Jean-Luc Johaneck, unerbittlicher Verteidiger der Elsässer Grenzgänger
Jeden Tag kommen gegen 30'000 Elsässerinnen und Elsässer in die Schweiz, um hier ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Der 63 Jahre alte Jean-Luc Johaneck setzt sich mit aller Kraft für die Verteidigung ihrer Rechte ein. Und nutzt dazu an der Spitze der grössten Grenzgänger-Vereinigung in der Region Basel handfeste Methoden, die manchmal für Unmut sorgen. Ein Porträt.
Es war eine Machtdemonstration, an die sich in der Region Basel noch heute alle erinnern: Am 1. Februar 2014 blockierten rund 11’000 Grenzgänger etwa eine halbe Stunde die Autobahn in der Nähe des Flughafens Basel-Mulhouse, um gegen das Ende der freien Krankenkassenwahl zu protestieren.
«Wenn man keine andere Wahl mehr hat, muss man die Zähne zeigen und manchmal zu weniger diplomatischen Mitteln greifen, um sich Gehör zu verschaffen.»
Eine Demonstration, die Jean-Luc Johaneck, der Präsident der Grenzgänger-Vereinigung «Comitée de défense des travailleurs frontaliers»Externer Link (CDTF), die zu der Blockade aufgerufen hatte, als «historisch» bezeichnet.
«Wir wussten, dass die französische Regierung ihre Meinung nicht ändern würde. Aber es war mir ein Anliegen, zu zeigen, dass die Grenzgänger vereint und solidarisch waren. Diese Demonstration verlief ohne jeglichen Hass oder Gewalt, mit schweizerischer Disziplin und Umgangsformen», unterstreicht Johaneck.
Auch drei Jahre später ist das heikle Dossier Krankenkasse weiterhin das wichtigste Thema für die CDTF. Johaneck sitzt in seinem Büro in Saint-Louis, der zwischen der Schweizer und der deutschen Grenze liegenden französischen Gemeinde in der Agglomeration Basel.
Sein Ärger hat sich bis heute nicht gelegt. Sein Zorn richtet sich gegen das französische Sozialversicherungssystem, aber auch gegen ein paar andere Grenzgänger-Vereinigungen, denen er vorwirft, «gegen das eigene Lager zu schiessen».
Vorwurf der «Nötigung» an französische Ministerin
Trotz einem im vergangenen Jahr zwischen Bern und Paris geschlossenen Abkommen warten Tausende von Elsässer Grenzgängern, die sich für eine Krankenversicherung in der Schweiz entschieden, noch immer darauf, von der Zwangsmitgliedschaft in der staatlichen französischen Krankenkasse befreit zu werden. Stattdessen erhalten sie Rechnungen und Mahnungen für Tausende Euros wegen nicht bezahlten Prämien.
«Vor dem Sozialversicherungsgericht des Departements Haut-Rhin sind gegen 9000 Fälle hängig. Wir sind 300% sicher, zu gewinnen, aber das französische Sozialversicherungssystem spielt bewusst auf Zeit und hofft, so einige Millionen Euro an zusätzlichen Prämiengeldern einzutreiben», erklärt der CFDT-Präsident.
Anfang dieses Jahres hatte sich Johaneck nicht gescheut, der französischen Arbeitsministerin Marisol Touraine in einem Beitrag der Regionalzeitung L’Alsace «Nötigung» vorzuwerfen. Sie verfolge allein ein «billiges Ziel, in aller Illegalität», indem sie von den Grenzgängern Summen verlange, «von denen sie weiss, dass sie nicht geschuldet werden».
Schockierende Worte, zu denen der ehemalige Gewerkschafter offen steht. «Im Gegensatz zu dem, was oft gesagt wird, bin ich kein Mann des Konflikts. Aber wenn man keine andere Wahl mehr hat, muss man die Zähne zeigen und manchmal zu weniger diplomatischen Mitteln greifen, um sich Gehör zu verschaffen.»
Grenzgänger fordern Respekt
Harsche Methoden, die von den Elsässer Grenzgängerinnen und Grenzgängern aber offensichtlich geschätzt werden. Mehr als ein Drittel von ihnen – gegen 20’000 Personen – sind der CFDT angeschlossen. Dank dieser breiten Unterstützung kann die Vereinigung nur von ihren Mitgliederbeiträgen leben und völlig unabhängig handeln.
Mit seinem direkten und prägnanten Ton, dem strengen Blick und einem Schnurrbart wie Philippe Martinez – Frankreichs bekanntester Gewerkschafter – ist sich Johaneck sehr wohl bewusst, dass er in bestimmten Kreisen Unruhe auslöst. «Für gewisse Bosse, vor allem am Flughafen, bin ich ein rotes Tuch. Sie mögen die Popularität und Legitimität nicht, die mir die Leute geben.»
