Weniger Treibhausgase: Pionierhaftes Abkommen wirft Fragen auf
Die Schweiz und Peru sind die ersten Länder, die im Rahmen des Klimaübereinkommens von Paris ein Abkommen zur internationalen Kompensation von Emissionen abgeschlossen haben. Aber nicht alle sehen in dem bilateralen Vertrag die ideale Lösung für die Klimakrise.
Das im Oktober unterzeichnete Abkommen zwischen der Schweiz und Peru wird als Vorbild gepriesen, wenn internationale Regeln fehlen. Es definiert die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Körperschaften der beiden Länder, um die Schweiz bei der Erreichung ihres Klimaziels zu unterstützen. Bern hat sich verpflichtet, seine Treibhausgas-Emissionen bis 2030 gegenüber dem Stand von 1990 zu halbieren.
Die Schweiz unterstützt seit Langem Programme zur Minderung der Auswirkungen des Klimawandels in Peru und in der Andenregion. Bei den Klimaverhandlungen setzte sich die Schweiz dafür ein, dass bei internationalen Richtlinien für die Verwendung von Emissionsgutschriften ein Konsens gefunden wird.
Warum ist das etwas Besonderes?
In Artikel 6 des Pariser Abkommens einigten sich die Länder darauf, ein neues Marktsystem für Kohlenstoff einzurichten, um die Dekarbonisierung schneller und zu geringeren Kosten zu erreichen. Einerseits soll das System Regierungen helfen, grüne Projekte zu entwickeln und dafür Emissionsgutschriften zu kaufen. Auf der anderen Seite soll es Ländern, die ihre Emissionen stärker als erwartet reduziert haben, die Möglichkeit geben, ihre «Überschüsse» an diejenigen zu verkaufen, die ihr Ziel nicht erreichen werden.
Aber abgesehen von Artikel 6.2, der es Ländern erlaubt, bilaterale und freiwillige Vereinbarungen über den Handel mit Emissionsgutschriften zu treffen, fehlt es – aufgrund ständiger diplomatischer Auseinandersetzungen – immer noch an globalen und konkreten Regeln, um den Kohlenstoffausgleich wirklich effektiv zu gestalten. Dasselbe gilt für das Gremium, das ihre Umsetzung überwachen soll, wie in Artikel 6.4 festgelegt.
«Es ist wichtig, einen Präzedenzfall zu schaffen, denn wir sind wirklich besorgt, dass einige Länder damit beginnen könnten, bilaterale Abkommen abzuschliessen, die nicht den hohen Standards der nachhaltigen Entwicklung, Integrität und Achtung der Menschenrechte entsprechen», sagt Franz Perrez, Schweizer Unterhändler an internationalen Klimakonferenzen, gegenüber swissinfo.ch.
Das Abkommen zwischen der Schweiz und PeruExterner Link enthält daher eine Reihe von Anforderungen, die im Rahmen des Pariser Abkommens hervorgehoben wurden. Zum Beispiel die Tatsache, dass Projekte zur Kompensation der Emissionen eine nachhaltige Entwicklung unterstützen und das zahlende Land dazu ermutigen müssen, seine Klimaambitionen zu erhöhen.
Das Abkommen mit Lima enthält auch einen Mechanismus zur Verhinderung der Doppelzählung von Emissionsreduktionen. Dieses Thema war während der COP25 in Madrid ein grosses Hindernis, vor allem aufgrund des hartnäckigen Widerstands Brasiliens.
«Für die Schweiz ist es von Interesse, dass [das Abkommen mit Peru] als Vorbild für andere Länder dienen kann», sagte Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga an einer Pressekonferenz nach der Unterzeichnung des Abkommens. «Transparenz ist sehr wichtig.»
Transparenz bei der Berechnung von Emissionen
Aber sicherzustellen, dass solche Abkommen über die Kompensation von Emissionen den Standards entsprechen, kann kompliziert sein.
