Bundesrat prüft neue Ansätze zur Streitbeilegung
Ja oder Nein, nur unter gewissen Bedingungen, sofort oder noch nicht? Die politische Diskussion über die Beziehungen der Schweiz zur EU drehen sich seit Jahren um das sogenannte institutionelle Rahmenabkommen. Am Mittwoch teilte der Bundesrat mit, wie es weitergehen soll - blieb dabei aber einmal mehr recht vage.
Am Mittwoch teilte der Bundesrat an einer Medienkonferenz mit, wie es mit den Beziehungen zur EU weitergehen soll. Aussenminister Ignazio Cassis erklärte, der Bundesrat wolle beim Rahmenabkommen vorwärtsmachen – er sei aber nicht bereit, alles zu unterzeichnen. Das Rahmenabkommen sei ein Mittel, nicht ein Ziel. «Wenn es klappt, klappt es und wenn nicht, dann nicht», sagte Cassis lapidar. Zum Zeitplan sagte Cassis: «Im Wahljahr 2019 wird kaum etwas passieren.» Deshalb gelte es dieses Jahr, die «windows of opportunity» gut zu nutzen.
Des Weiteren teilte der Bundesrat die Ernennung von Roberto Balzaretti zum Chef der Direktion für europäische Angelegenheiten (DEA) mit. Balzaretti übernimmt die Koordination der gesamten Verhandlungen mit der EU. Damit wird Staatssekretärin Pascale Baeriswyl faktisch entmachtet.
Worum geht es?
Für die Europäische Union ist klar, dass die Teilnahme am Binnenmarkt eine einheitliche und gleichzeitige Anwendung und Auslegung des sich ständig weiterentwickelnden Regelwerks für diesen Binnenmarkt erfordert. Deshalb erwartet sie, dass auch die bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU dieser rechtlichen Entwicklung laufend angepasst werden. Seit 2014 verhandeln die beiden Parteien über ein institutionelles Rahmenabkommen. Es soll die Funktionsweise von ausgewählten bilateralen Abkommen (vor allem Abkommen, die den Marktzugang betreffen) neu regeln. Dabei geht es insbesondere um folgende Fragen:
- Wie kann sichergestellt werden, dass das Abkommen in der Praxis richtig ausgelegt und angewandt oder bei Bedarf neuen Verhältnissen angepasst wird? Mit einem Rahmenabkommen würde sich die Schweiz zu einer dynamischen Übernahme von EU-Recht verpflichten.
- Wie kann die Anwendung der Abkommen einheitlich überwacht werden?
- Wie kann sichergestellt werden, dass die Abkommen homogen ausgelegt werden?
- Wie sollen Streitigkeiten zwischen der EU und der Schweiz gelöst werden?
Nach bisherigem Recht ist ein diplomatisch-technisches Gremium, der sogenannte Gemischte Ausschuss, für die Streitschlichtung zuständig. Neu soll im Interesse der Rechtssicherheit ein gerichtliches Element hinzugefügt werden. Zuständig soll der Europäische Gerichtshof (EuGH) sein. Das letzte Wort hätte der EuGH nicht. Ein Streit soll weiterhin im Gemischten Ausschuss gelöst werden. Beide Parteien könnten aber einseitig den EuGH um eine Auslegungsentscheidung anrufen.
«Fremde Richter»
In der Schweiz ist ein solches Abkommen sehr umstritten. Vor allem die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) leistet Widerstand. Sie befürchtet einen Souveränitätsverlust der Schweiz. Das Land werde Gesetzesanpassungen der EU ungefragt übernehmen müssen, kritisiert die SVP. Und sie warnt vor «fremden Richtern», die bei Streitigkeiten zwischen der EU und der Schweiz Entscheidungsgewalt über Gesetze in der Schweiz erhielten.
Am Mittwoch teilte der Bundesrat nun mit, dass er neue Ansätze zur Streitbeilegung prüfe. «Wir haben Ideen, wie wir vorwärtskommen können», sagte Cassis an der Medienkonferenz. Mehr wollte er nicht verraten.
«Handelsbarrieren»
Befürworter einer institutionellen Lösung befürchten, dass die EU – insbesondere nach dem Austritt Grossbritanniens – Handelsbarrieren errichten könnte. Die Schweiz brauche deshalb neue Abkommen mit der EU, um den Wirtschaftsstandort Schweiz zu sichern. Dazu gehöre ein Rahmenabkommen, das den Markzugang für die Schweiz sicherstelle. Die demokratischen Verfahren der Schweiz würden gewahrt. Der Referendumsweg stünde bei der Übernahme von neuem Recht weiterhin offen. Eine «automatische» Rechtsübernahme, wie die SVP behaupte, stehe nicht zur Diskussion.
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