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Schmiermittel der Energie- und Nahrungsmittel-Versorgung

Beim Geschäft mit Treibstoffen spielt die Finanzierung eine zentrale Rolle. Die Genfer Niederlassung von BNP Paribas gehört zu den grössten Playern. Keystone

Wer denkt schon, dass der Kauf einer Tafel Schokolade in einem Supermarkt oder das Tanken eines Auto etwas mit der riesigen Busse gegen die französische Bank BNP Paribas diese Woche zu tun haben. Haben sie aber.

Die Bank spielte eine Schlüsselrolle bei der Bereitstellung der Finanzierung für den globalen Transport von Rohstoffen – und die Schweiz ist der führende Standort bei der Rohstoff-Handelsfinanzierung.

Nach Berechnungen von SwissBankingExterner Link (Schweizerische Bankiervereinigung) hatten Banken in der Schweiz den Rohstoffhandel 2011 mit Geldern in Höhe von 1,5 Billionen Dollar (1,35 Bio. Schweizer Franken) finanziert. Das entspricht etwa einem Viertel des gesamten weltweiten Kreditvolumens zur Finanzierung von Rohstoffhandelsgeschäften. Die Schweiz befindet sich in dem lukrativen Geschäft damit in der Pole-Position.

Im florierenden Schweizer Rohhandelssektor wird daher nun auch darüber spekuliert, ob BNP ParibasExterner Link, einer der führenden Kreditgeber dieses Wirtschafszweiges, nach der deftigen Strafe der USA wegen Sanktionsverstössen gezwungen sein könnte, sich aus dem Geschäft mit den Krediten zurückzuziehen. Anfang dieser Woche war die Bank mit einer Busse von fast 9 Mio. Dollar bestraft worden.

Rohstoffhandelsfinanzierung

Banken, spezifische Fonds und Rohstoffhändler selber finanzieren Förderung, Lagerung, Transport, Verarbeitung, Verpackung, Inspektion und den abschliessenden Vertrieb von Rohstoffen.

Nach Angaben der Welthandels-Organisation (WTO) erreichte die Rohstoffhandelsfinanzierung 2011 ein Volumen von mehr als 6 Billionen Dollar.

Die komplexen Finanzierungsgeschäfte umfassen verschiedenste Aspekte, von Kreditbriefen, die es Händlern ermöglichen, Rohstoffe an einem Ort zu kaufen und sie Wochen später in einem anderen Land zu verkaufen, über die Finanzierung von Schiffsflotten und Flugzeugen, oder die Bereitstellung von derivativen Instrumenten zur Absicherung gegenüber Preisschwankungen.

Die Transaktionen erfolgen vor einem Hintergrund der Volatilität der Rohstoffpreise. Während der Wert von Rohstoffen in den vergangenen zwei Jahrzehnten grundsätzlich stets gestiegen ist, kam es in einigen Jahren (wie 2009) zu plötzlichen Preiseinbrüchen.

Rohstoffe ziehen auch eine wachsende Zahl von neuen Investoren an, die alle in einem niedrigen Zinsumfeld höhere Renditen suchen.

Der US-Investmentfonds Blackrock schätzt, dass der Wert der Rohstoff-Fonds Anfang 2013 eine Summe von 203 Mrd. Dollar erreicht hatte, während SwissBanking (Schweizerische Bankiervereinigung) erklärt, Schweizer Investitionen seien von 4,3 Mrd. Franken 2007 bis Ende 2012 auf 37 Mrd. Franken gestiegen.

Das Öl-, Gas-, Energie- und Rohstoff-Geschäft der Bank gilt als Pionier was die Finanzierung von Lagerung und Transport von Öl, Metallen, Gas und Nahrungsrohstoffen in der ganzen Welt angeht. Schweizer Händler verlassen sich für einen reibungslosen Ablauf ihrer Geschäfte und die Überbrückung der oft Wochen dauernden Zeitspanne zwischen dem Kauf der Rohstoffe und der Bezahlung nach der Auslieferung der Güter auf die Genfer Niederlassung der Bank.