«Die Länder befinden sich in einer Übergangsphase», sagt Margaret Kim, Geschäftsführerin von Gold Standard. Diese Organisation mit Sitz in Genf wurde geschaffen, um sicherzustellen, dass Projekte zur Emissionsreduzierung eine hohe Umweltintegrität respektieren und eine nachhaltige Entwicklung fördern. Laut Kim muss die internationale Gemeinschaft mit den ärmsten Ländern zusammenarbeiten. Nicht nur, um ihre Kapazitäten zu entwickeln, sondern auch, um ihre Ambitionen zu erhöhen.
«Für viele Regierungen ist es eine grosse Herausforderung, die richtigen Bereiche zu identifizieren, in denen weitere Minderungsmassnahmen möglich sind, ohne ihre Klimaziele zu gefährden», stellt Perrez fest.
«Es besteht das Risiko, dass einige bilaterale Abkommen nicht so solide sind. Aber sie sind immer noch besser als nichts.»
Margaret Kim, Gold Standard
Unter dem früheren Kyoto-Abkommen waren die Entwicklungsländer nicht verpflichtet, Pläne zur Emissionsreduzierung zu haben. Der Transfer von Emissionsreduktionen in ein anderes Land habe daher keine Fragen der Doppelzählung aufgeworfen, wie Perrez erklärt. Heute jedoch, da jede Regierung Ziele im Rahmen des Pariser Abkommens bekannt gibt, müsse sichergestellt werden, dass es nicht zu Doppelzählungen komme.
Laut Lorenzo Eguren, Koordinator des Emissionsreduktions-Programms im peruanischen Umweltministerium, ist es wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, wie Emissionsreduktionen angerechnet werden und wem diese Anstrengungen zugerechnet werden sollen.
Deshalb wurde ein nationales Register eingeführt, in dem die Öffentlichkeit die Kompensationen einsehen kann, um zu verstehen, welche Emissionsverminderungen zu den Verpflichtungen Perus gehören und welche eine internationale Übertragung (zum Beispiel an die Schweiz) sind.
Kreditrahmen und effizientere Kochherde
In der Schweiz wurde die Stiftung für Klimaschutz und CO2-Kompensation (KliK) gegründet, um Importeure von fossilen Brennstoffen bei der Kompensation von Emissionen aus dem inländischen Verkehr zu unterstützen. Finanziert wird die Stiftung durch eine Steuer, die auf fossile Brennstoffe erhoben wird.
Im Rahmen der Revision des CO2-Gesetzes entschied das Parlament, dass 25% der nationalen Emissionen durch Massnahmen im Ausland kompensiert werden können (die Regierung hatte einen Anteil von 40% vorgeschlagen).
«Wie können wir im Einklang mit Artikel 6 sicherstellen, dass wir über das hinausgehen, was die Länder selbst tun würden?»
Jürg Staudenmann, Alliance Sud
Zu den Aufgaben der Stiftung Klik gehört es, weltweit Partner zu finden, die Kompensationsprogramme anbieten. Erfüllen diese in beiden Ländern bestimmte Kriterien und werden sie im Rahmen von bilateralen Abkommen wie jenem zwischen der Schweiz und Peru durchgeführt, kann die Emissionsreduktion dem Bund angerechnet werden.
Im Rahmen der Vereinbarung mit Lima beabsichtigt KliK, einen grünen Kreditrahmen von 50 Millionen US-Dollar für peruanische kleine und mittelgrosse Unternehmen (KMU) einzurichten. Dies würde Unternehmen, die Zugang zu nachhaltigen Technologien suchen, zu Krediten verhelfen, die sie andernfalls nicht bekommen würden.
Gleichzeitig sieht ein Projekt der Fondazione Centesimo per il clima in Zusammenarbeit mit der französischen NGO Microsol vor, effizientere Kochherde an arme Familien in abgelegenen Gebieten zu verteilen. Die Öfen sind mit Schornsteinen ausgestattet, die Dämpfe aus den Häusern abführen, was sowohl Atemwegserkrankungen als auch CO2-Emissionen reduzieren würde.
