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Schlechte Zeiten, um auf der Insel Fuss zu fassen

"Ich war und bin wirklich einsam": Ramona Zimmermann mit ihrem Kind an der walisischen Küste. swissinfo.ch

Bis zu 1,3 Millionen Einwanderer kehrten Grossbritannien im letzten Jahr den Rücken. Schuld ist vor allem Covid-19. Drei Schicksale von Rückkehrern in die Schweiz zeigen: Der Flug in die Heimat kann die bessere Lösung sein.

Seit Herbst ist für Ramona Zimmermann klar: Sie will zurück in die Schweiz, weg aus Pembrokeshire, Wales, wo sie mit ihrer Familie während anderthalb Jahren probiert hat, sich ein neues Leben aufzubauen.

Deutlich wurde der Wunsch nach der Geburt ihrer zweiten Tochter letzten Sommer: «Wir waren hier komplett auf uns allein gestellt und konnten aufgrund der Pandemie auch kaum Beziehungen aufbauen. Ich war und bin wirklich einsam.»

Jetzt geht es zurück in die Schweiz

Ein mehrwöchiger Besuch in der Schweiz sollte es richten. Stattdessen zeigte er der 28-jährigen Glarnerin noch deutlicher, was ihr in Wales fehlt: «Zuhause können meine Kinder mit ihrem Grosi, ihrem Urgrosi und vielen anderen Kindern spielen. Hier in Wales haben wir nur uns.» So soll es nicht weitergehen. Kommenden Juli zieht die Familie zurück in die Schweiz.

Einfach war die Ausgangslage von Beginn an nicht. Ihr Mann arbeitet bei der britischen Armee, Stützpunkt Pembrokeshire. Das definierte den Wohnsitz der Familie. Und doch zieht Ramona Zimmermann wichtige Lehren aus dieser Erfahrung: «Die Pandemie hat mir den Wert von Beziehungen und einem starken Netzwerk nochmals verdeutlicht und gezeigt, was mir im Leben wirklich wichtig ist.»

Viele Neuzuzüger kehren heim

Vor allem die schwierige Wirtschaftslage aufgrund der Coronakrise hat in Grossbritannien zu einer regelrechten Auswanderungswelle geführt. Innerhalb eines Jahres sollen rund 1,3 Millionen Zuwanderer dem Land den Rücken gekehrt haben, sagen Wissenschaftler des Economic Statistics Center of Excellence in London, in einer kürzlich veröffentlichten Studie. Es handle sich um einen «beispiellosen Exodus».

Insbesondere die Hauptstadt ist betroffen. Fast 700’000 Expats sollen aus London weggezogen sein, errechneten die Autoren. «Wenn dies nur annähernd genau ist, handelt es sich um den grössten Rückgang der britischen Einwohnerzahl seit dem Zweiten Weltkrieg», schreiben die Wissenschaftler.

Insbesondere Migranten, die erst kürzlich nach Grossbritannien gezogen sind, seien vielfach vor der Wahl gestanden, ohne Job, mit wenig Geld und teuren Mieten im Gastland auszuharren oder wieder nach Hause zu ihren Familien zurückzukehren – mit geringeren Kosten und höchstwahrscheinlich weniger Risiko, sich mit Covid-19 anzustecken. «Keine schwierige Entscheidung», finden die Studienautoren.

«Eigentlich wollte ich wieder zurück, aber in der Schweiz war ich glücklicher»: Natascha Hort. swissinfo.ch

Bessere Jobchancen in der Schweiz

Für die Schweizerin Natascha Hort aber war die Entscheidung schwierig. Sie verliess London nur widerwillig. Drei Jahre zuvor hatte die Primarlehrerin dort während einer Weiterbildung ihre grosse Liebe kennengelernt. Doch mit Covid-19 und der Schliessung der Schulen wurde es für Hort zunehmend schwieriger, sich finanziell über Wasser zu halten.

Während des ersten Lockdowns floh sie mit ihrem englischen Partner in die Schweiz, wo beide während eines Temporäreinsatzes etwas Geld verdienen konnten. «Eigentlich wollte ich im August wieder nach London zurückkehren, aber mein Freund sagte, ich soll in der Schweiz bleiben. Er sah, wie viel glücklicher ich hier bin.»

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Es habe etwas Zeit gekostet, das zu akzeptieren, aber letztlich sei es die richtige Entscheidung gewesen, sagt die Fricktalerin heute. Seit Herbst arbeitet die Primarlehrerin wieder an ihrer alten Schule. Eine Rückkehr nach London hält sie für ausgeschlossen.

Deshalb soll ihr Partner nun nachreisen und sich auf das Abenteuer Auswanderung einlassen. «Er liebt die Schweiz und würde gerne hier wohnen. Natürlich wird es für einen Briten mit überschaubaren Deutschkenntnissen nicht einfach, eine Stelle zu finden, aber wir müssen auf das Beste hoffen», sagt die 28-Jährige.

«Geh, solange du noch rauskommst!»

Eigentlich sollte es auch für Sandro Zulian keinen Abschied für immer werden. Kurz vor dem ersten Lockdown im März 2020 riet ihm eine Kollegin: «Geh, solange du noch rauskommst.»

Und tatsächlich: «Ich hatte Glück, dass ich es noch auf einen der letzten Flieger in die Schweiz geschafft habe», sagt der Radiojournalist. Nur ein Jahr zuvor war er mit Sack und Pack, grossen Träumen und Schauspielambitionen nach London gezogen.

Dass seine Auswanderung schon nach einem Jahr beendet war, wurde ihm aber erst allmählich klar. «Ich dachte, ich komme für zwei, drei Monate in die Schweiz, um die Pandemie auszusitzen und geh dann wieder zurück.»

Die Zeit verging, doch die Pandemie blieb und so entschied sich der 30-Jährige schweren Herzens, sein teures WG-Zimmer in London aufzugeben und wieder als Radiojournalist bei seinem früheren Arbeitgeber anzuheuern. Im Sommer reiste er schliesslich noch einmal zurück, um seine Sachen zu holen und sich von seinen Freunden zu verabschieden.

«Bitter, dass ich es nicht geschafft habe, aber es herrscht Pandemie»: Sandro Zulian. ZvG

Schon bald ein Jahr ist es nun her, seit Zulian wieder in seiner alten Heimat St. Gallen lebt. Trotzdem war die Kurz-Auswanderung nicht umsonst. Nächsten Monat wird die Stimme des Radiomanns in einem Hollywoodstreifen zu hören sein. Mehr dürfe er aus vertraglichen Gründen noch nicht verraten. Und selbst eine internationale Agentur hat der Schauspieler mittlerweile gefunden.

Ein schaler Nachgeschmack, Gefühle des Versagens machen sich trotzdem manchmal in ihm breit. «Es ist bitter, dass ich es nicht geschafft hab, meine Auswanderung gescheitert ist. Dann wiederum sag ich mir: Jetzt entspann dich mal, schliesslich ist gerade eine Jahrhundert-Pandemie im Gange.»

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