medizinischen Bericht des US-Toxikologen David Smith.
In dem Dokument, über das die Zeitung Le MondeExterner Link berichtet hat, wird Arsen und Quecksilber erwähnt. «Die toxischen Stoffe in Haar- und Nagelproben lassen den Schluss zu, dass sie nach seiner Inhaftierung eingeführt wurden.»
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Die Schweiz verliert zwei Schutzmachtmandate
«Er wird nicht freikommen»
Sergi Kapanadse ist ehemaliger stellvertretender Aussenminister Georgiens. Er kennt Saakaschwili seit den 2000er Jahren. Gegenüber Swissinfo.ch sagt er: «Micheil Saakaschwili ist ein Opfer der politischen Verfolgung durch Bidzina Iwanischwili. Für ihn ist Saakaschwili der wichtigste Gegner. Er wird nicht zulassen, dass er freikommt.»
Saakaschwili selbst bezeichnete sich zuletzt als «Gefangener Putins», seinen Gegner Ivanischwili nannte er «Strohmann Moskaus».
Auch Girchi Zurab Japaridze, Vorsitzende der Oppositionspartei «Neues Zentrum» sagt zu Swissinfo, Saakaschwili sitze aus politischen Gründen im Gefängnis: «Er sitzt, weil Iwanischwili das will. Dieser Milliardär kontrolliert das ganze Land, auch das Justizsystem.»
Russland ist «sehr zufrieden»
Japaridze sieht dahinter Russlands Einfluss. Der russische Aussenminister Sergej Lawrow habe eben erst gesagt, er sei «sehr zufrieden mit der georgischen Regierung».
Dass Russland an Georgien Gefallen findet, stellt eine Neuordnung der Verhältnisse dar. Unter Saakaschwili waren die beiden Staaten Feinde, die Krieg führten. Es ging um die abtrünnigen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien, die Russland als eigenständig anerkannt hatte. Um die Gebiete brach 2008 zwischen beiden Staaten der Georgien-Krieg aus.
Das war auch ein Krieg zwischen Michail Saakaschwili, der sein Land in die Nato bringen wollte, und Wladimir Putin, welcher der Nato eine Einkreisungsstrategie vorwirft.
Im Zug des Kriegs brachen Georgien und Russland ihre diplomatischen Beziehungen ab. Seither vertritt die Schweiz die Interessen der beiden als jeweilige Schutzmacht.
Die Mediation der Schweiz
Denn die Schweiz genoss zu Beginn viel Vertrauen. Sie unternahm eine Mediation, die über das eigentliche Schutzmacht-Mandat hinausging, das war 2011. Russland drängte damals in die Welthandelsorganisation WTO. Doch dem stand Georgien im Weg.
So organisierte die Schweiz eine Serie von GesprächsrundenExterner Link. Der Deal dieser Genfer Gespräche war am Ende, dass Georgien in den abtrünnigen Provinzen wirtschaftlich wieder Einfluss erhielt. Dafür ebnete es Russland den Weg in die WTO.
Bei den Genfer Gesprächen mit den russischen Diplomatenleitete Sergi Kapanadse die georgische Delegation. Kapanadse hält noch immer viel von der Schweiz und hofft auf eine «Art von Intervention, um die Freilassung Saakaschwilis zu medizinischen Zwecken zu vermitteln.» Dass die Regierung dies zulassen würde, glaubt er aber nicht.
Russland schreibt Schweiz ab
Tatsächlich foutiert sich Russland inzwischen um Vermittlungs-Avancen der Schweiz. Das zeigte sich 2022, als die Schweiz Russland im Zusammenhang mit der Ukraine die Übernahme von Schutzmachtmandaten und die Organisation von Gesprächen anbot. Die Schweiz sei «nicht mehr neutral» teilte Russland spröde mit.
Ohnehin erscheint es Russland inzwischen zielführender, seinen Einfluss in Georgien von innen her auszubauen. Dreh- und Angelpunkt ist Bidzina Iwanischwili. Offiziell ist er nicht mehr aktiv an der Politik beteiligt. Aber die Opposition und europäische ThinktanksExterner Link sehen Iwanischwili als strippenziehenden Vasallen der Grossmacht, in der er einst sein Vermögen machte.
Weg von Europa, hin zu Moskau
Beobachter:innen werten die jüngsten Ereignisse als Wendepunkt. Das Land geriet Anfang März in Aufruhr, weil die Regierung einen umstrittenen Vorschlag von Iwanischwilis Partei umsetzen wollte: Das sogenannte «Agentengesetz» hätte Georgien erlaubt, die Opposition als Agenten fremder Staaten zu verfolgen.
Nach heftigen Volksprotesten wurde es wieder zurückgezogen. Aber die Richtung war lesbar: Weg von Europa, hin in die Arme Russlands. Es war eine Kopie dessen, was auch Russland als Instrument gegen Kritiker geschaffen hatte.
Wird die nun angelegte Verbrüderung zwischen Russland und Georgien Realität, fallen die Schweizer Schutzmachtmandate irgendwann als obsolet dahin. Das Schweizer Aussenministerium schreibt auf Anfrage dazu, bisher seien die Schutzmachtmandate “von keinem der beiden Staaten in Frage gestellt” worden.
Bereits jetzt stellt sich jedoch die Frage, inwieweit in Gesprächen mit Georgien überhaupt noch Verbindlichkeit geschaffen werden kann, denn laut Demokratie-Index ist Georgien ein «hybrides Regime»Externer Link, die «Washington Post» bezeichnet das Land als «neue Front in Russlands hybridem Krieg».Externer Link
Schweizer Einfluss schwindet
Wie weit geht der Einfluss der Schweiz also noch? Der Schweizer Bundespräsident Alain Berset traf die georgische Präsidentin Salome Surabischwilli Anfang März in New York. Ging es dabei auch um den Fall Saakaschwili? Berset lässt lediglich mitteilen, man habe «Fragen der bilateralen Beziehungen und der georgischen Innenpolitik besprochen».
Über die «destruktive Rolle», die Bidzina Iwanischwili im politischen Leben des Landes spielt, zeigt sich das EU-Parlament seit 2022 besorgt, insbesondere über seine Kontrolle über die georgische Regierung.
Iwanischwili und sein Schweizer Problem
Die EU-Kommission verweigert Georgien darum den Kandidatenstatus. Erst müsse eine «De-Oligarchisierung» erfolgen, teilte die Kommission im Juni 2022 mit. Die Formulierung zielt auf den georgischen Oligarchen schlechthin: Bidsina Iwanischwili.
Mit der Schweiz hat dieser seine eigene Geschichte – nicht die erfreulichste. Der Milliardär streitet mit der Credit Suisse seit Jahren um 1,27 Milliarden Dollar, die er aufgrund eines Betrugsfalls bei der Schweizer Grossbank 2018 ihm zufolge abschreiben musste.
Entsprechende Gerichtsverfahren sind in Singapur und auf den Bermudas im Gang. Mitte Februar 2023 hat die CS mitgeteilt, sie habe Iwanischwili 210 Millionen überwiesen. Ein Gericht auf den Bermudas sprach ihm erstinstanzlich jedoch 607 Millionen Dollar zu.
Bis auf weiteres wird auch der mächtige Mann Georgiens auf die Schweiz kaum gut zu sprechen sein, er bangt um sein Geld.
Der Grossteil der georgischen Bevölkerung aber bangt um ihr Land – und viele bangen um Michail Saakaschwili.
Giannis Mavris hat zu diesem Bericht beigetragen.
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