Das amerikanische Justizdepartement hatte am Montag auch mit dem Finger auf die Genfer Niederlassung gezeigt, die aus US-Sicht während mehreren Jahren illegale Handelsaktivitäten im Umfang von rund 6 Mrd. Dollar mit Sudan getätigt hatte. Sie bleibt daher 2015 vom Dollar-Clearing ausgeschlossen, das heisst, sie darf ein Jahr lang keine Transaktionen in Dollar tätigen.

Da die grosse Mehrheit der Rohstoffgeschäfte in Dollar abgewickelt werden, stellen sich Fragen, ob die Bank diesen Teil ihrer Geschäfte wird weiterführen können. BNP Paribas erklärte, sie werde dieses Hindernis umgehen, indem sie für das nächste Jahr eine andere Bank suche, damit diese die Dollar-Geschäfte aus dem Rohstoffhandel für sie abwickeln könne.

Kämpferische Worte

Die Bank erklärte, sie erwarte keine Auswirkungen, was Betriebs- und Geschäftsaktivitäten für den Grossteil ihrer Kundschaft angehe.

Der Finanzdirektor von BNP Paribas räumte aber bei einer Pressekonferenz ein, dass es keine leichte Aufgabe sein werde, einen solchen Deal zu arrangieren.

«Natürlich haben wir uns um unsere Kunden gekümmert und haben grundsätzlich keine massive Unsicherheit beobachtet», erklärte er im Bemühen, allfällige Bedenken zu mildern, die sich aus der Strafe gegen die Bank ergeben könnten.

Medien haben Zweifel daran geäussert, ob ein anderes Finanzinstitut – angesichts der Art der Strafe der US-Behörden – das Risiko auf sich nehmen würde, Dollar-Transaktionen von BNP Paribas abzuwickeln.

Schweizer Rohstoffhandels-Industrie

Die Zahl der Rohstoffhändler in der Schweiz hat seit der Jahrtausendwende stark zugenommen.

Heute gibt es in der Schweiz schätzungsweise 570 Handelshäuser. Die meisten Firmen sind in der Region Genf angesiedelt, einige haben ihren Sitz in Zug, Zürich und Lugano. 2010 beschäftigten sie insgesamt rund 7500 Angestellte hatten. In verwandten Dienstleistungsbereichen wie Inspektion, Rechts- und Finanzwesen waren laut SwissBanking weitere rund 2000 Angstellte tätig.

Der Reinerlös aus dem Rohstoffhandel in der Schweiz stieg nach Angaben der Schweizerischen Nationalbank vom 2 Mrd. Franken 2002 auf 20 Mrd. Franken 2011.

Das Wirtschaftsinstitut der Eidg. Technischen Hochschule Zürich (ETH) schätzt, dass der Anteil der Branche am Bruttoinlandprodukt 2010 bei 3,6% lag.

Der Verband der Genfer Rohstoffhändler (GTSA) berechnete, dass ein Drittel des weltweiten Rohölhandels über Genf abgewickelt wird. Die Region Genf ist auch weltweit Nummer eins im Handel mit Kohle und Baumwolle und europäische Spitze im Handel mit Zucker.

Die Ratingagentur Fitch hat mehr Vertrauen in BNP Paribas. «Wir erwarten, dass die Bank mit einer Drittpartei-US-Bank ein geschäftliches Abkommen schliessen wird … und [wir] glauben, dass dies nicht zu einer materiellen Einschränkung oder einer Störung ihrer Geschäfte oder zu einem Franchise-Verlust bei ihrem Handelsfinanzierungsgeschäft führen sollte», hiess es in einer Presseerklärung der Agentur.

Doch in den Bars und Cafés, in denen Genfer Rohstoffhändler zu finden sind, hört man skeptischere Töne.