Dieses Projekt ist ein Beispiel für eine weitere im Pariser Abkommen vorgesehene und im bilateralen Abkommen enthaltene Bedingung, nämlich die der Zusätzlichkeit: Die Kompensationsinitiativen dürfen keine Aufgabe erfüllen, die auch das Empfängerland selbst übernehmen könnte. Laut Mischa Classen, Co-Direktor von Klik, unterstützt die peruanische Regierung zwar bereits ein Küchenherd-Programm. Doch die Microsol-Initiative operiere in unterversorgten Gebieten.
Das «Doppelspiel» der Schweiz
Gemäss Margaret Kim vom Gold Standard könnte das Abkommen der Schweiz ein «Leuchtturm» für Artikel 6.4 des Pariser Abkommens über die Regeln der internationalen Kompensationen sein und «hohe Ziele setzen».
Jürg Staudenmann, Klima- und Umweltexperte bei Alliance Sud, einem Zusammenschluss von sechs gossen Schweizer Entwicklungsorganisationen, ist sich da allerdings nicht so sicher. «Das Problem ist die Zusätzlichkeit. Wie können wir im Einklang mit Artikel 6 sicherstellen, dass wir über das hinausgehen, was die Länder selbst tun würden? Würden die Kochherde nicht sowieso ersetzt werden?»
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Die Schweiz spiele ein doppeltes Spiel – wie andere Industrieländer auch –, wenn sie ihren Fussabdruck präsentiere, so Staudenmann. In den nationalen Zielen werden nur die nationalen Kohlenstoff-Fussabdrücke berücksichtigt, nicht aber die «grauen Emissionen», die durch Importe in die Schweiz und die Fussabdrücke der Schweizer Multis im Ausland entstehen.
«Es ist eine Farce», sagt Staudenmann und bezieht sich auf die Absicht, inländische Emissionen im Ausland auszugleichen, anstatt mehr im Inland zu tun. «Es ist eine einfache Lösung für reiche Nationen, die sich sagen: ‹Ich kann es mir leisten, nichts zu tun und jemand anderen dafür zu bezahlen, das zu tun, was ich tun sollte.› Das ist kurzsichtig.»
Laut Kim von Gold Standard ist der Kompensationsmarkt zwar ein wichtiges Instrument für den Klimaschutz, doch er stelle nicht die Hauptfinanzierungsquelle für Entwicklungsländer dar. Er mache nur einen Bruchteil der Klimafinanzierung aus, die benötigt werde, um die globale Erwärmung auf 2°C zu begrenzen, warnt sie mit Verweis auf das Ziel, 100 Milliarden Dollar pro Jahr zu mobilisieren.
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«Besser als nichts»
Laut Veronica Elgart, stellvertretende Vorsteherin für Klimapolitik im Eidgenössischen Umweltdepartement, verhandelt die Schweiz mit zehn weiteren Ländern über ähnliche Abkommen. Ein zweiter bilateraler Kompensationsvertrag wurde kürzlich mit Ghana abgeschlossenExterner Link.
Manche sind der Meinung, mangels eines globalen Abkommens über internationale Kompensationen sei der Vertrag zwischen der Schweiz und Peru ein Vorbild. Dies umso mehr, als extreme Wetterereignisse zugenommen und die Durchschnittstemperaturen Rekordhöhen erreicht haben.
«Wir haben mit diesen Verhandlungen über globale Marktmechanismen ziemlich viele Jahre verschwendet. Die Erde, die Atmosphäre, das Klima, die Umwelt haben nicht die Geduld, ein weiteres Jahr zu warten. Ja, es besteht das Risiko, dass einige bilaterale Abkommen nicht so solide sind. Aber sie sind immer noch besser als nichts», sagt Kim.
Übersetzung aus dem Italienischen: Sibilla Bondolfi
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