Im Alltag aber, versichert uns unser Gesprächspartner, gehöre er zur gleichen «deutschsprachigen Kultur», die sorgfältige und gute Arbeit schätze wie seine Schweizer Nachbarn. Johaneck lebt in der Nähe von Mulhouse (Mülhausen) und verbrachte einen grossen Teil seiner beruflichen Karriere in Basel, wo er in Zulieferbetrieben für Industrie und Gewerbe tätig war.
Eine Erfahrung, mit der dieser Autodidakt nur gute Erinnerungen verbindet. «Ich hatte immer sehr gute Beziehungen zu meinen Arbeitgebern und meinen Kollegen. Man gab mir nie zu spüren, dass ich ein Grenzgänger war», erklärt er.
Geiseln übergeordneter Interessen
«Die Grenzgänger fordern keine besondere Berücksichtigung, nur ein Mindestmass an Achtung für die gesetzlich verfügten Rechte.»
Auch wenn das Zusammenleben der Arbeitskräfte aus der Schweiz, Frankreich und Deutschland in der Region Basel grundsätzlich friedlich ist, die politische und administrative Realität sieht viel weniger rosig aus. «Die Grenzgänger sind heute Geiseln von übergeordneten staatlichen Interessen», bekräftigt Johaneck.
«Einerseits betrachtet die französische Regierung sie als so etwas wie Manna vom Himmel, mit dem sie ihren leeren Kassen aus der Klemme helfen wollen. Andererseits weigert sich die Schweiz, als Verteidiger der Grenzgänger aufzutreten, um Frankreich nicht bei anderen heiklen Dossiers wie etwa dem Flughafen Basel-Mulhouse zu verärgern.»
Der rührige Präsident kämpft, ohne je die Anzahl Stunden zu zählen, mit aller Kraft dafür, die Rechte der CDTF-Mitglieder durchzusetzen – ob es darum geht, französische Gerichte mit Eingaben zu überlasten oder auch immer wieder darum, die EU-Kommission in Brüssel zu mobilisieren.
So sind denn auch zahlreiche Klagen im Zusammenhang mit der Zahlung von französischen Sozialversicherungs-Abgaben (CSG/CRDS) auf Schweizer Einkommen von pensionierten Grenzgängern oder Rentnern hängig.
«Natürlich verdienen die Grenzgänger normalerweise einen guten Lebensunterhalt. Sie unternehmen dafür aber auch erhebliche Anstrengungen und erwirtschaften beträchtliche Einkommen für die französische Allgemeinheit. Wir fordern keine besondere Berücksichtigung, nur ein Mindestmass an Achtung für die gesetzlich verfügten Rechte», wettert Johaneck.
Wenn Deutsche die Elsässer ablösen
Offiziell arbeiten in Basel gegen 18’500 Grenzgänger, die in Frankreich leben. Die Zahl hat sich im Lauf der letzten 15 Jahre kaum verändert. Gleichzeitig wuchs die Zahl der Grenzgänger, die in Deutschland leben, um 65%.
«Viele Junge sprechen den Elsässer Dialekt nicht mehr und finden es daher schwierig, sich in die deutschsprachige Arbeitswelt zu integrieren. So werden zum Beispiel im Verkauf und im Gastgewerbe Franzosen mehr und mehr durch Ausländer der zweiten und dritten Generation verdrängt, die in der Schweiz leben», erklärt CDTF-Präsident Johaneck.
Zum Teil geht dies auch auf Veränderungen auf dem Basler Arbeitsmarkt zurück. Der Untergang ganzer Industriezweige (Metallurgie, Druckindustrie etc.) führte dazu, dass viele französische Grenzgänger auf die Strasse gesetzt wurden. Umgekehrt kam der rasante Aufschwung der Pharma- und Chemieindustrie vor allem den äusserst mobilen deutschen Führungskräften zu Gute, und ihren Mitarbeitern, die sie natürlicherweise oft in ihrem Heimatland rekrutierten.
Dennoch werden die Elsässer Grenzgänger in der reichen Rheinstadt nach wie vor sehr geschätzt. Das gilt vor allem für jene Sektoren der Bauindustrie (wie Gipser, Elektriker oder Heizungsmonteure), in denen es an einheimischen Arbeitskräften fehlt.
All dies spielt sich in einem Klima friedlichen Zusammenlebens ab, das im Gegensatz zu den Spannungen steht, die manchmal in der Region Genf oder im Tessin zu beobachten sind.
«Die Basler Politiker waren intelligent und nutzten die Grenzgänger nicht als Sündenböcke. Sie haben verstanden, dass dies ideale Arbeitskräfte sind: Man muss keine neuen Wohnungen bauen für sie, sie verursachen keine Sozialkosten, und man kann sie auf die Strasse stellen, wenn die Konjunktur schwächer wird, ohne dass die Arbeitslosenstatistik der Schweiz in die Höhe getrieben wird», sagt CDTF-Präsident Johaneck.
(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)
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