«Es wird viel darüber diskutiert, ob sie dieses Geschäftsfeld aufrecht erhalten werden», erklärte Nicolas Sanchez, Direktor der Genfer Niederlassung der Rohstoff-Finanzierungsgesellschaft eurofinasia, gegenüber swissinfo.ch.

«Die Auswirkungen eines allfälligen Rückzugs würden davon abhängen, wie rasch sie es tun würden. Würden sie sich schrittweise zurückziehen, wäre das zwar immer noch ein Schock, aber nicht so ein Problem, wie wenn sie plötzlich keine Kredite mehr vergeben würden, was nicht zu erwarten ist.»

Cash-Diversifizierung

Der Verband der Genfer Rohstoffhändler (Geneva Trading and Shipping Association, GTSA) erklärte, es sei zu früh, die möglichen Auswirkungen der gegen BNP Paribas verhängten Strafe genauer abzuschätzen.

Die Organisation verwies aber auch darauf, dass die Rohstoff-Finanzierungsszene seit der Kreditverknappung nach der Finanzkrise bereits einen ziemlichen Wandel durchgemacht habe. Damals sahen sich einige der traditionellen Kreditgeber-Banken gezwungen, ihre Geschäfte mit Rohstoffhandelskrediten zurückzuschrauben.

«Die Lücke wurde durch die verbliebenen Spieler gefüllt sowie durch einige neue wie Banken aus anderen geografischen Regionen oder zweckgebundene Fonds», hiess es in einer schriftlichen Erklärung von GTSA auf Fragen von swissinfo.ch. «Die Rohstoffhandelshäuser haben ihre Liquiditätsquellen bereits diversifiziert und sich neuen Spielern unter den Kapitalgebern zugewandt.»

Einer dieser neuen Kapitalgeber ist eurofinasia. Das Unternehmen wurde 2003 in Singapur eröffnet, später kam eine Niederlassung in Genf dazu. Der spezialisierte Bargeldtopf für Rohstoffhändler zieht neue Investitionsquellen an, zum Beispiel Pensionsfonds oder so genannte Family Offices.

Und grosse Handelsfirmen wie Glencore und Mercuria haben ihre eigenen Handelsfinanzierungsoperationen aufgezogen und geben somit effektiv ihren eigenen Kunden Kredite.

Mehr Nachfrage denn je

Nicht alle Händler dürften jedoch an dieser Lösung Gefallen finden, meint Samir Zreikat, der Gründer der Dienstleistungsfirma Dealigents mit Sitz in Genf, die im Rohstoffhandelssektor aktiv ist. «Für kleinere Händler könnte es ein Spiel mit dem Teufel sein, wenn sie ihre Bücher grösseren Konkurrenten gegenüber offen legen müssen, um einen Kredit zu erhalten», sagte er gegenüber swissinfo.ch.

«Sie würden damit ungewollt bedeutende Wettbewerbsinformationen über die Nischenmärkte, die sie entwickelt haben, offen legen müssen.»

Angesichts der steigenden Rohstoffpreise über die letzten zwei Jahrzehnte hin, wird sich der Sektor weiter wandeln müssen, um den wachsenden Finanzierungsappetit stillen zu können. Der Frachtwert von Öl hat sich nach Angaben des Rohstoff-Preisindexes des Internationalen Währungsfonds (IWF) seit 1993 vervierfacht, der Frachtwert von Kupfer hat sich verdreifacht und jener von Weizen verdoppelt.

Die Rolle, welche die Finanzierung spielt, um sicherzustellen, dass Schokoladetafeln auf den Gestellen im Supermarkt landen und Treibstoff in den Tankstellen, war noch nie so ausgeprägt. Mit oder ohne BNP Paribas will die Schweiz den Löwenanteil dieses Finanzierungsgeschäfts für einige Zeit weiterhin abdecken. 

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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