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Folgt jetzt die grösste Rezession nach dem II. Weltkrieg?

Der Tourismus ist eine der am stärksten von der Corona-Krise getroffenen Branchen. Keystone / Urs Flueeler

Gemäss Wirtschaftsexperten wird das Bruttoinlandprodukt der Schweiz in diesem Jahr voraussichtlich um 5 bis 6 Prozent schrumpfen. Und dies ist das optimistischste Szenario. Sollte die Pandemie wieder aufflammen, könnte die Schweizer Wirtschaft in eine noch schlimmere Krise rutschen als in den 1970er-Jahren.

Das Coronavirus hat der Schweizer Wirtschaft bereits im ersten Quartal 2020 schwer geschadet. Das Bruttoinlandprodukt (BIP) ist im Vergleich zu den drei Vormonaten um 2,6 Prozent gesunken. Infolge der seit Mitte März ergriffenen Massnahmen zur Eindämmung der Epidemie wird der wirtschaftliche Abschwung im zweiten Quartal jedoch noch stärker ausfallen.

Die Expertengruppe Konjunkturprognosen des Staatssekretariats für Wirtschaft (seco) rechnet  für das gesamte Jahr 2020 mit einem Rückgang des BIP von −6,2 Prozent bei einer jahresdurchschnittlichen Arbeitslosenquote von 3,8 Prozent (gegenüber 2,3 Prozent im 2019). Etwas positiver sind die Prognosen des Wirtschaftsforschungsinstituts KOF, das in seiner Konjunkturanalyse Sommer 2020 einen Einbruch des Bruttoinlandprodukts von 5,1 Prozent prognostiziert.

Bund und Kantone haben etliche Massnahmen ergriffen, um die Auswirkungen dieser Krise abzufedern. Den Unternehmen wurden zinslose Kredite zur Verfügung gestellt, ein Drittel der Beschäftigten konnten von Kurzarbeitsregelungen profitieren, wodurch Massenentlassungen bisher vermieden werden konnten. Die Entschädigungen für Einkommensausfälle wurden auf selbständig Erwerbende ausgeweitet.

Dieses Massnahmenpaket im Umfang von mehr als 60 Milliarden Franken sollte es der Schweizer Wirtschaft ermöglichen, sich in der zweiten Jahreshälfte zu erholen und 2021 wieder ein solides Wachstum zu erzielen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass es keine weitere Pandemiewelle von grossem Ausmass gibt und dass die wichtigsten Exportmärkte für Schweizer Güter, angefangen bei der EU, den USA und Asien, ebenfalls möglichst bald die Krise hinter sich haben.  

Sollte dies nicht der Fall sein, könnte das BIP gemäss Seco-Prognosen in diesem Jahr sogar um mehr als 7 Prozent zurückgehen. Dies wäre der tiefste Wirtschaftseinbruch seit dem Zweiten Weltkrieg.

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Nachfolgend finden Sie eine kurze Zusammenfassung der bedeutendsten Wirtschaftskrisen, von denen die Schweiz in den letzten Jahrzehnten betroffen war:

Ölkrise in den 1970er-Jahren

Nach zwei Jahrzehnten eines wirtschaftlichen und demographischen Booms wird auch die Schweiz zu Beginn der 1970er-Jahre von der weltweiten Ölpreiskrise getroffen. Auslöser sind politische und energiebezogene Gründe, die in wenigen Tagen zu einer Explosion der Ölpreise führen. Zusätzlich spielen strukturelle Faktoren eine Rolle. In der Schweiz, wie in vielen anderen europäischen Ländern, markiert die Ölkrise den Niedergang des sekundären Wirtschaftssektors, insbesondere der Schwerindustrie, und das Aufkommen einer zunehmend auf Dienstleistungen basierenden Wirtschaft. 1975 sinkt das Schweizer Bruttoinlandprodukt um 6,7 Prozent, was einen Negativrekord für die Nachkriegszeit bedeutet. Die Zahl der Beschäftigten geht um mehr als 10 Prozent zurück, aber die Zahl der Arbeitslosen bleibt unter 1 Prozent: Da es keine obligatorische Arbeitslosenversicherung gibt, müssen Hunderttausende von ausländischen Arbeitnehmern die Schweiz verlassen.

Die lange Rezession der 1990er-Jahre

Nach einem anhaltenden Wachstum in den 1980er-Jahren mit Vollbeschäftigung auf dem Arbeitsmarkt ist das folgende Jahrzehnt, die 1990er-Jahre, von einer Phase der «langen Rezession» geprägt. Das BIP bricht nicht ein, liegt aber mehrere Jahre lang zwischen minus 0,9 und plus 0,5 Prozent. Die Arbeitslosenquote erreicht 5,7 Prozent, ein Rekordwert der Nachkriegszeit. Der Immobilienmarkt gerät in eine Krise; die Banken sind gezwungen, Tausende von Immobilien und nichtrückzahlbare Kredite in Höhe von 40 Milliarden Franken zurückzunehmen.

9/11

Der Anschlag auf die Zwillings-Türme in New York vom 11. September 2001 erschüttert die Weltwirtschaft und führt zu einer grossen Unsicherheit im Investitionsgeschäft. Die Schweizer Ökonomie strauchelt zwar an einer Krise vorbei, generiert aber kein Wachstum. Zwischen 2001 und 2003 steigt die Arbeitslosigkeit von 1,5 auf 4,3 Prozent.  Um die wirtschaftliche Erholung zu unterstützen, leiten die wichtigsten Zentralbanken, darunter die Schweizerische Nationalbank SNB, eine Phase niedriger Zinsen ein, die bis heute andauert.

Die internationale Finanzkrise von 2007

In den USA begünstigt die von der US-Notenbank verfolgte Niedrigzins-Geldpolitik die Bildung einer Immobilienblase, die 2007 platzt. Die Subprime-Krise, das heisst die Vergabe von Hypothekarkrediten an zahlungsunfähige Kunden, verwandelt sich im folgenden Jahr in eine internationale Finanzkrise. In der Schweiz müssen die Regierung und die SNB eingreifen, um die grösste Bank, die UBS, zu retten. Im Jahr 2009 geht das Bruttoinlandprodukt um 2,2 Prozent zurück, aber die Schweiz erholt sich besser als andere europäische Länder von dieser Finanzkrise. Fast zu gut in Bezug auf die Wechselkurse: Die Stärke der Schweizer Wirtschaft im Verhältnis zur Eurozone lässt den Schweizer Franken erstarken und bedroht die heimische Exportindustrie. Mehr als 10 Jahre später muss die SNB immer noch einen Grossteil ihrer Anstrengungen darauf aufwenden, die Aufwertung des Schweizer Frankens gegenüber dem Euro zu bekämpfen.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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